Faßmann im Interview

Warum greifen Sie nicht härter durch?

Österreich
12.05.2019 10:30

Schikanöse Schüler, ein spuckender Lehrer: Schockvideos aus der HTL in Wien-Ottakring bringen die Politik in Bedrängnis. Mit Conny Bischofberger spricht Bildungsminister Heinz Faßmann (63) über Ursachen, Maßnahmen und Konsequenzen.

Als der Chef des Hauses das Ministerium am Minoritenplatz betritt, hat er gerade einen Feueralarm verpasst. Es ist 9.15 Uhr morgens, und er kommt schon von einem Vortrag. Der ehemalige Universitätsprofessor, stattliche 2.03 Meter groß, nimmt am Besprechungstisch Platz und schenkt sich und uns Wasser ein. Sein Maßnahmenkatalog gegen Gewalt an den Schulen - Stichwort „Time-out“-Gruppen -, den Faßmann am Freitag vorstellte, war zwar schon länger geplant, bekommt aber durch die Vorfälle an einer Wiener HTL große Bedeutung. „Was dort geschehen ist, verlangt natürlich nach Antworten, aber es war nur ein Beschleuniger des Prozesses, nicht der Auslöser“, sagt Heinz Faßmann leise. Die Tonalität bleibt während des ganzen Gesprächs positiv-versöhnlich, fast zu positiv ...

„Krone“: Herr Minister, warum nehmen Sie erst jetzt zu den Gewaltausbrüchen an einer HTL Stellung?
Heinz Faßmann: Weil ich kein Freund der Schnellschussmaßnahmen bin. Es ist eine Selbstüberschätzung der Politik zu sagen: Hier ist ein Anlass und unmittelbar darauf haben wir schon die Antwort. Zuerst brauchen wir eine vernünftige Analyse. Deshalb haben wir am Freitag ein Gesamtpaket vorgestellt, wie wir Schulen insgesamt konfliktärmer machen können. Als umfassende Antwort auf ein umfassendes Problem.

Was haben Sie sich gedacht, als Sie die verstörenden Videos aus Ottakring gesehen haben?
Dass diese Videos am Ende eines längeren Eskalationsprozesses entstanden sind und man gut beraten ist, nicht nur das Ende zu sehen, sondern sich auch mit dem Beginn der Eskalation zu befassen. Ich habe das anhand der Aktenlage auch getan und sehen können, wie eins ins andere greift.

Wenn es Akten gibt, war der Fall also schon länger bekannt.
Ja, das war er und er ist sicherlich von seiner Konfliktgenese komplex. Man kann auch nicht eindeutig sagen, der Lehrer ist schuld, oder die Schüler sind schuld. Man kann auch nicht eindeutig sagen, die Schulaufsicht ist schuld. Alle zusammen haben ihren Beitrag zu dieser griechischen Tragödie geleistet. Ich muss aber klar sagen: Jemanden mit Gewalt zu bedrohen geht zu weit. Das kann man nicht zulassen.

Wie hätten Sie reagiert? Als Direktor, als Lehrer dieser Klasse?
Wenn ich Direktor gewesen wäre: Nicht nur hinschauen, sondern auch tätig werden. Man sollte einen Konflikt nicht so groß werden lassen. Wir haben Schulpsychologen, die man einschalten kann, aber auch Mediationsverfahren, die man einleiten kann. Man hätte auch überlegen können, den Lehrer woanders einzusetzen.

Als Lehrers hätten Sie wahrscheinlich schon aufgrund Ihrer Größe mehr Autorität gehabt.
Ich hätte auch nicht so reagiert. Hier hat es ein Lehrer offensichtlich von Anfang an nicht geschafft, eine Brücke zu seinen Schülern zu bauen, Empathie zu zeigen. Als Quereinsteiger ist er ins kalte Wasser gesprungen und hatte zu wenig Unterstützung.

