So war es in Sölden:

„Gab keinen Ansturm heim, sondern auf die Piste“

Tirol
19.03.2020 14:33

Nach den ersten positiven Corona-Tests in Sölden haben die Behörden tagelang gewartet, bevor erste Maßnahmen eingeleitet wurden. Erst am Dienstagabend wurde der Skiort unter Quarantäne gestellt. Die Mitarbeiter der Beherbergungsbetriebe wussten jedoch schon viel früher, dass etwas faul ist im Tiroler Skiort. Die „Krone“ hat mit einem leitenden Mitarbeiter eines Restaurants in Sölden gesprochen, der schwere Anschuldigungen gegen die Behörden, aber auch gegen die Skigäste erhebt.

krone.at: Würden Sie uns bitte zunächst einmal etwas über sich erzählen? Warum waren Sie in Sölden, was haben Sie dort gemacht?
Mein Name ist Marco, ich war in Sölden auf Saison, um in einem Restaurant zu arbeiten, und ich habe dort eine leitende Position gehabt. Es war meine erste Saison und ich war seit Mitte November da, jetzt kam plötzlich das abrupte Ende, geplant wäre es bis Mitte April gewesen.

Wann war das Coronavirus zum ersten Mal ein Thema in Sölden?
Ein Thema war es, seit es in China aufgetreten ist, aber damals eher noch auf lustige Art und Weise. Wir haben es damals nicht ernst genommen. Man hat darüber gesprochen, aber es war eben nicht bei uns, und deshalb haben wir es nicht als Bedrohung wahrgenommen. Dann war Italien betroffen und wir haben uns gedacht, das haben wir jetzt an unserer Grenze. So richtig ein Thema wurde es, als in Ischgl Fälle aufgetreten sind. Da hat ein Mitarbeiter viele seiner Kollegen angesteckt. „Was passiert mit dieser Bar, die müsste jetzt eigentlich zusperren“, haben wir uns gedacht.

Da haben Sie sich erstmals ernsthafte Gedanken gemacht, wie es weitergeht?
Ja, vor etwa zehn Tagen hat der Geschäftsführer unseres Betriebs gesagt, er fühlt sich schon ein wenig ängstlich. Da wurde zum ersten Mal ausgesprochen, wenn das zu uns kommt, dann wissen wir alle nicht, was das für uns bedeutet. Da würde ich auch meine erste Kritik aussprechen, denn in Sölden hat es eigentlich immer geheißen, das Ganze ist in Ischgl und Innsbruck. Bei uns im Ötztal hat es noch keinen Fall gegeben und deshalb betrifft uns das auch nicht. (Anm.: Das war am Samstag, 7. März.)

Wie ist es danach weitergegangen?
So richtig ernst wurde es am vergangenen Sonntag (8. März). Da waren Gäste aus Südtirol im Restaurant, die mit einem Kollegen gesprochen haben, der danach so richtig Angst bekommen hat. Sie haben ihm erzählt, dass die Wintersaison in Südtirol zu Ende ist. Danach kamen die Maßnahmen aus Österreich am Dienstag (10. März) und wir waren alle gespannt, was das für uns bedeutet. Wir haben am Mittwoch (11. März) eine Besprechung gehabt: Wir in Sölden müssen die Veranstaltungen behördlich absagen, die Partys und Nachtskiläufe und so weiter, aber unser Betrieb läuft normal weiter. Unser Restaurant hat so in etwa 100 Sitzplätze, deshalb hatte die Regelung der Bundesregierung für uns keine direkten Auswirkungen. Die ganzen Après-Ski-Bars im Tal waren alle voll am Mittwoch und Donnerstag, da hast du nichts von irgendwelchen Beschränkungen gemerkt.

Wann wurden die Gastronomiebetriebe in Sölden kontrolliert?
Erst am Donnerstag (12. März) hat die Polizei die Lokale kontrolliert, weil in allen Lokalen mehr als 100 Leute waren. Wenn ich keine Nachrichten verfolgen würde, hätte ich nicht gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Ich bin dann am Freitag durch den Ort gegangen - da haben Securitys Zählgeräte dabeigehabt, und wenn du aus dem Lokal herausgegangen bist zum Rauchen, musstest du warten, bis wieder weniger als 100 Leute drin waren. Das war aber erst ab Freitag.

