Zuwachs „riesengroß“

Forscher: Österreich bei Toten auf Kurs Italiens

Österreich
26.03.2020 15:33

Vom leichten Abflachen der Infizierten-Kurve dürfe man sich nicht zu optimistisch stimmen lassen, so Stefan Thurner vom Complexity Science Hub Vienna. Er warnt eindringlich vor einem verfrühten Aufheben der Coronavirus-Maßnahmen: Wenn man die Kurve der Todesfälle in Österreich um drei Wochen nach vorne zieht, „dann liegt sie genau auf der Kurve der Toten in Italien“. Unser südliches Nachbarland wurde von der weltweit grassierenden Covid-19-Pandemie am härtesten getroffen.

Die Verdoppelungszeit der nachgewiesenen Infektionsfälle habe sich zwar von zwei Tagen (vor rund zwei bis drei Wochen) auf etwa vier Tage erhöht, sagte der Professor für die Wissenschaft Komplexer Systeme an der Medizinischen Universität Wien. Aber: „Es geht nach wie vor sehr, sehr schnell hinauf.“ Es sei zwar „wunderbar“, wenn die Maßnahmen wirken, aber: Wenn sich alle vier Tage etwas verdoppelt, „ist es fast so schlimm, wie wenn sich etwas alle zwei Tage verdoppelt“. „Wir sind weitaus noch nicht dort, wo wir hinwollen und hinmüssen“, hatte am Donnerstag auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober betont.

Video: Anschober: „Wir sind mitten in der Pandemie“

„Derzeit kein Anzeichen, dass das besser wird“
Es sei wichtiger, den Blick auf die Zahl der Intensivpatienten und Toten zu legen als auf die Zahl der nachgewiesenen Infektionen, betonte Thurner. Denn erst jetzt sehe man langsam, wie viele Betten tatsächlich belegt werden und wie viele Betroffene tatsächlich durch das Virus sterben.

Die Verdoppelungszeit bei den Toten liege bei etwa drei Tagen, die Verdoppelungszeit bei den Intensivbetten bei zwei Tagen und sechs Stunden. „Das geht sehr schnell. Da ist derzeit kein Anzeichen, dass das besser wird“, so die Warnung.

„Kurven fast identisch“
Zum Vergleich mit Italien sagte Thurner: „Wenn ich schaue, wie es in Italien mit den Toten losgegangen ist und wie in Österreich, dann liegen die Kurven fast identisch.“ In Italien sei die Verdoppelungszeit bei den Toten in den letzten zehn Tagen auf 4,4 Tage angestiegen. Das heißt, die Kurve ist abgeflacht, „ein bisschen“ - der Zuwachs sei aber „immer noch riesengroß“.

„Für eine Entwarnung ist es zu früh“
Natürlich könnte es sein, dass die Kurve in Österreich schneller abflacht, sagte der Experte. Auf validen Daten würde diese Hoffnung aber derzeit nicht stehen: „Man kann darauf hoffen, dass Österreich besser aufgestellt ist und die Kurve früher abflacht, aber man kann nur hoffen. Zurzeit sieht es so aus, als gingen die Zahlen der Toten genauso los wie in Italien.“ Und: „Für eine Entwarnung ist es zu früh.“

Thurner verwies auf zwei Szenarien, von denen beide aus derzeitiger Sicht gleich wahrscheinlich sind - ein Best- und ein Worst-Case-Szenario. Im besten Fall würde es Anfang April zu einem Maximum (Peak) der Infizierten kommen, das Gesundheitssystem könnte das stemmen. Dann könnte man ab etwa 14. April „in sehr geplanter Art und Weise Leute wieder zurückführen in die Arbeit“, dass es nicht neuerlich zu einem exponentiellen Ausbruch kommt.

Im Worst-Case-Szenario geht Thurner von nur einer leichten Verbesserung beim Anstieg der Infektionsfälle aus - von derzeit vier Tagen Verdoppelungszeit auf sechs Tage. „Wenn man annimmt, dass es bis zur vierten Aprilwoche dann so bleiben würde, dann sind wir bei einem Szenario, das mit Hunderttausenden Angesteckten und Erkrankten einhergeht. Das hält das Gesundheitssystem nicht mehr aus.“

„Vorhersagen gehen maximal eine Woche, eher fünf Tage"
Welches Szenario eintritt, sei derzeit unmöglich zu prognostizieren. „Die Vorhersagen gehen maximal eine Woche, eher fünf Tage“, so der Experte. Bei der Zahl der belegten Intensivbetten sieht Thurner Österreich „auch nicht auf einem guten Pfad“. Er persönlich schätzt, dass bis zum 1. April rund 300 bis 400 Intensivbetten für Corona-Erkrankte benötigt werden.

Lombardei: Neuer Zuwachs bei Infektionszahlen
In der von der Coronavirus-Epidemie schwer betroffenen norditalienischen Region Lombardei hat am Donnerstag die Zahl der neuen Infektionen wieder stärker zugenommen, nachdem diese in den vergangenen vier Tagen geringer gestiegen waren. „Wir müssen prüfen, ob dies ein zwischenzeitliches Phänomen ist, oder ob es sich um einen Trend handelt“, sagte Attilo Fontana, Präsident der Lombardei. Die Region habe drastische Maßnahmen gegen die Epidemie ergriffen, die Auswirkungen davon sollten jetzt spürbar werden. Insgesamt verzeichnet Italien 7503 Covid-19-Tote.

Video: Militär-Lkw transportieren Särge in Bergamo ab

Zweifel an Statistiken in Italien wachsen
Dabei melden sich immer mehr Behördenvertreter zu Wort, die die Infektions- und Todeszahlen für zu niedrig halten. So wurden in Nembro bei Bergamo offiziell bisher nur 31 Todesfälle gemeldet, wie Bürgermeister Claudio Cancelli mitteilte.

Am Mittwoch hatte auch schon der Bürgermeister der stark betroffenen Stadt Brescia Alarm geschlagen, dass die Zahl der Infektions- und Todesfälle viel höher sei als offiziell angegeben. Viele Kranke seien bei sich zu Hause, „und wir wissen nicht, wie es ihnen geht“, erklärte Emilio Del Bono.

„Ein bisschen Hoffnung“
Ein Hoffnungsschimmer für das ganze Land: Am Mittwoch wurde ein über Hundertjähriger geheilt aus einem Krankenhaus in Rimini entlassen. Die Vize-Bürgermeisterin der Stadt, Gloria Lisi, sagte: „In der jetzigen Zeit ist es immer gut, ein bisschen Hoffnung zu geben.“

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