Sperrzone

Tirol: Die schwierigste Lage trotz bester Zahlen

Tirol
11.02.2021 06:00

Zu spät, zu lasch, zu viel, zu ungenau: Politik und Wissenschaft kritisieren die Maßnahmen in Tirol. Indes sorgt sich auch Amerika um Österreich - und könnte man (Corona-)Zahlen Attribute zuordnen, es wäre vielleicht Ironie.

„Die Abriegelung kam vielleicht zu spät“, sagt Virologe Andreas Bergthaler. Aus rein epidemiologischer Sicht seien die Öffnungsschritte problematisch. „Wir haben noch zu viel zu hohe Infektionszahlen“, sagt er und meint damit ganz Österreich. Aber hat ganz Österreich zu hohe Zahlen? Nein, ausgerechnet in Tirol hat man aktuell den besten Wert im ganzen Land, die Sieben-Tage-Inzidenz sank auf 80,1 und ist damit nicht nur unter der bundesweiten Inzidenz von 100,4, sondern auch erstaunlich nahe an der ursprünglich angestrebten 50.

Und doch: Wer aus Tirol hinauswill, braucht einen negativen Covid-Test, ein neun Punkte umfassendes Maßnahmenpaket wurde verhängt - und für den Bezirk Schwaz am Mittwoch bereits verschärft. Dort sollen die Oberstufen-Schüler unter anderem zwei Wochen länger im Distance Learning bleiben und alle Bewohner werden mit Gurgeltests versorgt. Denn die Mutationsanteile steigen, die Verdachtsfälle der südafrikanischen Variante wuchsen auf 450 in ganz Tirol an. 

Ein Land „in einer Welt voller Schwierigkeiten“
Die Zahlen sind also nicht gut - das sorgt sogar Virologen in Amerika. US-Virologe Eric Feigl-Ding beschrieb die Lage in Österreich als „unglaublich besorgniserregend“. Besonders die Situation in Schwaz sei alarmierend (271 Südafrika-Verdachtsfälle). Und weil Österreich in seiner Impfstrategie großteils auf AstraZeneca setzt - das gegen diese Corona-Mutation als „nicht sehr wirksam“ gelte - befinde sich das Land nun in „einer Welt voller Schwierigkeiten“.

Ähnlich dürfte das auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sehen. Denn sie kritisiert das Vorgehen der Regierung als „zahnlos“. „Diese Maßnahmen der Bundesregierung für Tirol werden nicht verhindern, was schon längst hätte verhindert werden müssen.“ Die Tiroler FPÖ würde hingegen am liebsten „alles aufsperren“, was laut Tiroler ÖVP „absoluter Wahnsinn“ ist. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) will weiter nachschärfen, falls nötig - aber zuvor will man bilanzieren.

„Da sieht man die Einsamkeit der Entscheider“
Das ist ob des Chaos rund um die Zahlen nicht so einfach - und irritiert nicht nur Innsbrucks Bürgermeister Georg Willi (Grüne), sondern große Teile der Bevölkerung. Das Problem sind die Sequenzierungen, die mindestens 14 Tage dauern. „Bis zum Zeitpunkt, wo das festgestellt wurde, waren die Angesteckten ja wieder gesund“, so Willi. Er könne daher die Differenzen mit dem Bund nachvollziehen und stärkt Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) den Rücken: „Er wird bedrängt, da sieht man die Einsamkeit der Entscheider. Solche Entscheidungen sind bei einer unklaren Datenlage nicht sehr einfach.“

Grundsätzlich sind Entscheidungen in einer Pandemie nicht sehr einfach - denn aus virologischer Sicht ist Isolieren und Zusperren sinnvoll, die Kollateralschäden werden aber mehr. Die „Krone“ hat Experten aus verschiedenen Bereichen zur Situation in Tirol - und darüber hinaus - befragt (siehe unten). Die beste Nachricht: Schaffen wir es bis zum Frühling, haben wir es vielleicht ganz geschafft.

Peter Filzmaier, Politikwissenschafter: „Bund und Land müssen sich einigen. Tun sie das nicht und machen sich stattdessen Vorwürfe, nimmt man lieber Verzögerungen in Kauf, als dass einer allein entscheidet. Für eine Pandemie ist das Ausverhandeln von Kompromissen bis hin zu Blockadegefahren aber total unpassend. Denn Pandemie bedeutet weltweite Verbreitung einer ansteckenden Krankheit. Wir können sie entweder gemeinsam eindämmen oder wir sind alle Verlierer.“

Thomas Müller, Leiter der Tiroler Kinderklinik: „In der Medizin geht es immer um eine Risiko-Nutzen-Abwägung. Bei einem schwerkranken Patienten überlegen Ärzte aus verschiedenen Fachrichtungen gemeinsam, welche Schritte sinnvoll sind. Aktuell bekommt man in der Pandemie den Eindruck, dass die verschiedenen Disziplinen unterschiedliche Standpunkte haben, aber meist ist man gar nicht weit voneinander weg, wenn man miteinander spricht. Ich plädiere deshalb für ein gemeinsames Vorgehen.“

Reinhard Haller, Psychiater: „Das Hauptproblem ist, dass es keinen Zusammenhalt mehr gibt. Das wird aber nicht nur mit der Situation in Tirol deutlich, sondern auch durch die Proteste oder die unterschiedlichen Meinungen in den politischen Parteien. Es ist nicht die Zeit für destruktive Kritik - und die ,Alles richtig gemacht‘-Einstellung ist dem Virus herzlich egal. Schnellere Reaktionen und Durchhalteparolen wären sinnvoller gewesen, als tagelang zu streiten und Zeit verstreichen zu lassen.“

Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner und Experte für öffentliche Gesundheit: „Es ist egal, welche Maßnahme getroffen wird - der Effekt ist immer nur eine Verzögerung, denn Mutationen wurden ja auch schon in anderen Bundesländern gefunden. Aber jede Maßnahme, die von der Bevölkerung nicht verstanden wird, könnte dazu führen, dass die Kernregeln - Abstand, Maske, Handhygiene - nicht mehr mitgetragen werden. Deshalb muss man Widersprüchliches viel besser erklären.“

Niki Popper, Mathematiker: „Die Maßnahmen helfen die Ausbreitung zu verlangsamen - das sieht man ja auch daran, dass uns die Mutationen im Vergleich zu anderen Ländern nicht überrannt haben. Aber es braucht ein Ziel und einen Plan, wie es nach den Maßnahmen weitergehen soll. Denn was heute Tirol ist, kann morgen die Steiermark sein. Aber: Wenn wir es bis Ostern schaffen, haben wir es geschafft. Voraussetzung ist, dass wir mit niedrigen Zahlen in den Frühling kommen.“

Anna Haselwanter, Kronen Zeitung

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