Taxi-Geschichten

Von den Minen auf die Straße: Nie wieder Krieg

Wien ist leiwand
08.04.2022 11:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Was haben Sie im zarten Alter von 16 Jahren gemacht? Sich erstmals überlegt, was Sie gerne studieren würden? Den ersten großen Trennungsschmerz überstanden? Aus der Disco geflogen, weil Sie übermütig wurden? Darüber würde Javad heute lachen. Als sich der Winter Anfang April noch ein letztes Mal frostig aufbäumt, fährt mich der nette Iraner quer durch die Stadt und erzählt von seiner bewegenden Vergangenheit. Sein 17. Lebensjahr verbrachte er auf den Schlachtfeldern des Ersten Golfkriegs zwischen dem Iran und dem Irak. Anfang der 80er-Jahre meldete sich der 16-Jährige freiwillig für den Entminungsdienst. Eine Mischung aus Pflichtbewusstsein, Heimattreue und der juvenilen Hoffnung, aktiv etwas gegen das furchtbare Elend ausrichten zu können. Viele Freunde und Kollegen starben auf den Schlachtfeldern, Javad hatte Glück.

„Als Belohnung für den Einsatz wurde uns allen die Matura geschenkt“, blickt er nostalgisch auf seine späte Kindheit zurück, „danach ging ich noch einige Jahre zum Militär.“ Mit fortlaufender Zeit dämmerte Javad, dass der Krieg nicht schnell enden würde und seine Zukunftsperspektiven zunehmend schrumpfen. Man konnte sich nicht so einfach aus der Armee stehlen, doch der findige Taxler hatte gute Beziehungen in den Führungsetagen. „So gelang es mir, mich nach ungefähr vier Jahren vom Dienst freistellen zu lassen. Hätte ich nicht die richtigen Leute gekannt, hätte ich nie die Chance bekommen, ein Leben außerhalb des Militärs zu beginnen.“ Für Javad war die Phase Ende der 80er-Jahre eine richtungsweisende.

Die Heimat ist noch immer schwer vom Krieg gebeutelt, als es den jungen Mann gedanklich in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zieht. „Die USA waren meine Wunschdestination, aber meine Schwester lebte zu der Zeit schon länger in Wien und meinte, ich solle es doch einmal dort versuchen.“ Javad tut, wie ihm geraten und kommt nach Österreich. Mit viel Charme und seinem losen Mundwerk findet er sich schnell zurecht, die iranische Matura ermöglicht ihm zudem einen Studienplatz. An der TU Wien taucht er tief in die Elektrotechnik ein und findet nach dem Abschluss eine Arbeitsstelle bei einem großen Konzern im 15. Wiener Gemeindebezirk. Die Tätigkeit erfüllt ihn, doch ein massiver Stellenabbau lässt sich auf Dauer nicht verhindern. Javad ist anfangs verunsichert, kriegt aber mit, dass das Taxigewerbe in den 90er-Jahren boomt.

„Ich habe den Taxischein gemacht und gutes Geld verdient. Es ging sogar so gut, dass ich mich selbstständig machte und relativ schnell eine Flotte mit mehreren Autos hatte.“ Lange, bevor die internationalen Mietwagenunternehmen als bleibende Konkurrenz aufpoppten, sei das Taxlerleben ein lohnendes gewesen. „Ich habe aber auch hart gearbeitet und war mir für nichts zu schade.“ Über all die Jahre blieb er dem Job treu, auch wenn er heute nur noch für sich selbst fährt und nicht umhinkommt, sich über die Uber-App rufen zu lassen. „Anders ist es nicht mehr möglich. Die Leute rufen uns zum günstigen Fixpreis über ihr Handy. So habe ich zumindest viele Fahrten, denn heruntergewunken werden wir Taxis auf der Straße kaum noch.“

In den heimatlichen Iran kommt Javad immer wieder, um seine Familienmitglieder zu besuchen. Aufgrund der Pandemie liegt die letzte Reise schon etwas länger zurück. Der furchtbare Krieg in der Ukraine geht nicht spurlos an ihm vorbei und weckt zuweilen hässliche Erinnerungen an die eigene Vergangenheit. „Seien wir doch froh, dass Österreich neutral ist. Seien wir auch froh, dass wir ein so soziales Land sind und auf das Miteinander schauen. Alle wollen immer die Besten und Mächtigsten sein. Grauenvoll.“ Javad will nie wieder mit Krieg zu tun haben, zeigt sich aber gleichzeitig unmissverständlich. „Ich würde mich sofort für dieses Land opfern. Meine Frau ist Österreicherin und meine Kinder sind hier geboren. Ich bin so gut integriert, wie es nur geht“, lacht er, „ich würde für Österreich kämpfen.“ Hoffentlich muss er es nie tun.

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