„Krone“-Reporter Robert Fröwein flaniert durch die Stadt und spricht mit den Menschen in Wien über ihre Erlebnisse, ihre Gedanken, ihre Sorgen, ihre Ängste. Alltägliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Herbstzeit ist Kampfzeit. Alljährlich, wenn die Sonne tiefer steht und Nebelschwaden den Morgen verdunsten, rüsten sich die Gewerkschaften bei den Kollektivvertragsverhandlungen für den Kampf um Lohnerhöhungen und bessere Bedingungen für die Arbeitnehmer. Das Hin und Her zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite ist per se schon ein annualer Tanz auf rohen Eiern, seit die Inflation aber den Turbohybrid angeworfen hat und gar nicht daran denkt, zu einem Normalzustand zurückzukehren, sitzen die beiden Parteien mit dem Messer zwischen den Zähnen am Verhandlungstisch. Die Diskussionen um den neuen KV der Metaller überschritten heuer Grenzen, deren Übertritt man bislang nicht für möglich hielt. Erst sorgte eine „anonyme Drohung“ für eine kurze Unterbrechung, dann sendete Gewerkschafts-Chefverhandler Reinhold Binder mit dem Satz „Mit die (sic!) Einmalzahlungen können’s scheißen gehen!“ eine unmissverständliche Botschaft aus.
Die Arbeitgeberseite bietet derzeit 2,5 Prozent mehr Lohn und eine Einmalzahlung von 1050 Euro an. Die Gewerkschaft fordert angesichts der nicht aufzuhaltenden Teuerungen im Alltag 11,6 Prozent Lohnerhöhung - die Fronten sind so verhärtet wie selten zuvor. Doch nicht nur im Metallersegment changiert man zwischen zwei unverrückbaren Polen. Ein Gehaltsplus von 11 Prozent fordern auch die Vertreter der rund 430.000 heimischen Handelsangestellten. Noch prekärer ist die Situation im Journalismus, wo der Verband österreichischer Zeitungen den Kollektivvertrag ohne Ankündigung und Vorgespräch einseitig kündigte. Ein Novum in der heimischen Betriebslandschaft, die die so hochgepriesene Sozialpartnerschaft ad absurdum führt.
Die derzeitige Pattstellung kommt angesichts der aktuellen Weltlage wenig überraschend. Auftragsrückgänge und gestiegene Energie- und Instandhaltungskosten seitens der Arbeitgeber stehen den Arbeitnehmern gegenüber, die wegen der grassierenden Inflation jeden einzelnen Cent in der Tasche doppelt und dreifach umdrehen müssen. Die harsche Wortwahl Binders mag nicht dem guten Ton entsprechen, spiegelt aber nur die Verzweiflung wider, die sich auf der Arbeitnehmerseite gebildet hat. „Wir sollen uns immer krumm arbeiten und die da oben streifen dann das Geld ein“, erzählte mir letztens eine mir bekannte, anonym bleibende Mitarbeiterin im Supermarkt meiner Wahl, „unser Verdienst ist für die Stunden und Arbeitszeiten schon jetzt ein Wahnsinn und jetzt wollen sie uns nicht einmal die Teuerungen abgelten. Eine einzige Frechheit ist das.“
So sehr sich manche Kleinbetriebe auch abplagen und ums Überleben kämpfen - dass viele Konzerne während der Pandemie Milliardengewinne eingenommen haben und die Manager noch dazuverdienten, hat sich der „kleine Mann“ gemerkt. Während man den Arbeitnehmern die Teuerungsausgleiche streitig macht und oft die Rute ins Fenster stellt, sitzen Top-Manager mit ausgehandelten Boni-Paketen und erfolgreichen Unternehmensbeteiligungen auf einem gut gepolsterten Sessel. Die Wut der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften resultiert auch aus der immer weiter aufklaffenden Schere der Ungerechtigkeit. Aus der Forderung, immer länger arbeiten zu müssen, aber unfair entlohnt zu werden. Darauf, dass man sich mit dem Erarbeiteten immer weniger leisten und noch weniger sparen kann. Die Wurzen des Problems liegen viel tiefer als nur bei den KV-Herbstverhandlungen. Doch langsam bricht der Boden darüber auf.
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