Wie haben Sie diese Maßnahmen empfunden?
Was uns richtig aufgeregt hat, war am Donnerstag am Abend um etwa 19.30 Uhr die große Schlagzeile „Tirol beendet Wintersaison“. Das haben wir komplett aus den Medien erfahren. Wir sind dann am Freitag (13. März) in der Früh in die Arbeit, da war natürlich komplette Krisenstimmung. Die offizielle Anweisung war, wir haben bis Sonntag Normalbetrieb und danach müssen wir behördlich zusperren. Montag und Dienstag hätten wir noch Zeit gehabt zum Saisonputz und am Mittwoch wäre quasi unser Abreisetag gewesen. Das war die Info, die wir am Freitag bekommen haben.
Wir waren alle sprachlos. Wir haben eigentlich gedacht, jetzt bricht ein bisschen ein Chaos aus, weil alle Gäste heimfahren. Das wäre naheliegend gewesen und das war aber absolut nicht so. Stattdessen war Betrieb wie in der Hochsaison. Wir haben ein Geschäft gehabt, das kann man sich gar nicht vorstellen. Die Leute sind uns die Bude eingerannt, es war unvorstellbar.

Wie haben sich die Mitarbeiter dabei gefühlt?
Wir haben gar nicht gewusst, wie wir uns fühlen sollen, irgendwie traurig, irgendwie wütend, weil es ja doch ein ernstes Thema ist und trotzdem so viele Leute gekommen sind. Du kannst ja in der Gastronomie auch nichts dagegen machen - solange Gäste kommen, musst du sie bedienen. Da hat man dann gemerkt, die Lage wird immer prekärer, neue Fälle hier und da, plötzlich war Ischgl unter Quarantäne.

Wie ist es am Samstag, 14. März, weitergegangen?
Der Samstag war wieder ein Tag, an dem viel los war. Das war noch immer ein guter Tag. Ich traue mich das gar nicht wirklich zu sagen, aber wir Mitarbeiter haben Saison-Abschluss gefeiert. Es war klar, dass ab kommendem Montag die Lokale um 15 Uhr zusperren müssen. Wir waren in einer Après-Ski-Bar, da hättest du nichts gemerkt davon, dass wir in einer Krise sind.
Eine Schirmbar, in der dann Corona-Infektionen aufgetreten sind, war randvoll, und zwar nachdem die Maßnahmen schon aufrecht waren. Die haben dort einfach alle Glasfronten aufgemacht, und damit war es zwar irgendwie schon Outdoor, aber die Leute sind ganz eng aneinander gestanden - und genau aus dieser Bar hat sich ein Barkeeper infiziert, das war am Mittwoch (18. März) in den Medien.

Haben die Behörden den Ernst der Lage nicht erkannt?
Mir ist schon vorgekommen, dass die Landesregierung in Tirol den Ernst der Lage erkannt hat. Ich habe mir aber schon auch gedacht, dass die Gastronomiebetriebe noch jeden Euro von den Gästen mitnehmen wollten, den sie bekommen konnten. Wenn man da von Anfang an klar kommuniziert hätte, was wirklich los ist, hätten die Betriebe vielleicht freiwillig schon früher zugesperrt.

Warum haben die Betriebe nicht schon früher zugesperrt?
Also, eine gewisse Blauäugigkeit gibt es da bei uns in Sölden auf jeden Fall. Es ist ein Wahnsinn zu glauben, dass das Coronavirus nicht bis nach Sölden kommt. Das wäre vielleicht der Fall, wenn Sölden ein Kuhdorf wäre, aber nicht, wenn es so eine Touristenhochburg ist, wo jeden Tag Tausende Menschen aus den verschiedensten Ländern kommen. Man kann die Betriebe kritisieren, dass sie offengelassen haben, aber man kann auch die Touristen kritisieren, dass sie dortgeblieben sind und weiter Party gemacht haben.

Wie ist es am vergangenen Sonntag, 15. März, weitergegangen?
Am Sonntag war ein normaler Arbeitstag, an dem ich in der Früh angefangen habe. Und ich habe mir auch gedacht, ein bisschen etwas wird schon noch los sein, und im Nachhinein gesehen, war das ein sehr heftiger Tag. Du gehst in die Arbeit und richtest alles her und schaust, dass du bis 16.30 Uhr deine Arbeit so gut wie möglich machst, aber plötzlich haben wir schon in der Früh um etwa 8.30 Uhr gehört, dass im Ort unten in Sölden ein Hotel evakuiert wird, weil dort in dem Hotel ein Verdachtsfall war, und dann haben wir schon gehört, dass Sölden auch unter Quarantäne gestellt werden soll.

(Anm.: Ein Hotel, das zu der Schirmbar gehört, in der zuerst ein Fall aufgetreten ist. Die Schirmbar in Sölden hat den offiziellen Slogan: „Alles hat einen Anfang“.)

Das Gerücht ist am Sonntagvormittag in Sölden herumgegangen. Das war das erste Mal, dass wir innerhalb vom Personal Unstimmigkeiten hatten. Aus der Küche haben Leute gesagt: Sollen wir überhaupt noch aufsperren? Da war dann auch ein gewisser Grant auf die Gäste da, weil die trotz offensichtlicher Krise auf den Berg fahren und etwas essen und trinken wollten.