Empathie? Im Ernst? Ist bei Schülern, die einen Lehrer bedrohen, mit Bällen bewerfen, die rauchen im Unterricht und das auch noch filmen, wirklich Empathie angebracht?
Aber das war erst am Ende eines eskalierenden Konfliktes. Deshalb ist eine unserer präventiven Maßnahmen in Zukunft, dass Quereinsteiger - dieser Lehrer kam aus der Wirtschaft - entsprechende Qualifikationen nachweisen oder erwerben müssen.

Auf den Videos sieht man, dass es sich um Jugendliche mit Migrationshintergrund handelt. Haben hier Männer aus einer Macho-Kultur ihre Macht demonstriert?
Ja, aber es ist auch eine schwierige Altersgruppe. Auf den Videos sehe ich immer nur Burschen, da beginnen in einer sozialen Gruppe Statuskämpfe. Wir haben aber auch Macho-Attitüden bei Burschen aus österreichischen Familien.

Ihre Ombudsfrau für Kulturkonflikte und Wertefragen, Susanne Wiesinger, hat ein Buch darüber geschrieben. Der Titel lautet „Kulturkampf im Klassenzimmer“. Warum ist Migration so ein Tabu?
Es ist ja gar kein Tabu. Deswegen habe ich Frau Wiesinger auch zur Ombudsfrau bestellt, weil es für mich gar nicht Tabu ist. Ich glaube, man muss diese Dinge auf den Tisch legen, analysieren und schauen, wie man solche Konflikte wirklich lösen kann.

War das Mobbing an der HTL ein Kulturkonflikt?
Aufgrund der Unterlagen, die ich habe, muss ich sagen: Nein.

Woher kommt dann die Gewalt an unseren Schulen?
Die Frage von Gewalt und Konflikt in der Schule ist ein Thema der Zeit geworden in den letzten Jahren, wahrscheinlich auch Jahrzehnten, weil sich der Schüler geändert hat. Den Zögling Törless von Robert Musil, den gibt es nicht mehr und das ist auch wieder gut.

Was soll denn jetzt mit dem Lehrer passieren?
Das ist nicht meine Entscheidung, ich bin nicht der Dienstvorgesetzte. Aber der Lehrer scheint einen befristeten Vertrag zu haben und ich halte es für die richtige Entscheidung, diesen Vertrag auslaufen zu lassen. Es hat sich herausgestellt, dass er als Lehrer nicht wirklich geeignet ist.

Und was passiert mit den Schülern?
Das entscheidet die Lehrerkonferenz.

Ihre Idee von verpflichtenden „Time-out“-Klassen in Primär- und Sekundärschulen mag ja nicht schlecht sein, aber warum greifen Sie nicht härter durch?
Wir müssen tatsächlich den Schulen ein konsequenteres Durchgreifen ermöglichen. Suspendierungen und Ausschlüsse müssen rascher und unbürokratischer erfolgen. Einzelfälle hängen derzeit oft ungelöst zwischen der Schule und der Schulbehörde.

Herr Minister, Sie sind jetzt bald eineinhalb Jahre im Amt. Ihre Bilanz in einem Satz?
Die persönliche Bilanz lautet: Es war anstrengend, herausfordernd, ich habe es mir leichter vorgestellt. Die berufliche Bilanz: Es sind viele Dinge weitergebracht, jahrzehntelange Diskussionen einem Ende zugeführt worden. Stichwort Herbstferien, Stichwort Ethikunterricht, Stichwort Noten plus verbale Beurteilung. Aber auch Detailfragen wie: Kriegt Hermagor jetzt die seit Jahrzehnten geforderte Unterstufe?

Sie lächeln sogar, wenn Sie von Anstrengung sprechen.
Ja, aber das liegt daran, dass ich meinen Optimismus und meine prinzipiell gute Laune auch in den letzten eineinhalb Jahren nicht verloren habe. Es freut mich noch immer.

