Das große Interview

Ist das Dirndl ein Politikum, Frau Tostmann?

Persönlich
24.04.2022 06:00

Ein absurder Tweet über die Tracht als „Nazi-Code“ lässt die Wogen hochgehen. Gexi Tostmann, Österreichs Grande Dame des Dirndls, spricht über rechtsextreme Vereinnahmung, Lederhosen um 9,90 Euro, Pamela Rendi-Wagners Bürgerlichkeit und den Stil von Andreas Gabalier.

Eine Steintreppe führt vom Innenhof des Tostmann-Trachtengeschäftes in der Wiener Schottengasse hinauf in die Mölkerbastei. In den alten Gewölben finden immer wieder Ausstellungen und Lesungen statt. Beim Interview trägt Gexi Tostmann einen sogenannten „Leiblkittel“ in Olive und Aubergine, dazu eine weiße Bluse und einen Janker mit Hirschknöpfen. „Tiefe Dirndl-Dekolletés waren nie meins“, lacht die 80-Jährige und serviert Kaffee aus Gmundner Keramik. Über der Tür hängt eine Perchtenmaske.

„Krone“: Sagt Ihnen der Name Sylvia Heiss etwas?
Gexi Tostmann: Ich versuche seit Tagen, sie zu erreichen. Heute Nachmittag schicke ich ihr wieder ein Mail. Sie wird merken, dass ich sehr beharrlich sein kann.

Die Tracht sei ein legaler Code für illegale Nazis, schrieb die AK-Rätin auf Twitter. Was würden Sie ihr denn gerne sagen?
Dass das ein kompletter Blödsinn ist und dass es bedenklich ist, sich dabei auf ein Buch von Elsbeth Wallnöfer zu berufen, das in meinen Augen ein Pamphlet ist. Allein auf den beiden Seiten, auf denen Tostmann vorkommt, sind 16 Fehler drin. Ich möchte dieser Frau Heiss aber nicht als Kritikerin, sondern als Brückenbauerin gegenübertreten.

Welche Brücke wäre das?
Meines Wissens hat sie sich ja noch nicht entschuldigt. Wenn sie also sagt, dass es ihr leidtut, dann hätte ich einen Bußvorschlag für sie. Sie könnte zum Beispiel vierteljährlich im Dirndl ins Büro gehen, das ich ihr für diese Zwecke gerne borge. Und dann werden wir sehen, ob sie drüber lachen kann.

Die Tracht mit einem „Nazi-Code“ in Verbindung zu bringen, ist ja nicht sehr lustig. Denken Sie da auch an eine Klage?
Klagen müssten die zwei Politikerinnen und der Kanzler, deren Foto kommentiert wurde. Beide Dirndl sind übrigens Tostmann-Dirndl, auch wenn das jetzt Werbung ist. Nur beim Trachtenjanker von Karl Nehammer bin ich mir nicht sicher.

Was war Ihr erster Gedanke?
„Nicht schon wieder!“ Und dann ist mir Kreisky eingefallen: „Lernen Sie Geschichte!“

Aber das Dirndl hat im Nationalsozialismus sehr wohl eine große Rolle gespielt. Wie gehen Sie als oberste Trachtenbotschafterin mit diesem Teil der Geschichte um?
Es ist unsere Geschichte, und sie ist furchtbar. Die Nazis haben die Tracht missbraucht. Und was jetzt passiert, ist ebenso Missbrauch. Aber was kann bitteschön das Dirndl dafür?

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Die Nazis haben die Tracht missbraucht. Was jetzt passiert, ist ebenso Missbrauch. Aber was kann bitteschön das Dirndl dafür?

Gexi Tostmann

Jüdinnen war im Dritten Reich das Tragen von Dirndln verboten. Grenzt die Tracht aus?
In Salzburg gab es tatsächlich eine entsprechende Verfügung. Gleichzeitig haben sehr viele jüdische Familien, nicht nur die Rothschilds, sehr gerne Tracht getragen. Nein, die Tracht grenzt nicht aus. Menschen grenzen aus. So wie der Turnvater Jahn einmal gesagt hat: Solange eine klein gedrängte Völkerschaft noch ihre Volkstümliche Kleidung trägt, ist sie gegen Einschmelzung geharnischt. Furchtbar.

