Taxi-Geschichten

Noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen

Wien
23.04.2022 09:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Taxler und Gasthausbetreibende kennen das Problem: so mancher Gast sieht das Zechprellen als humoristisches Hobby. Das bloße Vergessen im schweren Suff gehört dabei zu den selteneren Pannen. Viel eher versucht man sich einer ungeplant hohen Rechnung zu entziehen oder genießt die Spannung, bei der spontanen Flucht jederzeit erwischt werden zu können. Das ist ohnehin schon nicht die feine englische Art, wesentlich schlimmer wird die Sachlage aber, wenn man nicht nur nicht bezahlt, sondern in die Gegenoffensive geht. Kaneschka ist das vor einigen Jahren während eines gewöhnlichen Nachtdienstes passiert. Aufgewärmt von ein paar Fahrten mit den üblichen Betrunkenen, fährt der Iraner durch die Wiener Innenstadtbezirke.

Gegen 3 Uhr morgens wird er an der Kettenbrückengasse von zwei adretten jungen Herren in feinem Zwirn herangewunken. Deren Haltung war zwar nicht mehr militärisch stramm, aber auch weit entfernt von anderen Rauschkugeln, die ihm in den letzten Stunden über die Rückbank purzelten. Die Fahrt solle nach Wiener Neustadt gehen, man habe den letzten Zug dorthin um einige Stunden übersehen. Die Wohnungsparty war zu lustig, das Bier zu schmackhaft. Kaneschka macht die beiden Mittzwanziger darauf aufmerksam, dass der Preis dorthin stattlich sei und eine Anzahlung üblich wäre. Die jungen Herren versprechen, in der Heimatstadt einen Bankomaten anzusteuern und die anfallenden Schulden in einem Zug zu begleichen. Dem Fahrer umweht ein ungutes Gefühl, aber er geht auf den Vorschlag ein.

Auf halbem Wege beginnen sich die beiden Gäste auf der Rückbank laut zu unterhalten. „Was machst du eigentlich, wenn wir nicht zahlen? Und was machst du, wenn wir nicht nur nicht zahlen, sondern auch dein Geld mitnehmen?“ Kaneschka kennt aus langjähriger Erfahrung ähnliche Situationen und versucht erst gar nicht, in die Provokation einzusteigen. „Sie waren zwar betrunken, aber auch sportlich und kräftig“, erzählt er mir von seinem Erlebnis, „ich bin keine 1,75 Meter groß und war damals schon über 50. Wir waren mitten auf der Autobahn und für mich gab es nur eine Möglichkeit zur Deeskalation: ich musste mich auf das Spiel einlassen.“ Er fragt vorsichtig, warum die beiden genau auf ihn kommen würden. Einem älteren Perser, der hart arbeitet um Frau und Kinder über die Runden bringen zu können.

Die beiden Anzugträger fühlen sich überlegen und genießen das Machtspiel. Es gibt ihnen einen Kick. Einen richtigen Adrenalinschub, den sie mit allen Sinnen genießen. „Sie haben mir weiter gedroht und gesagt, wenn wir von der Autobahn abgefahren sind, soll ich meinen Wagen abstellen.“ Die jungen Erwachsenen geben langsam zu, dass die Situation nicht geplant war und für sie ein Abenteuer ist. Das „Spiel“ schaukelt sich während der Fahrt hoch und nimmt zunehmend bedenklichere Formen an. Den beiden wird bewusst, dass sie es längst zu weit treiben, aber sie können und wollen jetzt auch nicht mehr aus ihrer Rolle heraus. Kaneschka lässt den Wagen an einem dunklen Straßenrand stehen, den Schlüssel stecken, seine Geldbörse liegen und läuft instinktiv ein paar Hundert Meter davon.

Einige Zeit irrt er durch die düstere, ihm unbekannte Gegend und wagt sich erst nach einer guten halben Stunde wieder langsam zurück. Der erste Schock ist verdaut, das Auto steht noch am Straßenrand. Von den beiden Gästen ist nichts mehr zu sehen, aber die Schlüssel stecken und die Geldbörse liegt am Beifahrersitz. Mehrere Hundert Euro Bargeld sind weg, alle Ausweise und persönlichen Dokumente aber noch da. Direkt daneben entdeckt Kaneschka einen handgeschriebenen Zettel. Darauf steht: „Es tut uns leid, dass wir solche Vollidioten sind“. Für den Iraner ein schwacher Trost an diesem nervenaufreibenden Abend. Dennoch ist er froh, noch mit einem blauen Auge davongekommen zu sein…

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