Klatschen reicht nicht

Die stillen Helfer in Pandemie-Zeiten

Österreich
05.12.2021 06:02

Sie versorgen Corona-Kranke. Sie stehen anderen bei, die durch das Virus ausgelöste Krise zu bewältigen. Sie sind mit Not und Elend konfrontiert. In einem Buch kommen nun Menschen in Extremberufen zu Wort.

„Klatschen reicht nicht“ - so lautet der Titel eines Buches, das kürzlich im Leykam-Verlag erschienen ist. In dem über Menschen berichtet wird, an die seit dem Ausbruch der Pandemie sehr hohe Anforderungen gestellt werden.

„Die meisten von ihnen“, erklärt Autorin Luna Al-Mousli, „sind in eher schlecht bezahlten Berufen oder gar ehrenamtlich tätig.“ An Arbeitsplätzen, an denen manche der Befragten sogar einer erhöhten Gefahr ausgesetzt waren - und sind -, sich mit dem Virus zu infizieren.

Eine Heimpflegerin und eine Krankenschwester sind unter den Interviewten - und auch ein Hilfsarbeiter, eine Spitals-Reinigungskraft und ein Fahrradbote. Oder die Leiterin der Telefonseelsorge, ein Sanitäter und eine Obdachlosenhelferin (siehe unten).

„Durch die Gespräche mit meinen Protagonisten“, so Luna Al-Mousli, „werden Ungerechtigkeiten aufgezeigt, die immer schon bestanden haben - aber seit Corona offenkundig geworden sind. Sei es, dass die Betreffenden der Angst ausgeliefert sind, arbeitslos zu werden. Sei es, dass sie extreme Leistungen vollbringen, ohne dafür adäquat entlohnt zu werden.“ Ihr Buch sei „ein Sittenbild unseres Gesellschaftssystems. Das überdacht werden muss.“

Antonia Keßelring (53), Leiterin der Telefonseelsorge
„Mit Ausbruch von Corona“, sagt Antonia Keßelring, „sind längst bestehende Probleme unserer Gesellschaft noch sichtbarer geworden.“ Und die Anrufe Verzweifelter bei der Leiterin der Telefonseelsorge und den dort rund 160 weiteren - großteils ehrenamtlich beschäftigten - Mitarbeiten wurden laufend mehr: „Zunächst war das große Thema die Einsamkeit. Vor allem bei älteren Menschen, die zu Beginn der Pandemie ja von der Außenwelt völlig abgekapselt waren.“

Gleichzeitig hätten sich bei vielen Ängste zu manifestieren begonnen: „,Werde ich bald sterben müssen?‘, diese Frage bekamen wir oft gestellt.“

Weiters sind vermehrt Gewaltaktionen in Familien bekannt geworden. Und Schwierigkeiten, die nicht wenige mit Homeoffice haben: „Gewohnte Strukturen, Kontakte zu Kollegen werden dadurch genommen und Paare zu sehr ‚aufeinandergeworfen‘, was nicht selten zu ernsthaften Zwistigkeiten zwischen ihnen führt.“ Ebenfalls dramatisch: die Situation von überfordertem Krankenhauspersonal und von Frauen und Männern, die wegen Covid arbeitslos geworden sind.

Die zerstörte Hoffnung, die Pandemie wäre zu Ende; der abermalige Lockdown; die möglicherweise massive Gefahr, die von Omikron ausgeht; die fortschreitende Spaltung der Bevölkerung: „Sämtliche dieser Umstände“, resümiert Antonia Keßelring, „bewirken negative Gefühle. Die sich - wie meine Kollegen und ich in Gesprächen mit unseren Klienten zunehmend feststellen - häufig in Depressionen ausdrücken. Und mitunter sogar in einer gesteigerten Bereitschaft zur Aggression.“

Mohammad Haidari (21), ehrenamtlicher Sanitäter
Mohammad Haidari war 15, als er - unbegleitet - aus Afghanistan nach Österreich kam. „Ich wurde zunächst in einem Flüchtlingsheim untergebracht“, erzählt der jetzt 21-Jährige, „und dort sehr gut behandelt.“

Er bekam schnell die Möglichkeit, Deutschkurse zu machen; wurde in seinem Traum, „hier ein neues Dasein zu beginnen, unterstützt. Vor allem durch Helfer des Roten Kreuzes. Deshalb wollte ich ihnen und dem Staat etwas zurückgeben.“ Indem er vor vier Jahren in Hallein (Salzburg), seinem nunmehrigen Wohnort, als ehrenamtlicher Sanitäter zu arbeiten begann; neben seiner Lehre mit Matura, die er demnächst abschließen wird.

Den Ausbruch der Pandemie - wie hat ihn der junge Mann bei seinen Rettungsdiensten erlebt? „Wir mussten plötzlich Corona-Kranke transportieren, meine Kollegen und ich hatten natürlich bei jedem dieser Einsätze Angst, uns mit dem Virus anzustecken.“ Dennoch, der Gedanke, seinen - unbezahlten - Job aufzugeben, „war nie in mir“. Nicht einmal, nachdem er sich Ende 2020 infiziert hatte: „Zwei Wochen ging es mir in der Folge ziemlich schlecht. Aber als ich mich wieder fit fühlte, fing ich gleich wieder zu arbeiten an.“

Mohammad Haidari telefoniert oft mit seiner Mutter und seiner Schwester. Was erzählen die Frauen über die Covid-Situation in Afghanistan? „Es gibt dort keine Impfungen, keine Tests - seit die Taliban an der Macht sind.“

Seine Hoffnung? „Dass die beiden gesund bleiben. Und dass irgendwann mein Asylantrag bewilligt wird. Denn ich wünsche mir so sehr, in Österreich bleiben zu dürfen.“

Leokadia Grolmus (22), Obdachlosenbetreuerin
Sie studiert Sozialwirtschaft, ist ÖH-Vorsitzende im Campus Favoriten und arbeitet im Zuge ihrer Ausbildung - ohne Bezahlung - im Rahmen von Praktika, oder, gegen einen geringen Lohn, in Teilzeitjobs. Als Altenpflegerin etwa und in der Obdachlosenhilfe.

Als die Pandemie ausbrach, war Leokadia Grolmus im „Winterpaket“, einer von der Stadt Wien gesponserten Betreuungseinrichtung „für Menschen, die am Rande der Gesellschaft dahinvegetieren“, die nicht einmal eine Sozialversicherungsnummer haben, da. „Für sie brachen mit Corona alle - vermeintlichen - Sicherheiten weg. Auf irgendeiner Baustelle ,schwarz‘ ein wenig Geld zu verdienen; Kontakt mit Personen in ähnlichen Situationen zu pflegen.“

Die Lebenstragödien der Betroffenen seien dadurch - noch mehr - offensichtlich geworden. Und die Probleme, sie medizinisch adäquat zu betreuen.

Die ÖH-Vorsitzende macht aber auch auf „andere, uns alle betreffende Missstände“ aufmerksam, „die durch das Virus deutlich geworden sind - aber auf die von der Politik nicht reagiert wurde“. Etwa, dass Menschen in Pflege- und Sozialberufen „extrem unterbezahlt“ seien; dass Studierende entsprechender Fächer mehrere Semester hindurch - „ohne dafür einen Cent zu bekommen“ - Schwerstarbeit bei Praktika leisten und selbst währenddessen Studiengebühren entrichten müssen.

„Der Mangel an gut ausgebildetem Personal ist dadurch erklärbar. Doch dieser Umstand wäre einfach zu ändern. Wenn für die ‚Helfer‘ endlich bessere Bedingungen geschaffen würden.“

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