Dürfen dann auch Nazis Dirndl und Lederhosen tragen?
Jeder darf Tracht tragen, sie ist eine Volkstracht.

Ist das Dirndl ein Politikum?
In gewisser Weise ja, weil es meist eine gewisse Bürgerlichkeit verrät. Aber auch Regionalität und Nachhaltigkeit. Weg von der Wegwerfgesellschaft! Ein Dirndl wird oft von vielen Generationen getragen, unsere Dirndln werden zu hundert Prozent in Österreich hergestellt.

Was ist der Unterschied zum 19,90-Euro-Dirndl oder zur 9,90-Euro-Lederhose?
Die Ausbeutung in Fernost. Es ist eine Schande, dass auch europäische Firmen dort Trachten produzieren lassen. Da fehlen mir die Worte. Den Unterschied sehen Sie übrigens auf den ersten Blick.

Apropos Bürgerlichkeit: Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner trägt Dirndl.
Studium, Hochzeit, Kinder. Das ist doch bürgerlich. Auch eine Sozialdemokratin kann bürgerlich sein.

Wie viele haben Sie schon zur Tracht bekehrt?
Oh, das waren einige. Den Hannes Androsch musste ich nicht bekehren, der trägt das freiwillig. - Lacht. - Aber den Bundespräsidenten. Früher den Erhard Busek. Und in letzter Zeit Sarah Wiener, sie ist ein echter Dirndlfan geworden.

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Was Gabalier trägt, ist weiß Gott eine andere Tracht. Ist nicht ganz mein Stil.

Gexi Tostmann

Andreas Gabalier trägt gerne Tracht. Hilft das dem Image?
Was Gabalier trägt, ist weiß Gott eine andere Tracht. Ist nicht ganz mein Stil. Ich hab ihn mal bei Barbara Stöckl kennengelernt, er ist eigentlich sehr nett und wohlerzogen.

Wie viele Dirndl besitzen Sie eigentlich?
Ich habe in einem Fernsehinterview einmal gesagt, dass ich ein Jahr lang jeden Tag ein anderes Dirndl anziehen könnte. Daraus ist die Ausstellung „Gexi Tostmann: Meine 365 Dirndln erzählen“ entstanden, die meistbesuchte, die wir je hatten. Beim Zusammenräumen bin ich unlängst draufgekommen, dass es in Wahrheit noch viel, viel mehr sind. Sie reichen locker für ein zweites Leben.

Schönes Stichwort: Glauben Sie, dass nach dem Tod noch etwas kommt?
Natürlich. Ich rechne mit der Wiedergeburt. So wie es ein Leben vor der Geburt gibt, so gibt es auch ein Leben nach dem Tod. Ich hoffe, ich war ein halbwegs gutes Wesen, damit ich nicht als Schnecke oder sowas wiederkehre. - Lacht.

Wie möchten Sie einmal sterben?
Ich möchte das Sterben erleben. Also bewusst gehen, Abschied nehmen können von dieser Welt. Und weil eine andere Welt wartet, ist der Gedanke daran auch überhaupt nichts Schweres.

Oberste grüne Trachtenexpertin

Gesine Maria „Gexi“ Tostmann, geboren im August 1942 in Vöcklabruck. Studium der Volkskunde und Geschichte, ihre Dissertation schreibt sie zum Thema „Wechselwirkung von Tracht und Mode in Österreich“. 1968 übernimmt sie das 1949 gegründete Unternehmen der Eltern, 2004 übergibt sie es an ihre Tochter Anna. Tostmann Trachten beschäftigt mehr als 100 Mitarbeiterinnen. Gexi Tostmann leitet den Kulturverein „Mölkerstiege“, engagiert sich für Umweltprojekte und unterstützte Alexander Van der Bellen im Wahlkampf.

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