Sie sind kaum drei Wochen alt – und haben dennoch bereits einen 1400 Kilometer langen Leidensweg hinter sich. Wieder einmal tauchen beklemmende Bilder auf, die klar belegen: Österreichs „überschüssige“ Kälber verschwinden in einem europaweiten System, das sie bis nach Libyen, Ägypten oder den Libanon bringt – wo viele ohne Betäubung geschlachtet werden.
Während einige EU-Landwirtschaftsminister diese Woche über ein Verbot der Bezeichnung „Veggie-Burger“ nachdenken, treten auch dieser Tage wahrscheinlich wieder Hunderte Kälber ihren schicksalhaften Transport von Europa nach Nordafrika an. Die Reise beginnt oft auf unscheinbaren Sammelstellen in Bayern oder Österreich. Noch auf die Milch ihrer Mutter angewiesen, werden die Kälber dort trotzdem auf enge Transporter verladen und Richtung Spanien gefahren.
Laut einer aktuellen Recherche der Plattform „The Marker“ und der Tierrechtsorganisation „SOKO Tierschutz“ dauerte ein dokumentierter Transport im April rund 22 Stunden – trotz EU-Vorgabe, die Kälbertransporte auf acht Stunden zu begrenzen. Entladung? Fehlanzeige. Die Tiere blieben teils stundenlang im LKW.
Spanien auf Mast spezialisiert
In Spanien angekommen, erwartet die Kälber kein besseres Schicksal. Mastbetriebe, die sich auf männliche Jungtiere aus Milchbetrieben aus halb Europa spezialisiert haben, nehmen die völlig gestressten Tiere auf. Was die Rechercheteams dort sahen, lässt erschaudern: kranke, sterbende, tote Kälber. Ihre Herkunft? Ein Blick auf die Ohrmarken zeigt: Sie kamen aus Österreich, Deutschland, Litauen, Frankreich, Tschechien, Irland. Europa vereint – im Leid der Nutztiere.
Doch das ist erst der Anfang. Über den Hafen von Tarragona treten laut den Aufdeckern viele dieser Tiere nach der Mast eine weitere Reise an: per Schiff nach Nordafrika und in den Nahen Osten. Mit offiziellen Ladelisten der „Animal Welfare Foundation“ konnte „The Marker“ nachweisen, dass Kälber aus österreichischen Betrieben in Libyen, im Libanon und in Ägypten geschlachtet wurden – oftmals ohne jegliche Betäubung.
Politik wäre gefordert, endlich zu handeln
Was die Aufdecker zudem offenlegen: Ein System ohne Kontrolle. Bauern wissen oft nicht, wo ihre Tiere landen. Behörden schauen weg. Verantwortung? Fehlanzeige. Die Zuständigkeit wird von einer Stelle zur nächsten weitergereicht – solange, bis keiner mehr verantwortlich ist.
„Wir sehen nur die Milch im Supermarkt“, sagt The Marker-Gründerin Ann-Kathrin Freude. „Doch dahinter steckt ein System, das wir nicht sehen sollen. Die Öffentlichkeit weiß oft nicht, was mit den männlichen Kälbern passiert – weil wir sie nicht brauchen. Für die Milchproduktion sind sie nutzlos.“
Die Tierschutzorganisation hat bereits Anzeige gegen die Transportfirma erstattet – unter anderem wegen mutmaßlich falscher Angaben und Überschreitung der zulässigen Transportzeiten. Doch der Skandal reicht tiefer. Denn er zeigt, was passiert, wenn wirtschaftliche Logik Leben ersetzt – und niemand mehr fragt, wohin das Tier am Ende gebracht wird.
Es sind Bilder, die nicht mehr loslassen. Von hilflosen Kälbern, die nichts als Kostenfaktor sind. Von Lkws ohne Entladung. Von einem Europa, das tierschutzrechtlich nach außen glänzen möchte – aber im Inneren ein System duldet, das Schmerz, Angst und Tod billigend in Kauf nimmt.
Wäre ich Schauspielerin und müsste bei einer Szene herzerweichend weinen – ich hätte kein Problem damit. Ich müsste nur an die unzähligen abscheulichen Bilder und Videos von Kälbertransporten denken. Das Leid, das Elend, die Tragik, die sich täglich auf Straßen und Schiffen abspielt, ist kaum zu beschreiben – am ehesten wohl mit: GNADENLOS!
Entzückende Tierbabys, die ihre noch viel zu langen Beine gar nicht unter Kontrolle haben. Unschuldige Lebewesen, die mit ihren dunklen großen Augen, die von langen geschwungenen Wimpern eingefasst sind, die voll Zuversicht in die Welt schauen. Die sofort zu saugen beginnen, sobald man ihnen die Hand entgegenstreckt. Gerne würden sie mit ihrer Mutter auf der Weide stehen und sich zwölf Wochen oder mehr die Milch schmecken lassen. Aber die Realität ist anders – geprägt von Angst, Hunger, Durst und Bewegungseinschränkung.
Wir verladen diese Tierkinder auf Transporter und verschleppen sie in die ganze Welt. Tagelang in brütender Hitze, genauso wie in eisiger Kälte. Der Weg ist lang, die Versorgung oft mangelhaft. Ja, die Gesetze sind schon strenger geworden im Laufe der Zeit – aber wer hält sich schon daran? Es handelt sich doch nur um ein „unbrauchbares Nebenprodukt der Milchindustrie“. Es ist unsere Verantwortung als Gesellschaft, dieses stille Leid nicht länger zu akzeptieren. Es geht nicht nur um Kälber. Es geht um Ethik. Um Würde. Um die Frage, was ein Lebewesen uns wirklich wert ist.
Es ist höchste Zeit, dass wir, dass Österreich, Europa Verantwortung übernimmt für jene, die keine Stimme haben, aber Schmerz empfinden. Es gibt Alternativen. Es gibt Verbesserungen. Aber, es fehlt noch immer der Wille zur Veränderung.
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