In unserem Antrittsinterview sprachen Sie von einer „Politik der kleinen Schritte“. Ist es dabei geblieben?
Die Schritte haben sich als größer herausgestellt, als ich damals gedacht habe.

Macht Ihnen der Koalitionspartner manchmal Sorgen?
Ich beobachte den Koalitionspartner genau. Manche Begrifflichkeiten, die verwendet werden und in einem ganz bestimmten Kontext stehen, machen mir Sorgen. Ja.

Der sogenannte „Bevölkerungsaustausch“?
Beispielsweise. Aber auch die Diktion, Österreich sei kein Einwanderungsland oder das Wort „Ausreisezentrum“. Ich melde mich mit meiner für manche vielleicht sanft wirkenden Art des öfteren zu Wort. Sanft, aber bestimmt.

Sprechen Sie auch mit Sebastian Kurz über diese Dinge?
Ja, regelmäßig. Er teilt meine Sorge, aber er betrachtet die politische Großwetterlage und die lautet: Wir sind mit der FPÖ in einer Koalition.

Sebastian Kurz hat Sie ja seinerzeit als Migrationsexperten in die Regierung geholt. Welche Note geben Sie der Integration unter Türkis-Blau?
Da würde ich eher zu einer verbalen Beschreibung greifen …

Obwohl Sie die Schulnoten wiedereingeführt haben?
Ja (lacht). Der Elan, den Sebastian Kurz damals als Staatssekretär und später als Integrationsminister entfaltet hat, hat eine Trendwende erreicht. Die Integrationsproblematik ist vor allem in Wien weiterhin existent.

Das ist höchstens ein Genügend.
Ich will keine Note geben.

Verstehen Sie, dass sich viele Menschen durch Migration überfordert fühlen?
Natürlich weiß ich, dass Österreich eine Migration hat, die leider nicht durch ein Übergewicht an Hochqualifizierten gekennzeichnet ist. Deshalb gibt es auch eine starke Integrationsnotwendigkeit.

Was könnten Sie Menschen mit dieser Sorge sagen?
Ich würde sie vielleicht dran erinnern, dass sie wahrscheinlich selbst eine Wanderungsbiographie hatten. Und ich würde ihnen zweitens sagen, dass Integrationsprozesse Zeit brauchen. Ich würde aber auch den Zuwanderern sagen: „Ihr seid jetzt in Österreich, in einem westeuropäischen, säkularen und demokratischen Staat. Lasst euch auf dieses Land ein. Dieses Land bietet euch die Chance, aber ihr müsst auch auf die Gesellschaft zugehen“.

Und wenn sie das nicht wollen?
Sie wollen das, weil Zuwanderer wollen letztlich ihre persönliche Existenz verbessern, und dafür ist der Schritt in die Gesellschaft notwendig.

In zwei Wochen ist die EU-Wahl. Werden Sie als unabhängiger Kandidat der ÖVP die Kanzlerpartei wählen?
Ja, ich werde der ÖVP meine Stimme geben, mir gefällt die Balance der Mitte.

Karas oder Edtstadler?
Hauptsache ÖVP.

Ihr Appell?
Erstens wählen gehen! Zweitens: Europa mit seiner positiven historischen Entwicklung in der Nachkriegszeit als Chance für Österreich begreifen. Das darf keine Denkzettelwahl sein.

Gut eingebürgerter Deutscher
Geboren am 13. August 1955 in Düsseldorf. Studium der Geografie, Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Wien. 1996 wird Faßmann Professor an der TU München, seit 2000 arbeitet er in Wien, zuletzt als Vizerektor der Universität. Kanzler Kurz ließ sich schon während seiner Zeit als Integrationsminister von Faßmann, der anerkannter Migrationsexperte ist, beraten. Minister für Bildung, Wissenschaft und Forschung seit Dezember 2017. Verheiratet mit Sigrid, einer ehemaligen AHS-Lehrerin, eine Tochter (33) und ein Sohn (29).

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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