„Schneiders Brille“

Die Mitte schweigt

Vorarlberg
10.02.2024 17:45

In einer scheinbar entzweiten Gesellschaft, in der die extremen Positionen immer lauter vertreten werden, stellt sich „Krone“-Kolumnist Robert Schneider die Frage, ob das beharrliche Schweigen der Mitte nicht problematisch ist.

Irgendwie ist es mit der allgemeinen Stimmungslage wie mit der gefühlten Temperatur. Man denkt, es ist arschkalt, dabei hat es zehn Grad plus. In einer „Welt des rasenden Stillstands“, um einen Begriff des Soziologen Hartmut Rosa zu gebrauchen, wo wir immer mehr Energie verschleudern, um unseren Status quo zu erhalten, aber kaum mehr Wachstum generieren, was nach Marx ja das unweigerliche Ende jeder kapitalistischen Gesellschaft sein muss, in dieser Welt also erleben wir uns nur noch als Stechende und Hauende. Niemand ist mehr an der Meinung des Anderen interessiert, weil der eh blöd ist, uniformiert, und weil es überhaupt zu viel Kraft und Zeit kostet, einander zuzuhören. Jeder sitzt in seiner eigenen Bubble, jeder hat sich seine Bastelreligion zurechtgelegt, seinen kuscheligen Fleckerlteppich vom Verständnis der Welt. Die Gesellschaft ist entzweit.

Nun ist im vergangenen Jahr ein sehr denkenswertes Buch mit dem Titel „Triggerpunkte“ erschienen. In dieser Studie kommen der Soziologe Steffen Mau und seine Mitautoren zu dem Ergebnis, dass die Krisen der verstrichenen fünf Jahre unsere Gesellschaft nicht wesentlich gespalten haben. In einem Interview mit dem Radiosender NDR-Kultur sagt Mau: „Die Lagebeschreibung, wir befänden uns in einem großen Kulturkampf oder in einer gespaltenen Gesellschaft, die ist viel zu pauschal. Das heißt nicht, dass wir keine Konflikte haben und dass wir uns nicht an vielen Dingen reiben. Aber dass sich feindliche Lager gegenüberstehen, das stimmt nicht.“

Die Studie untersucht jene Schauplätze, wo „gefühlt“ gerade besonders gehauen wird: Ungleichheit, Migration, Diversität und Klima. Die gesellschaftlichen Ränder werden lauter, konstatiert Mau, aber die Mitte der Gesellschaft nicht. „Die haben gar nicht mehr so starke politische Leidenschaften (...) Die Mitte ist sozusagen geräuschmäßig zurückgefahren und abgedimmt.“ Nach der Lektüre blieb mir allerdings eine Frage: Ist es gut, wenn die Mitte so beharrlich schweigt?

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