An diesem Tag war auch die Pressekonferenz des Landeshauptmanns (Anm.: Günther Platter, ÖVP). Was ist danach passiert?
Nach der Pressekonferenz vom Platter, in der er die Ausgangssperre verkündete, war um 11.30 Uhr die Aufforderung, dass wir behördlich den Betrieb sofort einstellen müssen. Das war auch alles ein Wahnsinn, denn es waren einige Gäste da, insgesamt so in etwa zehn Tische, und ich bin dann von Tisch zu Tisch gegangen und habe den Gästen erklärt, dass wir behördlich zusperren müssen. Die haben das aber nicht wirklich verstanden. Es waren sogar einige Einheimische da, die mit Unverständnis reagiert haben. Ich habe gesagt: „Du musst nach Hause.“ Darauf haben sie geantwortet: „Nein, ich gehe heute Skifahren.“ Wir haben danach einfach gearbeitet, und ich war der Meinung, ich fahre am Montag heim. Um 16 Uhr hat es dann schon geheißen, dass alle, die nicht Einheimische sind, heute noch Sölden verlassen müssen. Ich bin dann sofort runter in mein Zimmer, habe meine Sachen gepackt und bin abgereist.
Mir ist es aber schon auch wichtig zu erwähnen, dass am Freitag jedem Mitarbeiter des Restaurants das Angebot gemacht wurde, Sölden vorzeitig zu verlassen. Zwei Kollegen haben das auch in Anspruch genommen.

(Anm: Der Seilbahnbetrieb wurde mit Sonntag, 15. März, eingestellt, die Beherbergungsbetriebe sollten mit Montag, 16. März, um 15 Uhr zusperren.)

Warum haben die Behörden erst so spät reagiert, obwohl man von der Situation in Südtirol und Ischgl wusste?
Ich glaube schon, dass es einen wirtschaftlichen Hintergrund hatte, und die Gäste waren außerdem einfach nicht sensibilisiert für dieses Thema. Es gab am Freitag keinen Ansturm nach Hause, sondern einen Ansturm auf die Piste, obwohl es da schon fünf nach Zwölf war. Das verstehe ich nicht ganz. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Menschen sich da noch in Sölden infiziert haben. Ich glaube, es ist auch medial ein bisschen etwas vertuscht worden, denn ich habe im offiziellen Facebook-Auftritt von Sölden ein paar komische Kommentare gelesen.
Da war zu lesen, es gibt bei uns noch keine Fälle. Doch da hat eine Frau aus Deutschland kommentiert, sie verstehe das nicht, denn sie kenne jemanden, der an Covid-19 erkrankt sei und derjenige war in Sölden auf Urlaub (9. und 10. März), und man habe davon aber nichts gehört. Sie hat das Ganze schon damals infrage gestellt. Scheinbar hat man es ja gewusst, es kann mir keiner erzählen, dass man das nicht gewusst hat.

Plötzlich war in den Medien die Rede von einem Barkeeper, der infiziert war.
Ja genau, warum ist das erst am Sonntag aufgekommen, dass der Barkeeper infiziert ist? Offenbar war das ja schon am Freitag bekannt. Der DJ aus dem Sonnenschirm hat mit so vielen Leuten Kontakt gehabt, das ist unverantwortlich. Zu der Schirmbar gehören auch noch ein Hotel und ein Burger-Imbiss sowie eine Diskothek, das Fire & Ice. Da wechseln auch die Kollegen untereinander, und wenn dann einer angesteckt ist, sind doch alle infiziert ...

Woher waren Ihrer Einschätzung nach die meisten Gäste?
Das Publikum war sehr bunt gemischt, die meisten waren Deutsche, Holländer und auch Skandinavier. Doch das Schlimme ist, bis um 14 Uhr (Sonntag, 15. März) waren immer noch Leute auf der Piste unterwegs, denen das einfach egal war, und wir haben denen gesagt, dass wir seit drei Stunden zuhaben. Diese Gäste haben daraufhin auch noch mit Unverständnis reagiert.
Etwas, das ich schon auch noch erwähnen möchte: Zwei Kollegen, die mit Fieber zwei oder drei Tage zu Hause geblieben sind, waren beim Arzt, aber sie sind nicht auf das Coronavirus getestet worden. Die sind nicht getestet worden, obwohl sie zwar Symptome hatten, aber sie waren ja nicht aus einer Risikoregion, und deshalb sind sie nicht getestet worden. Getestet wirst du nur dann, wenn du Symptome aufweist und aus einer Risikoregion kommst, hat es geheißen. 

(Anm.: Der Name des leitenden Restaurant-Mitarbeiters aus Sölden wurde geändert und ist der Redaktion von krone.at bekannt.)

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