Abschiedsinterview

Erwin Pröll: “Ich bin mit mir völlig im Reinen”

Österreich
19.01.2017 07:16

8853 Tage und sechs Bundeskanzler lang blieb er Landeshauptmann von Niederösterreich, dreimal mit absoluter Mehrheit. Erwin Pröll (70) im großen Interview mit Conny Bischofberger: über die Stiftungs-Diskussion, seinen lang geplanten Abschied von der Politik und das Leben danach.

Niederösterreichisches Landhaus in St. Pölten, sechster Stock. Eine knappe Stunde nachdem der ÖVP-Landesparteivorstand Mittwochmittag auseinandergegangen ist und Johanna Mikl-Leitner als designierte Nachfolgerin ins Rennen geschickt hat, erwartet uns Landeshauptmann Erwin Pröll in seinem Büro. Dunkler Anzug, blaue Krawatte, blaue Manschettenknöpfe. Krawatte und Knöpfe rückt er während des Interviews immer wieder zurecht.

Als "Krone"-Fotograf Peter Tomschi ihn "umsetzen" will, weil die Grünpflanzen am Fenster hinter ihm das Setting stören, ruft Pröll: "Das haben schon viele probiert. Aber nicht geschafft. Da müsst ihr schon warten, bis ich hier rausspaziert bin." Den "Kleinen Schwarzen" serviert übrigens Ange von der Elfenbeinküste - er hat bei Starkoch Toni Mörwald gelernt, trägt jetzt Trachtenanzug und passt dem schwarzen Landesfürsten bestens ins Bild.

"Krone": Herr Landeshauptmann, nach 25 Jahren haben Sie am Dienstag Ihren Rückzug als Landesparteichef und Landeshauptmann bekannt gegeben. Würden Sie sagen, dass damit eine Ära zu Ende geht?
Erwin Pröll: Mein Gott ... Was ist schon eine Ära. Wenn man so lange Landeshauptmann ist, prägt man vielleicht eine bestimmte Zeit auch mit. Und hat, wie jeder Mensch in seinem beruflichen Leben, einen gewissen Stil. Im Blick zurück bin ich sehr dankbar, dass ich in einer so entscheidenden Zeitspanne mitentscheiden und gestalten durfte. Das ist keine Selbstverständlichkeit, das empfinde ich als wirkliche Gnade.

Ist dieser Blick zurück eher einer in Zeitlupe oder einer im Zeitraffer?
Vieles läuft schnell vorbei, bei manchen Ereignissen stoppt der Film. Vor allem, wenn diese Ereignisse mit menschlichen Schicksalen verknüpft waren. Hochwasserkatastrophen, die Explosion von Wilhelmsburg mit neun Todesopfern. Situationen, wo Familien plötzlich vollkommen hilflos und verzweifelt dagestanden sind, weil innerhalb weniger Stunden das, was sie sich über Jahrzehnte als Existenz aufgebaut haben, weggeschwommen ist. Da kann man noch so intensiv helfen wollen, aber am Ende ist es nur ein tröstendes Wort oder eine beruhigende Hand, die man geben kann. Das sind Momente, die sich in mein Gedächtnis und in mein Gefühl eingebrannt haben.

Sie sind oft als Feudalherrscher, als Monarch und Patriarch, als einer beschrieben worden, der mit harter Hand führt. Haben Sie wie ein Fürst regiert?
Das ist die Diktion, überwiegend in Wien, von denjenigen, die mich in Wahrheit entweder überhaupt nicht oder nur peripher kennen. Diejenigen aber, die mich in den letzten 25 Jahren begleitet haben und detaillierter beobachten konnten, haben ein vollkommen anderes Bild. Aber man lernt, mit solchen Klischees zu leben. Wenn ich tatsächlich so ein Feudalherr gewesen wäre, glauben Sie wirklich, dass die Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher so dumm gewesen wären, mir dreimal hintereinander das absolute Vertrauen auszusprechen?

Nicht viele Landespolitiker haben dermaßen intensiv die Bundespolitik mitbestimmt ...
Auch das ist nicht richtig. Natürlich bestimmt ein Landeshauptmann der größten Parteiorganisation in der ÖVP auch bundespolitische Fragen mit. Aber es ist bei Weitem nicht so, dass ich quasi die großen Spuren der Bundespolitik gezogen hätte. Fragen Sie Reinhold Mitterlehner! Er wird sich über meine Kooperationsbereitschaft nicht beklagen.

"Gott ist tot", "Niederösterreich ist frei", "Es wird ein Weinen sein und Pröll wird nimmer sein". Können Sie über solche Tweets lachen?
Was auf Twitter steht, ist mir eigentlich wurscht. Aber wenn Sie mir das so vorlesen, dann kann ich wirklich nur lauthals lachen.

Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt: Nach 25 Jahren als Landeshauptmann bringt Pröll eine Affäre zu Fall.
Ich weiß nicht, was damit gemeint ist.

