Präsident im Interview

VfGH: „Interventionen würden nach hinten losgehen“

Österreich
24.01.2021 11:12

Der Steirer Christoph Grabenwarter, Jahrgang 1966, ist seit 19. Februar Präsident des Verfassungsgerichtshofes (VfGH). Er folgte Brigitte Bierlein nach, die vorübergehend die Kanzlerschaft übernahm. Topjurist Grabenwarter gewährt Einblicke in die Arbeitsweisen der 14 Richterinnen und Richter, erläutert die Gründe, warum so viele Verordnungen der Bundesregierung im Zusammenhang mit Corona als rechtswidrig eingestuft wurden und spricht auch über die schwierigen Fälle wie die Entscheidung zur Sterbehilfe.

Krone: Wie speziell war das Jahr 2020 für den VfGH?
Christoph Grabenwarter: Die spezielle Zeit begann schon früher, mit der Anfechtung der Bundespräsidentenwahl. 2019 waren wir unmittelbar betroffen, als unsere Präsidentin Bundeskanzlerin wurde, und dann ging es eigentlich direkt in die Coronaphase über. Im März 2020 haben wir über den Ibiza-Untersuchungsausschuss entschieden, und eine Woche später sind wir ins Homeoffice gewechselt. 2020 haben wir mehr Fälle als in den vergangenen Jahren zu erledigen gehabt und bis Mitte Juli die wesentlichen Entscheidungen zu Corona getroffen.

Hatte das Einfluss auf Ihre Arbeitsabläufe?
Wir haben unser Tempo beibehalten, aber ja, wir haben die Corona-Anträge besonders rasch entschieden. Daher haben wir die Frist der Regierung für Stellungnahmen um zwei bis drei Wochen verkürzt. Da es auch um massive Grundrechtseinschränkungen ging, wollten wir möglichst rasch entscheiden. Es gab 130 Entscheidungen zu Corona, in 22 haben wir den Antragstellern recht gegeben. Nicht nur Verordnungen der Regierung bzw. Gesundheitsministers waren betroffen, sondern auch Landesverordnungen.

Der Verfassungsgerichtshof stand selten so sehr im Fokus wie jetzt. Wie gehen Sie mit der Aufmerksamkeit und dem Druck um?
Erheblich war der Druck bei der Bundespräsidentenwahl, und wir hatten eine Entscheidungsfrist von vier Wochen. In der täglichen Arbeit nehmen wir uns die Zeit, die notwendig ist, um eine gründliche Entscheidung zu treffen. Ein Gericht hat die Aufgabe, Vertrauen in der Bevölkerung zu erzeugen, sodass man weiß, die 14 Leute schauen sich das ganz genau an und lassen sich nicht von irgendeinem Druck beeinflussen.

Lässt man sich durch Medien etc. beeinflussen?
Wir sind auch nur Menschen, die in dieser Republik leben und die auch Medien konsumieren. Aber im Moment, wo wir im Gericht am runden Tisch sitzen, wenn wir den Aktendeckel heben, sind wir Juristen, die eine Rechtsfrage zu lösen haben, auch wenn sie hochpolitisch ist. Wir haben das Privileg, dass wir am Maßstab der Verfassung arbeiten können und uns nicht nach politischen Einflüssen richten.

Gibt es auch Einflüsse von außen? Politische Einflüsse?
In der Politik weiß man ganz genau, wie wir Richterinnen und Richter gestrickt sind. Interventionen würden nach hinten losgehen. Da hat sich eine rechtsstaatliche Kultur etabliert. Die Gesamtkonstruktion von 14 RichterInnen verhindert die Einflussnahme zusätzlich. Da müssten Sie schon enormen Aufwand treiben.

Die meisten Aufhebungen von Gesetzen und Verordnungen hat der VfGH ja damit begründet, dass deren Notwendigkeit nicht nachvollziehbar war. Aber die Regierung musste schnell handeln, da passieren Fehler. Haben Sie Verständnis dafür?
Es ist unsere Aufgabe, die Entscheidungssituation eines Ministers im Auge zu behalten. In einem Punkt sind wir sehr klar gewesen: Ein Minister, der mit Verordnung Grundrechte beschränkt, muss das im Akt dokumentieren und muss nachvollziehbar machen, wie er zu dem Ergebnis gekommen ist. Das war eben in vielen Fällen einer der Gründe für die  Rechtswidrigkeiten. Beim Betretungsverbot kam dazu, dass laut dem Gesetz das Betreten bestimmter Orte untersagt werden konnte. Die Verordnung zum Gesetz hat dann aber das Betreten öffentlicher Orte generell verboten, mit nur wenigen Ausnahmen.

Da rutscht einem fast das Wort Spitzfindigkeit heraus …
(Lacht) Nächste Frage bitte …

Zitat Icon

Das Vertrauen in die rechtsstaatliche Demokratie muss man ständig pflegen und Angriffen auf die Demokratie entschlossen entgegentreten.

Christoph Grabenwarter

Schlagwort Eingriff in die Grundrechte: Kritiker sagen, unsere Demokratie sei in Gefahr. Wie geht man als Verfassungsgerichtshof damit um?
Ich komme, derzeit virtuell, viel im Ausland herum, da gibt es diese Sorge, Stichwort Osteuropa. Man soll sie nie auf die leichte Schulter nehmen. Das Vertrauen in die rechtsstaatliche Demokratie muss man ständig pflegen und Angriffen auf die Demokratie entschlossen entgegentreten. Wir haben eine demokratische Kultur, die das tut, und Staatsorgane, die für die Grundrechte verantwortlich sind, bis hinauf zur Regierung, respektieren diese. Die Bindung an Grundrechte trifft jedes Staatsorgan.

Die Sterbehilfe wurde 2020 ebenfalls behandelt. Ein persönliches Thema. Auch für Richter?
Das war eine Frage, die zu den schwierigsten gehört, die die meisten von uns hier je entscheiden werden. Wir wollten die Entscheidung noch im alten Jahr treffen, da ein älterer und ein schwer kranker Mensch unter den Antragstellern war. Das war eine heikle ethische Frage, für manche auch eine religiöse Frage. Auch diese muss am Maßstab der Verfassung entschieden werden.

2020 wurde oft die Schönheit der Verfassung bemüht: Wie erklären Sie diese Schönheit in kurzen Worten?
Sie ist deshalb so schön, weil sie mit einem so klaren Bekenntnis zur Demokratie beginnt. Und weil sie klare Spielregeln für die staatlichen Organe enthält und staatliche Macht verlässlich begrenzt.

Ihre Vorgängerin Frau Bierlein wurde Kanzlerin. Wäre eine politische Karriere nach der Richterkarriere irgendwann auch etwas für Sie?
Die Aufgabe hier am Gericht gehört zu den schönsten Dingen, die sich ein Jurist vorstellen kann, da gibt es keine Steigerung. Frau Bierlein war in einer speziellen Situation, hat überlegt, ob sie in einer unruhigen Zeit etwas beitragen kann und hat erst Ja gesagt, als sie wusste, dass ein geordneter Übergang im Verfassungsgerichtshof gewährleistet war. Das war sehr verantwortungsvoll von ihr.

Erich Vogl, Kronen Zeitung

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