Stadtspaziergänge

Arena: Eine Kulturstadt braucht Raum für Lärm

Wien
21.10.2023 11:00

„Krone“-Reporter Robert Fröwein flaniert durch die Stadt und spricht mit den Menschen in Wien über ihre Erlebnisse, ihre Gedanken, ihre Sorgen, ihre Ängste. Alltägliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Graffittis zieren die Fassaden, der ruppige Charme des Personals - auch gerne „Erdberger Freundlichkeit“ genannt - sucht in Wien seinesgleichen und wer seine Getränke mit Karte zahlen will, wird Richtung U3 zum nächsten Bankomaten geschickt. Nur Barzahlung ist erwünscht. Dazu wabert mit dem einen oder anderen Windstoß das Odeur von Tierkadavern in die Nasen der Konzertbesucher. Die Arena ist selbst in einer Stadt der Besonderheiten ein Unikum. Hier rezitierten H.C. Artmann oder Alfred Kolleritsch ihre Texte, hier fand 1976 eine dreimonatige Besetzung gegen den Bau eines Textilkonzerns statt und hier verliebten sich internationale Top-Stars von David Bowie bis Bad Religion in das Veranstaltungsareal mit Seele und Kanten. In einer Welt der zunehmenden Gleichförmigkeit und Anpassung ist die Arena so etwas wie Gallien: aufmüpfig, wehrhaft, durchwegs sympathisch.

Nach dem Bezug der zwei neu gebauten Wohntürme in direkter Umgebung ficht die Arena gerade ihren schwersten Kampf seit knapp 50 Jahren. Teile der neuen Anrainer fühlen sich vom Lärm der Open-Air- als auch Club-Konzerte belästigt. Erste Verbesserungen wurden erst kürzlich fixiert. So bekommt die Veranstaltungslocation eine von der Stadt Wien mitfinanzierte neue Soundanlage, die Klang und Lautstärke im dafür vorgesehenen Veranstaltungsareal bündelt, während das Lautstärkeempfinden außerhalb um etwa die Hälfte gedämpft werden soll. Damit sollen die - zugegeben wenigen - Beschwerden aus den neuen Wohnkomplexen aufhören. Dass alle neuen Anrainer vorab über die Situation informiert wurden, scheinen manche nicht gelesen zu haben.

Martin ist mit seiner dreiköpfigen Familie einer der neuen Wohnungsmieter. Er ist Musikliebhaber und sieht die Arena als wichtige kulturelle Institution. „Wenn im Sommer die Freiluftkonzerte stattfinden und wir am Balkon sitzen, kriegen wir ein bisschen davon mit, was toll ist. Und um spätestens 23 Uhr ist alles wieder vorbei.“ Die Aufregung so mancher Nachbarn kann er nicht im Ansatz nachvollziehen. „Wir wussten alle, dass hier die Arena ist und dass es eine Autobahnauffahrt gibt. Da finde ich den ÖAMTC-Hubschrauber anstrengender, der Tag und Nacht startet und landet und dabei wirklich laut sein kann.“ Die Arena kämpft seit geraumer Zeit auch gegen Lärmbeschwerden von Indoor-Events in der kleinen Halle an. Eine größere Sanierung ist fraglos notwendig und geplant, muss aber auch finanziert werden.

Abseits der technischen Diskussionen bleibt die grundlegende Frage, ob man Anrainern auch bei Zuzug alle Rechte einräumen soll und wie man mit kulturellen Institutionen generell umgeht. „Im Supermarkt einen wurmigen Apfel kaufen und ihn dann drei Tage später zurückgeben wollen, das geht sich auch nicht aus“, versucht sich ein Konzertbesucher an einem metaphorischen Vergleich. Mit unerwünschtem Lärm ist nicht zu spaßen, er führt zu Streit und Zwistigkeiten. Zur von vielen Menschen gewünschten Eigenverantwortung gehört aber auch, sich vorab zu informieren und das Für und Wider einer neuen Wohnsituation abzuwägen. Eine Kulturstadt braucht indes Raum für alternative Kunst, für Aufmüpfigkeit und Traditionspflege. Und sie muss früh genug darauf achten, wo Gentrifizierung Sinn macht und wo sie ins Absurde geht …

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