Damit ist wohl die Stiftungs-Diskussion gemeint.
Das ist auch wieder typisch. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich setze mich damit nicht auseinander. Wer mich kennt, weiß ganz genau, dass ich bei derartigen gelenkten Dingen einen besonderen Widerstand entwickle. Faktum ist: Solche Stiftungen gibt es in der Republik zuhauf. Entstanden ist die Pröll-Stiftung aufgrund eines Geburtstaggeschenkes zu meinem 60. Geburtstag. Ich wollte die Spenden in eine Stiftung einbringen, die in Not geratenen Menschen hilft. Das haben wir auch getan, diese Stiftung hat wirklich vielen Menschen geholfen. Diese Stiftung ist korrekt, wurde vom niederösterreichischen Rechnungshof kontrolliert, der uns bescheinigt hat, dass da nicht ein Cent falsch in die Hand genommen wurde, und das ist es.

Ganz ehrlich: Könnte - müsste - man mit 1,35 Millionen Steuergeld nicht was Sinnvolleres machen als das Geld einfach zu parken?
Nur damit wir da richtig sind: Das sind nur Vorratsbeschlüsse in der Regierung. Das Geld ist nicht abgerufen worden. Außer 300.000 Euro, und auch die sind vorhanden.

Also haben Sie nicht wegen, sondern trotz der Stiftungsvorwürfe gerade jetzt Ihren Rückzug bekannt gegeben?
Diese Sache hat auf meine Entscheidungsfindung null Einfluss gehabt. Ich habe diese Entscheidung ja auch nicht von heute auf morgen getroffen. Sie ist gereift im Laufe eines Dreivierteljahres. Ich wäre zum Zeitpunkt der nächsten Wahl im 72. Lebensjahr gewesen. Zu glauben, dass man in diesem Alter noch Bäume ausreißen soll, ist eine Illusion.

Der Rechnungshof und auch die Korruptionsstaatsanwaltschaft will die Stiftung jetzt prüfen. Wäre das okay für Sie?
Das ist bei Weitem noch nicht klar, aber für mich ist das alles okay. Auch die interessante Neuheit, dass jemand vorgeworfen wird, Geld, das vorhanden ist, NICHT ausgegeben zu haben.

War es in Ihrem Sinn, dass der Innenminister gesagt hat, die Berichte über die Stiftung seien "Fake News"?
Das kann ich nicht beurteilen, weil ich gar nicht genau weiß, worauf er sich da bezogen hat.

Hat bei Ihrem Rücktritt vielleicht auch eine Rolle gespielt, dass Sie 2018 die Absolute nicht mehr so leicht bekommen hätten?
Erstens einmal bestreite ich das. Wer sagt, dass das 2018 nicht mehr erreichbar wäre? Etwas, was dreimal möglich war, müsste nach Adam Riese auch ein viertes Mal möglich sein. Und zweitens beurteilen die Menschen immer ganz genau, wie und was jemand arbeitet. Und ob man sich freut, ihnen zu begegnen, oder ob das ein Zwang ist. Mir haben diese Begegnungen in 37 Jahren nicht nur viel Freude gemacht, sondern auch unglaublich viel Kraft gegeben.

Könnte Ihre geordnete Übergabe jetzt auch für Ihren Freund Michael Häupl und andere Landeshauptleute Vorbild und Inspiration sein?
Ich bilde mir nicht ein, ein Vorbild zu sein. Das muss jeder für sich selber spüren. Jeder Fall ist anders, nicht vergleichbar, jedes Land, jede Region hat andere Vorzeichen. Da kann ich nur mit den Worten von Michael Häupl sagen: "Was soll hier inspirierend sein?"

Michael Häupl hat von Ihrer Entscheidung nichts gewusst?
Nein, weil das zunächst einmal eine sehr, sehr persönliche Entscheidung ist. Voraussetzung dafür ist, dass die Entscheidung lange genug gereift ist. Deshalb kann ich sagen, dass ich mit mir selber vollkommen im Reinen bin! Ich habe mir in den letzten 24 Stunden nicht ein einziges Mal gedacht: "Eigentlich hättest du es doch nicht machen sollen".

Wann haben Sie gewusst, dass Sie die Politik verlassen werden?
Das war am 26. Dezember, da sind wir im Familienkreis - meine Frau, alle Kinder, alle Enkelkinder - in Radlbrunn am Tisch gesessen, so wie wir es alle Jahre machen, und haben dort über alles gesprochen. Sehr normal und unkompliziert ...

Familienrat?
Ich würde es gar nicht als Familienrat bezeichnen, sondern es war ein Tischgespräch. Während des Mittagessens haben dort einfach alle überlegt, was das bedeuten würde. Es war eine Entscheidung in vollkommener Harmonie mit der gesamten Familie und daher fühle ich mich auch sehr getragen in dieser Entscheidung.

