70 Jahre Staatsvertrag

Heute ist österreichische Neutralität vollkommen

Österreich
15.05.2025 08:00

Genau vor 70 Jahren, am 15. Mai 1955, wurde in Wien der Österreichische Staatsvertrag unterzeichnet. Er gilt als wesentlich für die Entwicklung eines eigenständigen Österreichbewusstseins. Der Grazer Historiker Peter Ruggenthaler zeigte sich im „Krone“-Gespräch überzeugt, dass unsere Neutralität heute vollkommen sei und sich die Alpenrepublik nichts mehr von Moskau vorschreiben lassen müsse.

Zehn Jahre nach der Befreiung und Besetzung Österreichs 1945 einigten sich die Sowjetunion, die USA, Großbritannien und Frankreich auf ein völkerrechtlich verbindliches Vertragswerk, das die Staatlichkeit und Souveränität Österreichs wiederherstellte. Schon 1943 hatten die „Großen Drei“ (noch ohne Frankreich) auf der Moskauer Außenministerkonferenz beschlossen, Österreich als Staat wiederherstellen zu wollen. In der „Moskauer Deklaration“ wurde den Österreichern aber auch klar gemacht, dass sie an ihrem eigenen Beitrag zur Befreiung von der NS-Herrschaft gemessen würden.

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Moskau hoffte, ein neutrales Österreich in stärkere (wirtschaftliche) Abhängigkeit zur Sowjetunion zu bringen und sah die Neutralität als Vorstufe zum Sozialismus.

(Bild: BIK)

Peter Ruggenthaler

„Krone“: Wieso stellte Österreich in diesem Zusammenhang einen Sonderfall dar?
Peter Ruggenthaler: Österreich wurde zwar – wie Deutschland – von allen vier Alliierten besetzt, zählte aber nicht zu den Feindstaaten. Dennoch war Österreich auch kein befreundetes Land. Aus völkerrechtlicher Sicht bedurfte es daher eines international gültigen „Staatsvertrags“, um Österreich als Staat zu restaurieren.

Peter Ruggenthaler, Jahrgang 1976, ist stellvertretender Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung Graz. Er studierte Geschichte und Slawistik in Graz und in St. Petersburg und forschte von 1998 bis 2022 mit dem Schwerpunkt Kalter Krieg in russischen Archiven.
Peter Ruggenthaler, Jahrgang 1976, ist stellvertretender Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung Graz. Er studierte Geschichte und Slawistik in Graz und in St. Petersburg und forschte von 1998 bis 2022 mit dem Schwerpunkt Kalter Krieg in russischen Archiven.(Bild: BIK)

Die Staatsvertragsverhandlungen begannen jedoch erst anderthalb Jahre nach Kriegsende.
Dies war der Fall, da das Schicksal Deutschlands und die Friedensverträge mit den militärisch besiegten Staaten Priorität hatten. Heute wissen wir, dass Moskau nicht an einem raschen Truppenabzug aus Ostösterreich interessiert war. Denn die Präsenz der Roten Armee sicherte auch deren Stationierung in Ungarn und Rumänien – offiziell zum Zweck der Versorgung der Besatzungstruppen in Österreich. Dies war den Amerikanern ein Dorn im Auge, doch ihre Versuche, diese Regelung zu kippen, scheiterten. Ein weiteres Hindernis waren die jugoslawischen Gebietsansprüche an Kärnten, die von der UdSSR zunächst unterstützt wurden. Nach dem Bruch Titos mit Stalin 1948 schwächte sich diese Unterstützung ab. Als diplomatischer Kompromiss entstand der „Artikel 7“ des Staatsvertrages, der die Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten garantierte. 1949 schien der Weg zum Vertragsabschluss frei, doch auch auf westlicher Seite stand ein Truppenabzug nicht mehr außer Zweifel. Westösterreich war längst in die militärische Verteidigungsstrategie des Westens eingebunden. US-Präsident Truman entschied 1949, einen Staatsvertragsabschluss unter den bestmöglichen Bedingungen anzustreben. In Moskau wurde jedoch klar gemacht, dass man nicht an einem schnellen Abschluss interessiert war.

Buchtipp: Mark Kramer – Aryo Makko – Peter Ruggenthaler (Hg.), The Soviet Union and Cold War Neutrality and Nonalignment in Europe. Harvard Cold War Studies Book Series. Lanham et al. 2021.
Buchtipp: Mark Kramer – Aryo Makko – Peter Ruggenthaler (Hg.), The Soviet Union and Cold War Neutrality and Nonalignment in Europe. Harvard Cold War Studies Book Series. Lanham et al. 2021.(Bild: ZVg.)

Wieso war der Kreml nicht bereit, Österreich preiszugeben?
Wirtschaftliche Interessen (Erdölfunde, sowjetische Betriebe) und strategische Gründe sprachen gegen einen Abzug. Mit dem Korea-Krieg 1950 blockierte Stalin die Verhandlungen endgültig. In dieser Phase vertrat vor allem die KPÖ eine Neutralitätslösung, die in der Öffentlichkeit als kommunistisch anrüchig galt. In der „Eiszeit“ des Kalten Krieges 1950/51 ging es den Großmächten nur noch darum, sich gegenseitig die Schuld zuzuweisen. Anfang 1952 ergriffen die Westmächte die Initiative, doch Stalin verhinderte substantielle Verhandlungen. Die Amerikaner arbeiteten einen „Kurzvertrag“ aus, der Österreich nach dem Truppenabzug eine freie Bündniswahl ermöglicht hätte – was Moskau natürlich ablehnte. Mit der „Stalin-Note“ lockte Moskau zwar Deutschland mit Neutralität, doch es was nur ein taktisches Manöver, um die DDR vollständig in den Ostblock zu integrieren.

Wie kam es schließlich zur Neutralitätslösung?
Die österreichischen Politiker erkannten, dass sie gegen die weltpolitische Konstellation nichts ausrichten konnten und dass es keinen Sinn machte, sich fast ausschließlich auf Washington zu verlassen. Ein Kreis um Julius Raab in der ÖVP schlug den Weg des finnischen Premiers Kekkonen vor: eine Neutralisierungslösung, ohne Österreich in eine „Volksdemokratie“ zu verwandeln. Ob Stalin je sein Einverständnis für einen Abzug gegeben hätte, bleibt unklar. Nach seinem Tod 1953 gewährte die neue sowjetische Führung Erleichterungen im Besatzungsalltag. Erst Anfang 1955 ging Chruschtschow in die Offensive und lud die österreichische Regierung nach Moskau ein. Das Zauberwort hieß Neutralität. Im Moskauer Memorandum einigte man sich darauf, dass Österreich aus freien Stücken nach Abzug der Alliierten die immerwährende Neutralität beschließen würde. Moskau hoffte, ein neutrales Österreich in stärkere (wirtschaftliche) Abhängigkeit zur Sowjetunion zu bringen und sah die Neutralität als Vorstufe zum Sozialismus. Vor allem aber sollte sie Österreich dauerhaft von Deutschland trennen. Der Weg zum Staatsvertrag wurde so letztlich in Moskau entschieden, mit Neutralität als Preis für die Freiheit. Heute nach 70 Jahren ist die österreichische Neutralität vollkommen. Österreich muss sich von Moskau nichts mehr vorschreiben lassen, es kann seine Außenpolitik selbst bestimmen. Wien muss keine Rücksicht mehr nehmen, ob es Russland vor den Kopf stößt, wenn es den Kreml berechtigterweise kritisiert.

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