Eltern zahlen selbst

Für die Schulbuchaktion fehlen schon 50 Mio. Euro!

Österreich
25.05.2020 15:13

Die österreichische Schulbuchaktion ist ein seit Jahrzehnten bewährtes Programm. Angesichts von bis 50 Millionen Euro an fehlenden Geldern müssen aber immer mehr Eltern die Bücher für ihren Nachwuchs aus der eigenen Geldbörse bezahlen. Den Schulbuchverlegern geht wiederum in der Corona-Krise finanziell die Luft aus - auch weil sie ihr digitales Angebot in Zeiten geschlossener Schulen und Homeschooling kostenlos zur Verfügung gestellt haben. Zudem sind die Bestellungen von E-Books explosionsartig in die Höhe geschnellt, ohne dass dafür auch nur ein Cent mehr budgetiert wird. Appelle an die zuständigen Ministerien und sogar Bundeskanzler Sebastian Kurz, die Mittel zu erhöhen, blieben bislang ohne Erfolg. SPÖ und NEOS orten dringenden Handlungsbedarf.

Schon seit vielen Jahren reichen die Mittel der Schulbuchaktion, wie berichtet, nicht einmal mehr annähernd aus, um den Mindestbedarf der Schüler abzudecken. Weil die Kosten gedeckelt sind, die Herstellungskosten aber jährlich steigen, würden derzeit allein für Print-Bücher der Schulbuchaktion 20 bis 30 Millionen Euro fehlen, beklagen die Schulbuchverleger und der Fachverband für Buch- und Medienwirtschaft der Wirtschaftskammer Österreich.

Verleger warnt vor „handfestem Bildungsnotstand“
Was sich hier abspiele, sei ein „handfester Bildungsnotstand“, der sich jedes Jahr verschärfe, warnte der Geschäftsführer des Bildungsverlags Lemberger, Dr. Michael Lemberger, in einem Schreiben an Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP), das krone.at vorliegt, vor einem „digitalen Fiasko“. Zum Verständnis: Das Bildungsministerium verantwortet bei der Schulbuchaktion gemeinsam mit den Verlagen die Inhalte und teilweise die Bereitstellung von Technologien, während das Familienministerium für die Abgeltung der Kosten für die Anschaffung von Schulbüchern und Materialien zuständig ist.

Zuletzt zahlte die Schulbuchaktion pro Jahr rund 109 Millionen Euro für (Papier-)Bücher. Sowie über ein jährlich neu zu verhandelndes Sonderbudget 1,6 Millionen Euro für digitalen Content (Ebook Plus, also mit multimedialen, interaktiven Onlineanwendungen). Das sind jedoch lediglich rund 1% des Schulbuchbudgets - für genau jenen Bereich, dem angesichts der Coronavirus-Krise vom Bundeskanzler abwärts eine Schlüsselrolle in Sachen Lernen zugeschrieben wird.

Nachfrage nach digitalen Schulbüchern explodiert
Wobei die Nachfrage für Schulbücher mit Ebook Plus schon vor Corona regelrecht explodiert war: Waren es im Schuljahr 2018/19 noch rund 100.000 dieser approbierten digitalen Schulbücher, die im Rahmen der Schulbuchaktion bestellt wurden, so waren es für 2019/20 bereits rund 900.000. Für das kommende Schuljahr 2020/21 sind es bereits mehr als 1,3 Millionen Bestellungen, wie krone.at in Erfahrung bringen konnte - die Zahl dürfte bis zum Ende des Schuljahres noch weiter nach oben schnellen. Laut Fachverband wären hier weitere 30 Millionen Euro pro Jahr dringend notwendig, um den eingeschlagenen Weg des „hybriden Bildungsmediums“, also der Kombination aus Print und Digital, weiter gehen zu können.

Bildungsministerium bleibt unverbindlich
Mit der Kritik an den fehlenden Millionen im Budget und den Warnungen der Verleger konfrontiert, gibt man sich im Bildungsministerium unverbindlich. Von notwendigen Überlegungen zu „Qualitätssicherungs- und Finanzierungsmodellen“ ist da die Rede und davon, dass es „vordergründig nicht nur um die Verleger“ gehe. In Zukunft gelte es vielmehr, jene Medien zu unterstützen, die Pädagogen „bei einem wirkungsvollen Unterricht, der auf den individuellen Lernfortschritt der Schüler fokussiert“ ist, so die Antwort aus dem Ressort von Minister Faßmann.

