Mit Doppelkupplung

Honda Crosstourer: Testfahrt mit der großen Reiseenduro

Motor
23.02.2012 15:47
Honda erweitert die Cross-Familie um den Crosstourer, eine große Reiseenduro mit viel Kraft und guten Manieren, als Ablösung für die Varadero. Die Verkleidung hat was von Designergarderobe, vielleicht ist es kein Zufall, dass nicht nur Honda, sondern auch Armani einen Flügel im Markenlogo trägt. Das heißt, Armani hat ja zwei, dafür hat Honda mehr PS – und der Crosstourer auf Wunsch ein Doppelkupplungsgetriebe.
(Bild: kmm)

Der Laufsteg zum Testen führte mich über knapp 200 Kilometer durch das Hinterland von Barcelona, über Autobahn, Landstraßen mit schnellen, langen Kurven, Bergstraßen mit herrlichem Kurvenwerk und sogar abseits der Straßen in leichtes Gelände. Damit ist auch schon der Einsatzbereich der Honda Crosstourer beschrieben, denn sie macht so ziemlich alles mit, was man von ihr verlangt.

Ein langer Weg ist ein gutes Ziel
Beim CrossRUNNER bin ich mir noch immer nicht ganz sicher, wofür er gut sein soll (vergleichbar mit einem hübschen SUV mit Frontantrieb), der CrossTOURER gibt diesbezüglich dagegen keine Rätsel auf: Er ist wie geschaffen für die große Reise mit allem, was sich da so ergibt. Soweit ich das schon beurteilen kann, hält man es auch durchaus lange im Sattel aus, die Sitzposition ist bequem (auch wenn der Kniewinkel spitzer ist als erwartet) und Lang-Straßentauglich, fürs Gelände könnte sie noch etwas aktiver sein. Mit dem breiten Lenker hat man den Crosstourer immer gut im Griff, auch Wenden auf engstem Raum oder Ausbalancieren praktisch im Stand sind kein Problem. Während der Fahrt leistet der (mit Werkzeug) zweifach verstellbare Windschild hervorragende Dienste, lässt genug Fahrtwind an den Fahrer heran und ist frei von störenden Verwirbelungen. Auch für die Hände gibt es – endurotypisch – Plastikschützer.

Sein Faible für Style lebt der Crosstourer auch bei Kleinigkeiten aus, etwa bei der Bedienung der dreistufigen Griffheizung. Sie wird mit einem Knopf am linken Griff aktiviert, der eine Kontrollleuchte in Form des Griffheizungssymbols integriert hat. Auf welcher Garstufe die Griffe grillen, ist nur kurz nach dem Betätigen zu erkennen, dann blinkt das Lamperl entsprechend, also z.B. im Dreierrhythmus für Stufe 3. Eine gut erkennbare Kontrollleuchte am Display sucht man vergebens.

Dieses ist dafür sehr effektiv entspiegelt; dass es etwas zu stark nach oben geneigt ist (wie wenn es fürs Im-Stehen-Fahren gemacht wäre), beeinträchtigt die Ablesbarkeit nicht. Zu sehen gibt es am Digitaldisplay einiges: Balkendrehzahlmesser, Digitaltacho, Tankuhr, Kühlmitteltemperaturanzeige, Zeituhr, Luft-Thermometer. Dazu Ganganzeige, Gesamtkilometer und zwei Trip-Zähler mit Infos zu Benzinverbrauch, Restbenzin und die Restfahrstrecke, die der 21-Liter-Tank noch hergibt.

Motor, Getriebe – die Technik ist vom Feinsten
Eines der Gustostückerln am Crosstourer ist der V4-Motor. Er ist im Prinzip schon von der Honda VFR1200F bekannt, Kraftentfaltung und Leistungsdaten wurden aber adaptiert. Er baut besonders kompakt, was nicht zuletzt durch den ungewöhnlichen Zylinderwinkel von 76 Grad möglich ist. Um Vibrationen zu vermeiden, ist die Kurbelwelle mit Hubzapfen versehen, die um 28 Grad versetzt sind. Dank dieser "Phase Shift Crankshaft" kommt der Motor ohne Ausgleichswelle aus. Die beiden vorderen Zylinder sitzen außen, die hinteren innen, dadurch kann die Taille des Motorrads schmal gehalten werden (gut für die Sitzposition).

Hier leistet der 1.237-cm³-V4 maximal 129 PS bei 7.750/min. (VFR 172 PS bei 10.000), bei 6.500 Touren liegt das maximale Drehmoment von 126 Nm (VFR 129 Nm bei 8.750) an. Ausreichend Kraft wird schon aus dem Drehzahlkeller per Kardan durch die Einarmschwinge geschickt, der Crosstourer bietet bei niedrigen Drehzahlen deutlich mehr Drehmoment als die VFR1200F und überhaupt eine linearere Kraftentfaltung. Man kann einfach sagen: Wenn man Kraft braucht, ist sie da. Egal, ob man aus engen Kurven herausbeschleunigt oder – eh schon schnell unterwegs – oben raus noch Reserven braucht. Bis 8.000/min. geht was, dann lässt die Power nach. Der Kardanantrieb verrichtet sein Werk unauffällig, dafür sorgen vier Ruckdämpfer, ein Kreuzgelenk sowie ein Gleichlaufgelenk mit Schiebefunktion (homokinetisches Gelenk).

