Neues Gesetz in Kraft
Russische Buchhändler befürchten Repressalien
Die russische Regierung erschwert den mit einem neuen Gesetz den Zugang zu Büchern, die von „ausländischen Agenten“ verfasst wurden. Darunter versteht das Regime Menschen und Künstler, die mit den Behörden in Konflikt gerieten – weil sie sich beispielsweise kritisch gegenüber der Invasion in der Ukraine geäußert haben.
In einem Buchladen in St. Petersburg haben Mitarbeiter eine neue Aufgabe: Sorgfältig schneiden sie Etiketten aus, kleben sie auf Buchumschläge und versiegeln die Bücher in einer durchsichtigen Plastikfolie. Auf den Etiketten steht in Großbuchstaben: „Dieses Material wurde von einem ausländischen Agenten hergestellt oder betrifft die Tätigkeit eines ausländischen Agenten.“
Bücher nicht direkt verboten – genaue Lage jedoch unklar
Hintergrund ist ein Gesetz, das Anfang September in Kraft getreten ist. Demnach dürfen sogenannte ausländische Agenten nicht pädagogisch tätig sein oder „Informationsprodukte für Minderjährige“ herstellen. Das Gesetz stellt Buchhändler vor rechtliche Probleme: Bücher der „ausländischen Agenten“ sind nicht direkt verboten, das Gesetz könnte aber gegen sie verwendet werden.
Elena Neschtscheret vom Petersburger Buchladen Wo Wes Golos (Deutsch: Aus voller Kehle) sagt, die rechtliche Lage sei voller Fallstricke. Die Bezeichnung „ausländischer Agent“ ist in Russland für jeden verwendet worden, dem staatsfeindliche Aktivitäten vorgeworfen werden. Dazu gehören Aktivisten, Politiker, Journalisten, Organisationen, Autoren und andere Menschen, die mit den Behörden in Konflikt gerieten. Die Einstufung gibt es bereits seit der Zeit vor dem Angriff auf die Ukraine im Februar 2022.
Ob die neue Regelung für sie Konsequenzen haben wird, weiß Neschtscheret nicht. Der Branchenverband RKS hat gewarnt, dass Buchläden unangekündigten Besuch von Behördenvertretern bekommen könnten. Werke „ausländischer Agenten“ seien für die Händler hochriskant. „Es gab noch keine Fälle, in denen jemand wegen des Gesetzes eine Geldstrafe zahlen musste“, sagt Neschtscheret. „Aber es herrscht Anspannung. Natürlich möchte niemand der Erste sein.“ Ihre fünf Mitarbeiter verbringen drei bis vier Schichten im Monat damit, betroffene Bücher zu kennzeichnen. Damit hofft sie, dass sie sich an das Gesetz hält.
„Furchtbar kompliziert“
Für Neschtscheret ist das eine zusätzliche Belastung. Sie müsse nicht nur alle Gesetze zu Druckerzeugnissen berücksichtigen, sondern auch aus dem Kulturbereich. „Das ist furchtbar kompliziert.“ Andere Händler gingen noch vor Inkrafttreten des Gesetzes lieber auf Nummer sicher und verkauften die fraglichen Bücher mit Nachlass ab.
Autor: Kritiker sollen zu Außenseitern werden
Die russische Regierung begründet die Regelung zu ausländischen Agenten als notwendigen Schritt, um die Gesellschaft vor feindlicher Einmischung aus dem Ausland zu schützen. Kritiker wie der im Exil lebende Schriftsteller Dmitri Gluchowski sehen darin einen Versuch, Andersdenkende mundtot zu machen. „Der Zweck ist, alle, die den Krieg, Wladimir Putin oder die Politik der Regierung kritisieren, aus der Öffentlichkeit und aus den Medien auszugrenzen und sie zu Außenseitern zu machen“, sagt der Romanautor.
Im Laden von Elena Neschtscheret werden weiter Bücher gekauft. Eine Kundin, Irina, sieht das neue Gesetz gelassen. Zensur sei wahrscheinlich normal und habe schon immer existiert. „Aber ich glaube, ein Buch findet immer seinen Leser. Das kann man nicht verhindern.“
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