Aufdecker-Lehrerin:

„Verstehe Aufregung um Kopftuchverbot nicht!“

Wien
14.12.2018 14:52

30 Jahre lang ist Susanne Wiesinger bereits Lehrerin in Wien-Favoriten. Die Zustände an ihrer Brennpunktschule, die sie in ihrem Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ beschreibt, sind schockierend: Ihre Schüler verteidigen Ehrenmorde und Terroranschläge, Gewalt in der Familie gehört für viele der Kinder zum Alltag, bei manchen Mädchen werden sogar Beschneidungen und Zwangsheiraten befürchtet. Im krone.at-Studio erzählt Frau Wiesinger, wie sich ihr Leben seit dem Erscheinen ihres Buches verändert hat, wie sie die Bildungspolitik der Regierung bewertet und was sie jungen Lehrern in Wien mit auf den Weg geben würde.

Im Verhältnis zu ihren Schülern und ihren Arbeitskollegen habe sich durch ihr Buch nichts verändert, erzählt Frau Wiesinger, und somit sei auch ihr Arbeitsalltag gleich geblieben. Sonst habe sich aber alles gewandelt.

„Man will Gegenpol der FPÖ sein“
Besonders die Genossen aus SPÖ und Gewerkschaft, aber auch manche Menschen aus ihrem Freundeskreis hätten sich distanziert. Warum ihre Wahrnehmungen in „linksbürgerlichen Kreisen“ auf solche Ablehnung stoßen, erklärt sich Frau Wiesinger mit Parteipolitik: „Man will sich als Gegenpol der FPÖ positionieren“, sagt sie, und dürfe daher niemals eine Position einnehmen, die die FPÖ auch innehat. Einige seien aber auch einfach „zu verträumt“: Wer niemals Kontakt zu muslimischen Migranten gehabt hat, würde auch die Probleme dieser Kinder nicht sehen.

Wiesingers Bilanz über die politische Entwicklung im vergangenen Jahr ist ernüchternd: „In der Haltung des Stadtschulrats und auch der SPÖ Wien hat sich nichts verändert“, bedauert sie, obwohl gerade eine kritische Diskussion über die Zustände, wenn auch abseits der „populistischen Linie der FPÖ“, ihr größtes Anliegen gewesen wäre.

Kopftuchverbot ja, Deutschpflicht nein
Ein Kopftuchverbot an Schulen befürwortet Wiesinger, für sie gehören offen sichtbar religiöse Symbole nicht in eine öffentliche Schule. Die Aufregung um das Kopftuchverbot in der Volksschule versteht die Pädagogin nicht: Es könne sich schließlich um keine religiös-theologische Motivation handeln, denn Mädchen, bei denen die Menstruation noch nicht eingesetzt hat, müssen ja kein Kopftuch tragen. Ginge es nach ihr, würde sie das Kopftuchverbot bis zum Ende der Pflichtschule ausweiten und auch dem Lehrpersonal verbieten, sichtbare religiöse Symbole zu tragen. Denn: „Offen sichtbar religiöse Symbole gehören nicht an eine öffentliche Schule.“

Die von der FPÖ gewünschte Deutschpflicht am Schulhof hingegen unterstützt Wiesinger nicht: Man könne Menschen in der Freizeit ihre Muttersprache nicht verbieten. Auch sonst müssen die Freiheitlichen im Talk einiges an Kritik einstecken: Im Bereich Integration würde die Partei bremsen, meint Wiesinger, vor allem „durch wirklich eindeutig nur populistische Sager, ohne Angebot an Lösungen“. Denn: „Nach wie vor signalisiert die FPÖ, ‚Die gehören nicht zu uns.‘ Und die gehören zu uns. Sie müssen sich aber auch an unsere Regeln halten. Aber man muss ihnen das Gefühl geben, dazuzugehören.“

An junge Lehrer: „Lasst euch nicht abschrecken!“
Trotz allem liebt Susanne Wiesinger ihren Beruf, das ist offensichtlich. Diese Leidenschaft möchte sie auch angehenden Lehrerinnen und Lehrern mitgeben. „Lasst euch nicht abschrecken! Unterrichtet mit Freude und mit Interesse“, rät Wiesinger. Außerdem würde sie jedem jungen Lehrer empfehlen, eine Zeit lang an einer „Brennpunktschule“ zu unterrichten. Dort lerne man eine andere Seite des Lebens kennen, mit der sonst oft keine Berührungspunkte bestehen.

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