Familienministerin will „digitale Schulbücher weiterentwickeln“
Auch Faßmanns Parteikollegin, Familienministerin Christine Aschbacher, hatte in den Corona-Wochen Post von den Verlegern bekommen. Das Familienministerium, das für die finanzielle Abgeltung der Schulbuchaktion zuständig ist, hält sich aber auch auf krone.at-Nachfrage zu dem Finanzierungsdilemma bedeckt, ließ auf entsprechende Fragen wissen, dass es ein Anliegen sei, „die digitalen Schulbücher weiterzuentwickeln“.
Budgetverhandlungen, so der Zusatz, würde man aber „nicht öffentlich“ führen. Mit Minister Faßmann, den Verlegsvertretern und der Wirtschaftskammer sei das Ressort der Familienministerin aber „in gutem Austausch“, hieß es am Montag gegenüber krone.at.

Im April hatte es in einem Schreiben des Ministeriums an Schulbuchverleger Dr. Lemberger geheißen: „Auch wenn es uns ein großes Anliegen ist, die digitalen Schulbücher finanziell besser auszustatten, konnte dies für das kommende Schuljahr aufgrund des verspäteten Budgets leider nicht erfolgen.“ Eine weitere E-Mail von Verleger Lemberger an Bundeskanzler Sebastian Kurz mit dem Betreff „Kaputtsparen der Schulbuchaktion + Bildungskrise“ und der eindringlichen Bitte um eine rasche Reaktion blieb seit Anfang Mai gänzlich unbeantwortet.

Grüne sehen Schulbuchverleger als „ganz wichtige Partner“
Und was sagt der grüne Regierungspartner? „Beim großen Investitionspaket zur Bewältigung der Corona-Krise, das gerade verhandelt wird, ist eine Digitalisierungsoffensive für Bildungseinrichtungen ebenfalls sicher dabei“, betont Bildungssprecherin Sybille Hamann gegenüber krone.at. Die Höhe werde derzeit verhandelt.

Am Prinzip der Gratis-Lehrmittel wollen die Grünen „unbedingt festhalten“, die Schulbuchverleger seien dabei „ganz wichtige Partner“, die ihren „fairen Anteil“ bekommen sollen. Ob angesichts der Umschichtungen weg vom gedruckten Buch, hin zu digitalem Material „zusätzliche Mittel“ nötig sind, ist für Hamann allerdings noch offen - „digitale Inhalte sind ja nicht zwangsläufig teurer als Bücher“.

SPÖ ortet „schwere Fehler“ und fordert Verhandlungen
Gerade im Bildungsbereich müsste man in den Ausbau der Digitalisierung an Schulen massiv investieren, „das vorgelegte Budget der Bundesregierung wird leider nicht reichen, um genau diese Herausforderungen zu meistern“, gibt man sich bei der SPÖ wenig optimistisch. Auch die Ankündigung des Kanzlers bleibe „wohl ein leeres Versprechen“.

Mit Blick auf den versprochenen „Digitalisierungsschub“ sei „kein einziges Projekt“ mit zusätzlichen Mitteln dotiert worden, so die Kritik der früheren Bildungsministerin Sonja Hammerschmid. Auch dass sich Ministerin Aschbacher „offensichtlich von der gratis Schulbuchaktion verabschieden möchte“, sei ein schwerer Fehler. „Es kann nicht sein, dass hier die Eltern zur Kasse gebeten werden“, es brauche mit den Verlagen Verhandlungen über das weitere Vorgehen.

NEOS: Zusätzlich 30 Millionen Euro für digitale Bücher
Auch die NEOS sind überzeugt, dass Lehr- und Lernunterlagen, die die digitale Zusammenarbeit ermöglichen, „gestärkt und dementsprechend offensiv dotiert“ werden müssen. Es sei zu wenig, Schulbücher durch Tablets zu ersetzen - „das darf nur ein erster Schritt sein“, so Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre. „Es kann doch nicht sein, dass das Bildungsministerium die Digitalisierung vollkommen verschläft. Nicht nur heuer, schon seit Jahren ist klar, das hier mehr getan werden muss“, kritisiert die NEOS-Abgeordnete.

„Wenn wir Kindern den Umgang mit Digitalem näherbringen wollen, muss es auch das Lehrmaterial dafür geben. Dafür müssen die Verlage aber auch sicher sein können, dass ihre Produkte vom Bildungsministerium auch bezahlt werden.“ Die NEOS fordern deshalb zusätzlich 30 Millionen Euro pro Jahr für digitale Bücher sowie zusätzlich zumindest 15 Millionen Euro für gedruckte Schulbücher im Rahmen der Schulbuchaktion ab nächstem Schuljahr.

Verleger, aber auch Eltern und Schüler am Ende die Verlierer
Es brauche überhaupt eine zusätzliche Bildungsmilliarde, „ansonsten droht aus der Corona-Krise eine Schulkrise im Herbst zu werden“, warnt indessen SPÖ-Bildungssprecherin Hammerschmid. Ernüchterndes Fazit: Wird bei der Schulbuchaktion künftig nicht mehr Geld in die Hand genommen, wären am Ende wohl nicht nur die finanziell alleingelassenen Unternehmer, sondern auch die Schüler und Eltern des Landes die Verlierer ...

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