Vor 100 Jahren

Sarajevo: Zwei Schüsse, die die Welt veränderten

Wissenschaft
28.06.2014 11:29
Es war nicht zwangsläufig, auch nicht außergewöhnlich, nicht einmal spektakulär. Und doch ist die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo das folgenschwerste Attentat der Weltgeschichte. Die Schüsse von Sarajevo lösten den Ersten Weltkrieg aus, der Millionen Menschenleben forderte und eine ganz neue politische Ordnung entstehen ließ.

Ohne Sarajevo wären wir vielleicht immer noch kaiserlich-königliche Untertanen in einem unter Franz Ferdinand reformierten Vielvölkerreich, es hätte keine Sowjetunion gegeben und keinen Nationalsozialismus. Es gäbe keinen Nahost-Konflikt und vielleicht auch keinen Weltpolizisten USA. Vom Ende gedacht, reicht der 11. September 2011 mit seinen 3.000 Toten nicht annähernd an die beiden Schüsse des jugoslawischen Nationalisten Gavrilo Princip heran, die den Thronfolger und seine Gemahlin Sophie das Leben kosteten.

Franz Ferdinands Besuch in Sarajevo war alles andere als eine großspurige Machtdemonstration, sondern der fast beiläufige Abschluss eines Truppenbesuchs. Der Thronfolger war eigentlich zu einem mehrtägigen Manöver nach Bosnien-Herzegowina gereist. Er hatte am 25. Juni im Kurort Ilidza Quartier bezogen und verbrachte die Tage im Manövergebiet am Ivan-Sattel zwischen Bosnien und Dalmatien. Die sonntägliche Fahrt in die Hauptstadt war dann vor allem eine Anerkennung für den Landesverwalter Bosnien-Herzegowinas, Oskar Potiorek, der sich im Manöver auszeichnet hatte.

Bombenanschlag misslang
Dass das Attentat glückte, ist einzig dem Zufall zu verdanken. Ein erster misslungener Bombenanschlag auf dem Weg in die Innenstadt führte nämlich dazu, dass Franz Ferdinand dem letzten Attentäter auf dem Silbertablett serviert wurde. Nach dem Besuch im Rathaus - und entgegen dem Rat Potioreks, doch gleich zum Bahnhof zu fahren - verfügte der Thronfolger nämlich, den beim Anschlag verletzten Offizier Erik Merizzi im Spital zu besuchen.

Der Chauffeur folgte jedoch der ursprünglichen Route, und er korrigierte seinen Fehler genau an jenem Ort, an dem Princip postiert war. An der Lateinerbrücke blieb Franz Ferdinands Wagen stehen, um zu reversieren, und der Attentäter kam aus wenigen Metern Entfernung zum Schuss. Sophie wurde im Unterleib getroffen, Franz Ferdinand im Hals. Beide verstarben noch an der Unfallstelle.

Botschafter warnte vor Attentätern
Die Umstände des Attentats waren schon damals wie geschaffen für Verschwörungstheoretiker. Da sind zunächst einmal die Warnungen aus Belgrad. Die vom serbischen Geheimdienst unterstützten Attentäter hatten sich nämlich schon seit Monaten für die Tat gerüstet. Wie der Historiker Christopher Clark schreibt, warnte Serbiens Botschafter Jovan Jovanovic am 21. Juni den für Bosnien zuständigen österreichisch-ungarischen Finanzminister Leon Bilinski vor einem möglichen Attentat auf Franz Ferdinand. "Hoffen wir, dass nichts passiert", soll Bilinski entgegnet haben.

Dann die angesichts der Anschlagsgefahr lächerlich geringen Sicherheitsvorkehrungen. Während beim Besuch von Kaiser Franz Joseph im Jahr 1910 die Straßen Sarajevos mit Soldaten gesäumt waren, gab es für den Thronfolger keine Straßenposten. Franz Ferdinand fuhr vom Bahnhof in einer Kolonne von sieben Wagen, wobei seiner mit offenem Verdeck unterwegs war. Selbst nach dem missglückten ersten Anschlag wurden die Sicherheitsmaßnahmen nicht verschärft.

Wem nutzte Ferdinands Tod?
Und schließlich stellt sich die Frage nach dem "cui bono", die auf den damaligen Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf weist. Wiewohl es keinerlei Verdachtsmomente gegen Conrad gab, war er gleich in zweifacher Hinsicht Nutznießer von Franz Ferdinands Tod. "Wenn der Erzherzog den Besuch in Sarajevo überlebt hätte, wäre Conrad von seinem Posten entlassen worden", schreibt Clark. Beim Armeemanöver war es nämlich zu wütenden Wortwechseln zwischen den beiden gekommen.

Gleichzeitig empfahl sich Potiorek mit seiner Truppenführung für Conrads Nachfolge. Vor allem aber brachte das Attentat den Generalstabschef seinem langjährigen Wunschziel eines Krieges gegen Serbien ein großes Stück näher. "Der Mord von Sarajevo schloss eine lange Kette als letztes Glied. Es war die Kriegserklärung Serbiens an Österreich-Ungarn. Sie konnte nur mehr mit Krieg erwidert werden", frohlockte Conrad.

Kronprinz musste als Kriegsgrund herhalten
Freilich war es nicht so, dass der Krieg den Thronfolger sühnen sollte. Im Gegenteil, der tote Franz Ferdinand musste als Kriegsgrund herhalten. Schließlich war er in der Donaumonarchie alles andere als beliebt, in der ungarischen Reichshälfte hasste man ihn wegen seiner Reformpläne sogar. Nach dem Attentat habe es in Wien und Budapest "mehr Freudige als Leidtragende gegeben", gab der spätere Außenminister Ottokar Czernin zu Protokoll.

Zweideutig kommentierte auch Kaiser Franz Joseph, der in den Jahren zuvor seine liebe Not mit dem ambitionierten und eigenwilligen Thronprätendenten hatte, dessen Tod: "Der Allmächtige hat wieder zurechtgerückt, was in Unordnung geraten war." Es war ein Zurechtrücken, das eine ganze Welt aus den Fugen reißen sollte.

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