Anschober sicher:

„Einen vierten Lockdown kann niemand ausschließen“

Wien
07.02.2021 06:00

Gesundheitsminister Rudolf Anschober im Interview mit der „Krone“: Er spricht über Corona, abgesagte Fernreisen im Sommer, Tirol und Grüne mit Anstand. Und darüber, warum einen vierten Lockdown zum jetzigen Zeitpunkt niemand ausschließen kann ...

„Krone“: Herr Minister, Ihnen als ehemaliger Lehrer wird das leichtfallen: Welche Note würden Sie sich selbst für Ihre Arbeit bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie geben?
Rudolf Anschober: Ich war auch als Lehrer immer ein Anhänger der verbalen und nicht der Notenbewertung.

Chaos um die Tests, Verwirrung um die Masken, die verfassungswidrigen Verordnungen, die nutzlose Corona-Ampel, der schnarchige Impfplan. Nach einem Sehr gut sieht das nicht aus, oder?
Die Pandemie ist eine derartige Herausforderung, wir haben Tausende Entscheidungen innerhalb eines Jahres getroffen. Dass es da nicht völlig fehlerlos zugeht, ist eine völlig normale Situation und in ganz Europa gleich. Entscheidend ist, dass man aus Fehlern lernt.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat, übrigens bei einer weitaus besseren Sieben-Tage-Inzidenz als in Österreich, vor Kurzem gesagt: „Uns ist das Ding entglitten.“ Österreich auch?
Da gibt es zwei Ebenen. Wir haben seit dem Peak im November und Erhöhung der täglichen Todesfälle im Dezember die Situation deutlich verbessert. Was das große Fragezeichen ist, und das meint Angela Merkel, ist die Entwicklung der Mutationen. Zwei sind derzeit in ganz Europa im Vormarsch. Beide haben das Grundproblem, dass sie ein deutlich erhöhtes Ansteckungsrisiko mit sich bringen. Wenn die sich rasch durchsetzen würden, kämen wir in ein starkes Wachstum.

Sie haben die Gefährlichkeit der Mutationen gut skizziert. Ich gehe davon aus, dass die Aufweichung des Lockdowns am Montag abgesagt ist.
(lacht) Sie haben es pointiert zugespitzt. Nein. Wir sind in einer Situation, in der wir seit 4. November fast durchgehend einen Lockdown gehabt haben, und wir merken, dass die Akzeptanz abnimmt. Der Lockdown hat sich abgenützt. Wir brauchen so etwas wie eine Perspektive. Durch erste Öffnungsschritte und gleichzeitig Sicherheit durch Verschärfungen. Etwa mit der Einreiseverordnung und der FFP2-Masken-Ausweitung.

Kann es auch sein, dass Sie viele Österreicher wegen Ihrer Art der Kommunikation verloren haben? Der Lockdown im Oktober ist keine Ente, das ist eine Entenfarm, haben Sie gesagt, wenige Tage vor dem Lockdown übrigens. Seit Monaten mahnen Sie in Dauerschleife: Die nächste Woche ist entscheidend. Die Fabel vom Hirtenjungen und dem Wolf. Irgendwann hört keiner mehr hin.
Das hoffe ich doch nicht, und die Reaktionen aus der Bevölkerung sind gegenteilig. Präzise hingeschaut, ist es so, dass wir vielfach Situationen haben, in denen es um entscheidende Tage geht. Die Entenfarm war ein Spruch, der mir spontan eingefallen ist. FPÖ-Chef Norbert Hofer hat gesagt, wir planen im Geheimen den Lockdown für den 23. Oktober. Und das war ein völliger Unsinn, das plant niemand, das ist das letzte Mittel. Erst als wir plötzlich weit über den Prognosen waren, sind wir den Schritt gegangen.

Im Covid-19-Maßnahmengesetz ist klar verankert, dass Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen nur dann gerechtfertigt sind, wenn ein Zusammenbruch der medizinischen Versorgung droht. Davon sind wir aktuell weit entfernt. Viele fordern also: Österreich soll ganz öffnen.
Wenn es nach mir geht, nicht. Wir haben keinen Zusammenbruch, aber eine große Anspannung mit aktuell 300 Intensivpatienten und weil wir Tausende Operationen verschieben mussten. Wenn wir öffnen, dann langsam und kontrolliert.