Sind Sie erleichtert?
Nein. Weil ja auch keine Last von mir gefallen ist. Für mich war das, was ich gemacht habe, nie eine Last. Ich habe es immer gern gemacht. Was auch der Grund dafür ist, dass sich jetzt alle Sorgen machen, was ich in Zukunft tun werde. Weil mich die Politik in einem Maße ausgefüllt hat, das ungewöhnlich ist, und weil es für mich wunderschön war und noch immer ist. Viele meinen, mir werde jetzt etwas fehlen.

Haben sie recht?
Es ist zugegebenermaßen eine neue Situation für mich. Unsere vier Kinder haben nur den Vater im Kopf, der in der Politik war und in der Öffentlichkeit stand. Sie werden jetzt einen anderen Vater kennenlernen. Ein Freund hat mir drei Dinge gesagt: Erstens: Es ist schade, dass du diesen Schritt gesetzt hast. Zweitens: Ich habe großen Respekt vor dir und diesem Schritt. Und drittens: Du wirst viel gewinnen. Da habe ich gefragt: Was werde ich gewinnen? Er meinte: Du wirst dein Leben zurückgewinnen.

Werden Sie jetzt einen Haufen Ehrenämter annehmen, damit Ihnen nicht fad wird?
Ich bin nach der Pressekonferenz gefragt worden, ob ich jetzt in der Seniorenvertretung eine Funktion übernehme. Da habe ich gesagt: Nein, das kann ich mit Sicherheit ausschließen! - Lacht.

Sie waren immer eine Art politischer "Ziehvater" für Außenminister Sebastian Kurz. Bleibt man sowas als Alt-Landeshauptmann?
Das ist übertrieben. Ich habe Sebastian Kurz erst kennengelernt, als er schon bei der Jungen ÖVP war. Ich halte ihn für ein großes politisches Talent. Was ich aber schon verspüre ist, dass man mit solchen Talenten sorgsam umgehen muss. Und das tue ich. Das ist aber nicht gleichzusetzen mit der Rolle eines Ziehvaters, sondern das ist, wenn Sie so wollen, der wohlwollende Blick eines in die Jahre gekommenen Politikers auf die künftige Generation.

Hat er das Potenzial, irgendwann die ÖVP zu übernehmen?
Die Frage muss man dingfest machen beim Wörtchen "irgendwann".

Herr Landeshauptmann, wenn Sie an Ihr künftiges Leben nach der Politik denken, welcher Wunsch taucht da auf? Vielleicht eine Reise rund um die Welt?
So weit will ich gar nicht weg. Ich bin jemand, der sehr bodenständig und verwurzelt ist. Mein Traum ist viel, viel einfacher. Bis jetzt habe ich mir jede Stunde fürs Radfahren stehlen müssen. Mein Traum ist es, dass ich so oft und so lange Fahrrad fahren kann, wie ich will.

Haben Sie vor, mehr Bücher als den "Schatz im Silbersee" zu lesen?
Das ist auch so ein Mythos, denn ich lese ja ständig Bücher.

Ihre Nachfolgerin hat von "Respekt vor der Lebensleistung Erwin Prölls" gesprochen. Was ist Ihre Lebensleistung?
Einen Beitrag dazu geleistet zu haben, dass das Selbstbewusstsein und die Identität im Land Niederösterreich unglaublich gewachsen sind. Niederösterreich am ehemaligen Eisernen Vorhang, ausgelaugt über viele Jahre durch die Bundeshauptstadt Wien: Das hat enorm am Selbstwertgefühl dieses Landes genagt. Der Fall des Eisernen Vorhangs, die eigene Landeshauptstadt und die Entwicklung von einem Agrarland über das Industrieland hin zum Kultur- und Wissenschaftsland hat uns einen Ruck gegeben und dieser Ruck mündet in diesem Selbstbewusstsein, in Authentizität und Identität.

Was soll man einmal über Erwin Pröll sagen?
(
Er denkt, was bei Pröll nicht oft vorkommt, kurz nach, bevor er antwortet. Dann sagt er mit deutlich leiserer Stimme:)
Er hat es eigentlich ganz gut gemacht.

Das würde genügen?
Ja, das wäre alles.

Seine Karriere
Geboren am 24. Dezember 1946 als Sohn einer Weinbauernfamilie in Radlbrunn. Nach der Matura in Tulln studiert er an der Universität für Bodenkultur. Noch vor seiner Promotion zum Agrarökonomen wird er wirtschaftspolitischer Referent beim Österreichischen Bauernbund. Mit 33 Jahren kommt er in die niederösterreichische Landesregierung. Landeshauptmann und Landesparteiobmann der ÖVP seit 1992. Privat ist Erwin Pröll seit 1972 mit Sissi verheiratet. Vier Kinder (Bernhard, Astrid, Stephan, Andreas), sechs Enkelkinder.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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