Ratko Mladic

Lebenslange Haft für den “Schlächter vom Balkan”

Ausland
22.11.2017 12:19

Das UN-Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien hat am Mittwoch in Den Haag den ehemaligen bosnisch-serbischen Militärchef Ratko Mladic wie erwartet zu lebenslanger Haft verurteilt. Der 74-Jährige war wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnienkrieges zwischen 1992 und 1995 angeklagt gewesen. Mladic will Berufung gegen das Urteil einlegen.

Die Richter sprachen Mladic in zehn der elf Anklagepunkte schuldig und folgten mit dem Strafmaß dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Nicht bestätigt wurde nur ein Punkt der Anklage, der sich auf Völkermord in weiteren sechs bosnischen Gemeinden bezog.

Chefankläger: "Meilenstein für internationale Strafjustiz"
Die Verteidiger hatten auf Freispruch in allen Punkten oder höchstens 15 Jahre Haft plädiert. Der Prozess hat rund fünf Jahre gedauert. Es ist das letzte Völkermord-Urteil des Gerichts - dieses schließt nach 24 Jahren zum Jahresende seine Arbeit ab. Der Chefankläger des UN-Kriegsverbrechertribunals, Serge Brammertz, bezeichnete das Urteil als "Meilenstein für die internationale Strafjustiz". Der Schuldspruch sei auch für die Opfer eine Genugtuung.

Mladic sorgte vor Urteilsverkündung für Eklat
Vor der Urteilsverkündung sorgte Mladic für einen Eklat im Gerichtsaal: Seine Anwälte hatten unter Hinweis auf den hohen Blutdruck des Angeklagten eine Unterbrechung der Urteilsverlesung beantragt beziehungsweise gefordert, nur das Urteil zu verkünden. Das Gericht lehnte den Antrag ab. Mladic protestierte daraufhin lautstark, weshalb er aus dem Gerichtssaal entfernt wurde. Die Verhandlung musste für etwa 30 Minuten unterbrochen werden. Er wurde in einen Nebenraum geleitet, wo er die Urteilsverkündung verfolgte.

Während des Prozesses hatte sich Mladic von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen unbeeindruckt und auch keine Reue gezeigt. Er war erst Ende Mai 2011 nach 16 Jahren auf der Flucht in Lazarevo in Serbien festgenommen worden.

Mladic-Sohn: "Gerechtigkeit durch Propaganda ersetzt"
Mladics Verteidiger sowie der Sohn des Ex-Generals, Darko Mladic, teilten am Mittwoch mit, Mladic wolle Berufung gegen das Urteil einlegen. Das Gericht habe die Tatsachen falsch bewertet: "Gerechtigkeit wurde durch Propaganda ersetzt", sagte Darko Mladic.

Serbiens Präsident Vucic richtet Appell an Landsleute
Für den serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic war die Verurteilung von Mladic keine Überraschung. "Wir alle haben gewusst, dass dies das Resultat sein wird", sagte Vucic zu serbischen Medien. Er appellierte gleichzeitig an seine Landsleute, "in die Zukunft zu blicken und den Frieden und die Stabilität in der Region zu wahren". Auf Journalistenfragen zu serbischen Kriegsopfern meinte Vucic, dass dadurch die "Verbrechen nicht gerechtfertigt werden dürfen, die von einigen mit serbischem Vor- und Nachnamen begangen" worden seien. Auch müssten Serben selbst für die Achtung eigener Kriegsopfer sorgen. Von Serbien seien alle Opfer anderer Völker geachtet worden, er sei aber nicht sicher, dass dies umgekehrt der Fall gewesen sei, so Vucic.

UNO-Tribunal bestätigt Völkermord in Srebrenica
Mladic wurde insbesondere eine Verantwortung für das Massaker im ostbosnischen Srebrenica zur Last gelegt. Bosnisch-serbische Einheiten hatten im Juli 1995 die UN-Schutzzone Srebrenica angegriffen und Schätzungen zufolge 8000 muslimische Männer und Buben ermordet. UN-Blauhelme aus den Niederlanden hatten den Angreifern unter Mladic die Stadt kampflos überlassen. 2009 erklärte das Europaparlament den 11. Juli zum Gedenktag für die Opfer des schlimmsten Massakers in Europa seit 1945.

Das UNO-Tribunal stellte bei der Verkündung des Urteils gegen Mladic fest, dass in Srebrenica Völkermord, Vertreibungen, Tötungen und unmenschliche Zwangsumsiedlungen durchgeführt worden seien. Nach der Einnahme der UNO-Schutzzone seien zwischen dem 12. und 17. Juli 1995 in der Umgebung der ostbosnischen Kleinstadt "systematisch" mehrere Tausend muslimische Männer ermordet worden, stellte das Haager Gericht ferner fest. Zwischen 20.000 und 30.000 muslimische Frauen, Kinder und alte Menschen seien gleichzeitig auf das Gebiet unter dem Kommando der bosniakischen (muslimischen) Armee transportiert worden. Ziel war es, die muslimische Enklave "serbisch" zu machen.

Während des Bosnienkrieges wurde die bosnische Hauptstadt Sarajevo außerdem 44 Monate von bosnisch-serbischen Truppen beschossen. Rund 10.000 Personen, mehrheitlich Zivilisten, kamen dabei ums Leben, darunter etwa 1600 Kinder.

Bosnien wegen Mladic tief gespalten
In Bosnien sind die Meinungen unterdessen tief gespalten. Vor allem die Bürger der Republika Srpska seien der Ansicht, dass die Urteile in Den Haag seit Langem nichts mehr bedeuten würden, betitelte die bosnische Tageszeitung "Oslobodjenje" am Mittwoch einen ihrer Berichte zu Mladics Urteil. Dieses werde nichts verändern. "Jemand wird sich einige Tage freuen, ein anderer wird trauern", wurde einer der befragten Einwohner Sarajevos von der Zeitung zitiert. In seinem Geburtsort bei Kalinovik wird Mladic weiterhin hoch geschätzt. Der Ex-Militärchef werde mit "goldenen Buchstaben" in die Geschichte eingehen, ist ein Neffe von Mladic laut Medienberichten vom Mittwoch überzeugt.

Massaker von Srebrenica: Bisher 16 Schuldsprüche
Das UN-Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien in Den Haag erhob bisher Anklage gegen 20 Männer für die Verbrechen in Srebrenica. Bisher wurden - Mladic miteinbezogen - 16 Angeklagte für schuldig befunden, bei einem Freispruch. Ein Angeklagter starb während des Prozesses. Neben Mladic gilt der frühere Serbenführer Radovan Karadzic als Hauptverantwortlicher. Er war im März 2016 zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Drei Männer wurden bislang zu lebenslanger Haft verurteilt. Darunter ist Vujadin Popovic, Ex-Sicherheitschef des berüchtigten Drina-Korps der bosnisch-serbischen Armee. Andere ehemalige hohe bosnisch-serbische Offiziere wurden wegen Beihilfe zum Genozid zu Haftstrafen von bis zu 35 Jahren verurteilt. Der frühere Präsident Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, starb vor Abschluss des Prozesses 2006 in seiner Zelle in Den Haag.

Nur wenige Angeklagte gaben ihre Schuld zu. Dazu gehörte Drazen Erdemovic, der an Erschießungen beteiligt war und später gegen andere Offiziere aussagte. Er wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Ein Ex-Offizier der jugoslawischen Armee wurde als einziger aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

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