So wie Odysseus in Homers Epos zwischen den Ungeheuern Skylla und Charybdis hindurchsegeln musste, so muss sich Europa heute ebenfalls durch gefährliche Gewässer navigieren. Auf der einen Seite lauern aggressive Autokraten wie Trump, Putin und Xi, auf der anderen Seite bedroht die wachsende Ungleichheit unsere Gesellschaft und spaltet sie zunehmend. Beide bedrohen auf ihre Weise die Souveränität und Stabilität des europäischen Projekts. Die Autokraten stehen für eine Welt, in der das Faustrecht über dem Völkerrecht herrscht und Macht sowie Einschüchterung die Diplomatie ersetzen. In dieser neuen Weltordnung kann sich Europa nicht länger auf die Illusion verlassen, dass Frieden und Wohlstand selbstverständlich sind. Es muss seine Abhängigkeit von diesen Mächten verringern – wirtschaftlich, militärisch und energiepolitisch. Das bedeutet: mehr Wettbewerbsfähigkeit, um die wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu senken. Mehr Verteidigungsfähigkeit, um sich aus der sicherheitspolitischen Abhängigkeit von den USA zu lösen. Und einen entschlossenen Ausbau der erneuerbaren Energien, um nicht länger vom Gas und Öl autoritärer Regime abhängig zu sein. Doch diese Transformation wird enorme Investitionen erfordern. In Industrie, Infrastruktur, Bildung und Verteidigung. Wenn diese Last allein von der breiten Bevölkerung getragen werden muss, droht ein gefährlicher sozialer Rückschlag. Schon jetzt wachsen in vielen europäischen Ländern Frust, Ungleichheit und politische Spaltung. Eine Politik, die den Sozialstaat schwächt, wird keine Freiheit sichern, sondern den Populisten in die Hände spielen. Deshalb müssen vor allem die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft stärker in die Verantwortung genommen werden. Wer vom europäischen Binnenmarkt, von stabilen Institutionen und offenen Grenzen profitiert, muss auch zu deren Erhalt entsprechend beitragen. Gerechtigkeit ist eine Voraussetzung für die politische Stabilität Europas. Der Europäische Weg zwischen Autokraten und Ungleichheit, zwischen äußerem Druck und innerer Erosion ist eng und voller Gefahren, doch er ist navigierbar. Entscheidend wird sein, ob die Europäer rechtzeitig erkennen, dass es ohne Solidarität keine Souveränität gibt.
José Curado, Klosterneuburg
Erschienen am Di, 21.10.2025
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