Komfortables Fahrwerk, feinfühlige Elektronik
Dafür, dass die Honda Crosstourer vollgetankt satte 275 kg wiegt (mit Doppelkupplungsgetriebe noch mal 10 kg mehr), lässt sie sich ziemlich handlich durch die Kurven wuchten. Das Fahrwerk vermittelt Sicherheit und Stabilität, standardmäßig ist es komfortabel und eher weich. Federvorspannung und Zugstufen-Dämpfung sind aber vorne wie hinten einstellbar. Der Federweg beträgt übrigens vorne 165 mm und am Hinterrad 145 mm.

Für ein extrem sicheres Gefühl bei der schnellen Fahrt durch die teilweise nassen Kurven rund um den "El Picorandan" sorgt die serienmäßige (abschaltbare) Traktionskontrolle, die sanft und kaum spürbar eingreift, wenn der Kammsche Kreislauf am Hinterrad zu kollabieren droht. Voraussetzung dafür ist das "Throttle by Wire": Der Gasgriff zieht zwar noch an einem klassischen Gaszug, auf dem letzten Weg wird der Befehl aber digital übertragen, sodass das System blitzschnell entscheiden kann, wie viel Sprit eingespritzt wird und wie weit die Drosselklappen geöffnet werden.

Ein weiterer Sicherheitsfaktor ist das ebenfalls serienmäßige, aber nicht abschaltbare Combined ABS. Combined bedeutet: Zieht der Fahrer am Bremsgriff, bremsen fünf der sechs vorderen Bremskolben. Steigt er auf die Fußbremse, greifen die Hinterradbremse sowie der verbleibende vordere Kolben. Das ABS verhindert in jedem Fall ein Blockieren der Räder.

Auf Wunsch mit Doppelkupplungsgetriebe
Serienmäßig hat der Crosstourer ein zuverlässig, leise und leicht zu schaltendes Sechsganggetriebe mit Rutschkupplung. Auf Wunsch kommt er mit dem überarbeiteten Doppelkupplungsgetriebe, das es im Motorradbereich nur bei Honda gibt. Dann lässt man entweder automatisch schalten (normal oder sportlich) oder klickt sich am linken Griff manuell per Zeigefinger rauf und per Daumen runter. Im Automatikmodus lässt sich jederzeit auch manuell schalten, etwa zum Überholen. Danach übernimmt direkt wieder die Automatik. In seiner ersten Generation hat das DCT (Dual Clutch Transmission) generell in den manuellen Modus gewechselt, wenn der Fahrer einmal per Hand geschaltet hat.

Unbestreitbar ist der Komfortgewinn, den das automatische Schaltenlassen mit sich bringt – ob man da nun Wert drauf legt oder nicht. In den meisten Fällen passt die Gangwahl auch, einmal bin ich aber auch erschrocken, als das Getriebe plötzlich einen Wechsel vollzog, wo ich keinen erwartet hatte – und das ausgerechnet in einer kritischen Situation, in der ich mich vor einer Kurve verschätzt hatte.

Das DCT arbeitet also ziemlich perfekt, für mich ist es aber sehr ungewohnt, mit den Fingern zu schalten. Keine Ahnung, wie schnell ich mich daran gewöhnen würde – muss ich aber auch nicht unbedingt, denn es gibt gegen knapp 400 Euro Aufpreis (bzw. als Zubehör) einen klassischen Schalthebel für das DCT. Im Vergleich zum Standardschaltgetriebe arbeitet er weicher, außerdem dauert es etwas länger, wenn man mehrere Gänge auf einmal nach unten schalten will. Woran man sich tatsächlich gewöhnen muss, ist das Fehlen des Kupplungsgriffes und damit des Kupplungsschleifpunktes.

Der Crosstourer (mit vollem Namen Honda VFR1200X Crosstourer) bietet eine Menge für seine 15.990 Euro, das Doppelkupplungsgetriebe kostet 1.500 Euro Aufpreis. Ob man die wirklich schönen, aber teuren Originalkoffer an die serienmäßigen Halterungen hängt oder auf halb so teure Zubehörkoffer setzt, bleibt jedem selbst überlassen. Viel falsch machen kann man mit dem Bike jedenfalls nicht. Es fährt sich gut, hat jede Menge bestechende Technik an Bord und besitzt einen potenten Motor, der einen auch aus dem Keller holt. Ach ja, der Demo-Crosstourer bei der Pressekonferenz hatte einen Auspuff aus dem Zubehörhandel – und der war nicht von Armani …

Warum?

  • Solide, kräftige Reiseenduro, auch für lange Strecken.
  • Doppelkupplungsgetriebe hat kein Konkurrent.

Warum nicht?

  • Nicht ganz leicht geraten.

Oder vielleicht …

  • … Moto Guzzi Stelvio, Yamaha Super Ténéré, BMW R 1200 GS etc.
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(Bild: kmm)



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