Die Zahlen sind also so schlecht, dass wir nicht ganz öffnen können, aber wir öffnen ein bisschen, was zur Folge hat, dass die Zahlen noch schlechter werden. Ich stehe vor einem Rätsel.
Schauen Sie, wenn wir erreichen, dass wir Hunderttausende zusätzlich testen, ist es ein Schritt in Richtung Verbesserung der Situation. Durch die Zutrittstests kommen wir auch in die Breite.

Reden wir noch über die Mutationen, und wenn wir das tun, müssen wir über Tirol reden, wo die südafrikanische Variante eine Bedrohung ist. Wieso riegeln Sie das Bundesland nicht endlich ab?
Wir haben mit Tirol akkordiert, dass wir ein Aktionsprogramm fixieren. Sie verstärken massiv das Contact Tracing und gehen in der hauptbetroffenen Region in die Massentestung. Und es gibt einen Sonderschutz für die Alten- und Pflegeheime. Dazu kommt ein Arbeitsprogramm, um herauszufinden, wo hat sich die Mutation in Tirol wie ausgebreitet und wie sieht der Trend aus. Das haben wir bald am Tisch.

Ein Ausweg sind nur die Impfungen. In Israel werden bereits 16-Jährige geimpft, meine 90 Jahre alte Großmutter aus Niederösterreich hat noch nicht einmal einen Termin. Wer hat versagt?
Israel hat als einzelner Nationalstaat ein Übereinkommen mit Biontech/Pfizer, bei dem es um relativ wenige Dosen geht. Die EU hat viel mehr Menschen zu versorgen und deswegen einen gemeinsamen Beschaffungsprozess gestartet. Der ist so aufgestellt, dass wir auf unterschiedliche Impfstoffe setzen. In den ersten drei Monaten gibt es deswegen eine überschaubare Zahl, ab April geht es massiv nach oben, auch für Österreich. Unser Ziel ist eine Million Menschen bis Ostern.

Jetzt stehen wir aber auch innerhalb der EU nicht besonders gut da. Rumänien, Spanien, Italien, Ungarn, Slowenien usw. Das sind alles Länder in Europa, die schneller impfen als Österreich. Insgesamt sind 20 Länder flotter als wir. Von 27. Das ist doch ein Armutszeugnis.
(lacht) Einspruch, Euer Ehren. Diese EU-Rankings sind absoluter Unsinn. Warum? Alle Länder der EU werden gleichberechtigt und gleichzeitig beliefert. Und jedes Land verimpft sofort. Der einzige Unterschied ist, dass wir unterschiedliche Berechnungsmodelle haben, was die Statistik betrifft.

Nun gut. Schauen wir noch in die Zukunft. Wann kommt der vierte Lockdown?
Ich hoffe, nie. Aber ausschließen kann das auf dieser Welt niemand.

Bundeskanzler Sebastian Kurz ist von Normalität im Sommer überzeugt, dem widersprechen namhafte Virologen wie etwa Christian Drosten. Wie sehen Sie das?
Je höher die Impfrate, desto besser die Chance, dass wir aus dem Ding rauskommen. Es kann aber sein, dass es trotzdem Übergangssituationen gibt und wir weiterhin Schutzmaßnahmen für einige Zeit brauchen.

Wird es im Sommer völlige Reisefreiheit geben können?
Das glaube ich nicht. Aber ich hoffe sehr, dass es die Möglichkeit gibt, innerhalb Europas Urlaub zu machen.

Zum Abschluss ein ganz anderes Thema. Die Regierung nimmt keine Kinder aus den griechischen Flüchtlingslagern auf, die im Dreck liegen, schiebt dafür Schüler ab, die in Österreich geboren sind. Im Endeffekt ist es für die Betroffenen also Powidl, ob die Freiheitlichen in der Bundesregierung sind oder die Grünen?
Es ist bei Hunderten Themen ein riesiger Unterschied. Auch bei dem. Wir arbeiten intensiv daran, dass wir humanitäre Notsituationen von Kindern in Zukunft vermeiden. Etwa mit der Kindeswohlkommission.

Auf einem der Wahlplakate der Grünen 2019 stand: „Wen würde der Anstand wählen?“ Wen würde denn der Anstand heute wählen?
Nach wie vor die Grünen. Denn das ist die einzige Partei, die Druck gemacht hat in Richtung Transparenzbedingungen und Anti-Korruptions-Regelungen. Es geht aber auch um Bündnisse. Mit Ausnahme dieser Frage gibt es in dieser Regierung ein weitestgehend gutes Zusammenarbeiten, und ich bin überrascht, wie gut.

Michael Pommer, Kronen Zeitung

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