„Wollten uns rammen“

Video von Küstenwache zeigt brisante Lage in Ägäis

Ausland
07.03.2020 16:59

Die Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei nehmen zu: Trotz internationaler Bemühungen um eine Entschärfung lösen neue gefährliche Zwischenfälle Besorgnis aus. So soll die türkische Wasserpolizei in der Ägäis ein griechisches Boot der Küstenwache abgedrängt und dabei riskante Manöver vollführt haben. Griechische Medien veröffentlichten am Samstag entsprechende Videoaufnahmen. An der türkisch-griechischen Grenze wurde indessen erneut Tränengas eingesetzt. Und die Türkei hat zudem am Samstag steigende Ankunftszahlen an der Grenze zu Griechenland vorausgesagt. „Was bisher geschehen ist, ist nichts", sagte der türkische Innenminister Süleyman Soylu.

Ein auf Lesbos stationierter griechischer Wasserpolizist bestätigte am Samstag den Küstenwachen-Vorfall vom Vortag. „Die wollten uns rammen“, sagte er. Die Aggression in der Meerenge zwischen der Insel Lesbos und der nur wenige Seemeilen entfernten türkischen Westküste habe seit vergangenem Jahr zugenommen.

In sozialen Netzwerken war der Vorfall vom Freitag in geteilten Videos aus mehreren Perspektiven zu sehen (siehe Video oben), darunter auch in Aufnahmen, die auf dem Boot der türkischen Küstenwache gemacht wurden (siehe unten).

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wies nach Öffnung der Grenzen seines Landes zur EU die Küstenwache an, Migranten nicht mehr mit Booten die Ägäis durchqueren zu lassen. Gemeint ist die Überfahrt nach Griechenland, also in die EU. „Illegale Migranten-Überfahrten durch die Ägäis sind wegen der Risiken nicht erlaubt (...)“, heißt es unter Berufung auf eine Anweisung des Präsidenten in einer Stellungnahme der türkischen Küstenwache. Nach wie vor belagern Migranten allerdings die Landgrenze zu Griechenland.

Türkei beschuldigt Griechenland, Flüchtlingsboote in Gefahr zu bringen
In dem Text auf ihrer Webseite beschuldigt die türkische Küstenwache Griechenland, Flüchtlingsboote in Gefahr zu bringen. Sie habe am 5. März 97 Migranten von drei Booten gerettet, die von Griechenland halb gesunken zurückgelassen worden seien.

Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis nannte es völlig inakzeptabel, beschuldigt zu werden, Migranten in Zeiten großer Not nicht anständig zu behandeln: „Griechenland hat während der gesamten (Flüchtlings-)Krise seine Menschlichkeit bewiesen.“ Das Land habe über Jahre seine Häuser und Herzen für die Flüchtlinge geöffnet. Die Menschen, die derzeit versuchten, über die griechische Landgrenze im Osten zu gelangen, seien keine Syrer. „Sie haben lange in der Türkei gelebt, die meisten sprechen fließend Türkisch“, so Mitsotakis. Sie würden von der Türkei unterstützt, etwa indem die Regierung den Transfer zur Grenze organisiere.

Nach griechischen Medienberichten unterstützen türkisches Militär und Polizisten Migranten beim Versuch, Griechenlands EU-Außengrenze zu überwinden. Der griechische Staatssender ERT zeigte am Samstag Videos, in denen türkische Soldaten Migranten mit Schlägen und Tritten Richtung Grenze drängen. Zudem sei ein Rauchbomben- und Tränengasregen zu sehen, der von türkischer Seite Richtung griechische Grenzer über den Zaun abgefeuert worden sei.

Tränengas-Einsatz an griechisch-türkischer Grenze
Inmitten der Flüchtlingskrise haben an der türkisch-griechischen Grenze Sicherheitskräfte beider Seiten Tränengas abgefeuert (siehe Video unten). Reporter berichteten am Samstag, am abgeriegelten Grenzübergang Kastanies seien Tränen- und Rauchgasgranaten von türkischer Seite in Richtung der griechischen Polizei geschossen worden. Diese habe zum Teil ebenfalls Tränengas eingesetzt.

Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen auf den griechischen Inseln hat die Regierung in Athen den Bau zweier zusätzlicher Flüchtlingslager angekündigt. Die provisorischen Flüchtlingslager sollten im nordgriechischen Serres und im Großraum Athen errichtet werden und je 1000 Plätze umfassen, sagte Migrationsminister Notis Mitarakis am Samstag im Sender Skai TV.

Türkischer Innenminister droht: „Das ist erst der Anfang“
Seit der von der Türkei verkündeten Öffnung der Grenzen zur EU sollen nach Darstellung des türkischen Innenministers Süleyman Soylu mehr als 143.000 Menschen Griechenland erreicht haben. Die Zahl werde schon bald stark steigen, sagte er am Samstag. „Das ist erst der Anfang. Sie sollten sehen, was als Nächstes passieren wird. Was bisher geschehen ist, ist nichts“, ergänzte er.

Die von Soylu genannte Zahl ist jedoch nicht zu verifizieren - und sehr viel größer als die Angaben aus Griechenland. Eine so große Anzahl Menschen wäre für griechische Medien, die entlang der Grenze berichten, auch kaum zu übersehen gewesen. Auf griechischer Seite war seit dem Wochenende von weniger als 100 Menschen die Rede, die festgenommen wurden, und von rund 37.000 illegalen Grenzübertritten, die in den vergangenen sieben Tagen verhindert worden seien.

Mögliche EU-Zahlungen an Türkei laut Hahn „deutlich geringer“ als bisher
Mögliche EU-Zahlungen zur Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei würden nach Angaben von EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn indes deutlich geringer ausfallen als die bisherige Hilfe. „Viele Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser für Flüchtlinge wurden ja bereits gebaut und müssen nicht noch einmal finanziert werden. Der Bedarf ist also kleiner“, sagte Hahn der Tageszeitung „Die Welt“ am Samstag.

Zugleich knüpfte Hahn EU-Zahlungen an eine Bedingung: „Wir erwarten, dass die erpresserische Politik Ankaras durch die Entsendung von Flüchtlingen in Richtung EU eingestellt wird. Dann wäre die EU prinzipiell auch künftig bereit, weitere Finanzhilfen zur Unterstützung der Flüchtlinge in der Türkei bereitzustellen.“

Humanitäre Hilfe im Grenzgebiet wird verstärkt
Weil weiter viele Migranten an der türkisch-griechischen Grenze und an der Ägäisküste ausharren, verstärkt die Internationale Organisation für Migration (IOM) ihre humanitäre Hilfe. Am Samstag und Sonntag will sie dort 20.000 Hilfsgüter wie Decken und Kleidungsstücke verteilen. Außerdem sei zusätzliches Personal in die Grenzregionen entsandt worden.

Wie viele Flüchtlinge und andere Migranten eine Woche nach der einseitigen Öffnung der Grenzen des Landes zur EU weiterhin dort sind oder dorthin wollen, ist unbekannt. Die IOM spricht von „Tausenden ungeschützten Migranten“, die in rauen Bedingungen übernachten müssten und keinen guten Zugang zu Nahrungsmitteln, Obdach und Sanitäranlagen hätten.

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