Stadtspaziergänge

Gürtel: Wien braucht antikapitalistische Subkultur

Wien
07.03.2024 13:00

„Krone“-Reporter Robert Fröwein flaniert durch die Stadt und spricht mit den Menschen in Wien über ihre Erlebnisse, ihre Gedanken, ihre Sorgen, ihre Ängste. Alltägliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Vor knapp einem Monat erschütterte eine Nachricht die Wiener Subkulturszene. Das beliebte Underground-Gürtellokal Venster99 wurde quasi über Nacht behördlich geschlossen. Via Social Media wurde von den Betreibern verlautbart, man habe Probleme mit behördlichen Kontrollen. Im Netz verbreiteten sich diverse Gerüchte wie ein Lauffeuer und neben der bloßen Information, dass eine wichtige Institution für eine Nischenmusikszene, die hauptsächlich Punk-, Hardcore- und Metalfans bediente, bis auf unbestimmt schließen muss, wurden auch Diskussionen über österreichische Bürokratie und den wiehernden Amtsschimmel lauter. Die exakten Details über die temporäre Schließung liegen im Nebulösen, doch Fakt ist, dass sich das Venster99 nicht als gewinnorientierter Betrieb sieht, sondern als organisierter Verein, der einen autonomen Freiraum anbietet.

Er engagiert sich, laut eigenem Statement, für eine diverse, nicht-kommerzielle und anti-hierarchische Kulturarbeit. Auf gut Deutsch: die Eintritts- und Bierpreise variieren je nach Lust und Laune, kleinste Undergroundbands können sich ohne großen Aufhebens ihre ersten Livesporen verdienen und eine gute Zeit in einer Lokation haben, die nach außen hin keine Lärmbelästigung verursacht und als interessierter Besucher kann man sich treiben lassen, ohne sich Wochen vor einem Event über diverse Vorverkaufskanäle gen Privatkonkurs zu vergaloppieren. Das Venster99 ist, noch mehr als andere Lokale unter den Gürtelbögen, ein Safe Space für Junge und Junggebliebene, die sich abseits von Pflichten und Regeln eine gute Zeit bereiten und sich untereinander unterstützen, ohne dabei von der allumfassenden Keule des Neoliberalismus erschlagen zu werden.

Abgesagte Konzerte wurden temporär auf andere Locations wie die Arena oder das Rhiz verschoben, vielmehr geht es aber um die Frage, wie man als Millionenstadt mit Subkultur umgehen will. Dass gewisse Regeln und Pflichten zu einem konsentierten Miteinander gehören, liegt auf der Hand. Doch in einer zunehmend von Beschränkungen und bürokratischen Überbelastungen durchdrungenen Gesellschaft, geht es niederschwelligen Anlaufstellen für Künstler und Kunstinteressierte zunehmend an den Kragen. Die Frage ist vielmehr eine zwischenmenschliche, als eine beamtete: Will man die letzten Wurzeln kultureller Freiheit ohne Gewinnorientierung kappen? Ist es notwendig, die ohnehin nahe an der Existenzgrenze mäandernde Kunst- und Kulturwelt weiter zu reglementieren? Und möchte man tatsächlich einen wichtigen Raum für Diversität zerstören, indem man durch die Schließung Menschen mit schmälerem Börserl Freizeit- und Kulturmöglichkeiten nimmt?

Man errichtet Schranken an freien Zonen, die niemanden stören. Man strukturiert und nimmt Veranstaltern und Künstlern die Möglichkeit, sich ohne großen Stress und ohne anderen zu schaden, auszuprobieren und scheitern zu dürfen. Für das Gros der Menschen mögen subkulturelle Szenen schmuddelig, grindig oder abartig wirken. In einer Zweimillionenstadt muss neben dem Champagner am Graben aber auch Raum für das Dosenbier an der U-Bahn sein. Neben dem Prunk in der Staatsoper verschmierte Wände in den Gürtel-Lokalen. Neben dem filigranen Walzer das rotzige Punk-Konzert. Es geht nicht darum, dass Subkultur sich über das Gesetz stellen und mit allem durchkommen soll. Aber es geht um die Frage, wie man im öffentlichen Raum mit jenen umgeht, die kein Gewinnbestreben, aber eine gemeinschaftlich gute Zeit haben wollen. Die sich nicht dem Diktat des Turbokapitalismus unterwerfen. Gemeinschaft gilt für uns alle und eine Weltstadt muss Raum für nichtkommerzielle Subkultur zur Verfügung stellen.

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