In Indiens Hochgebirge gelang Forschern ein kleines Wunder: Auf 4970 Metern Seehöhe tappte eine extrem scheue Pallaskatze in eine WWF-Kamera – ein Rekordfund. Die seltene Wildkatze gilt als „Gespenst der Steppe“ und rückt nun den bedrohten Himalaja neu in den Fokus.
Ein Blick in ein Reich aus Eis und Stille: Dort, wo die Luft dünn ist, die Felsen scharf und das Leben sich rar macht, geschieht manchmal etwas, das selbst erfahrene Forscher sprachlos macht. Auf fast 5.000 Metern Höhe, in den entlegenen Bergtälern des indischen Bundesstaates Arunachal Pradesh, tappte eine Pallaskatze in die Linse einer automatischen Wildkamera. Ein flüchtiger Schatten im Schneetreiben, zwei gelbe Augen – und ein wissenschaftlicher Triumph.
„Diese Katze zu sehen, ist, als würde man ein Gespenst fotografieren“, staunt selbst Georg Scattolin, erfahrener Artenschutzexperte des WWF Österreich. „Die Pallaskatze ist eine der am schwersten zu beobachtenden Katzenarten der Welt. Ihr Nachweis in dieser Höhe ist eine kleine Sensation.“
Das Geheimnis einer Unsichtbaren
Die Pallaskatze, lateinisch Otocolobus manul, ist keine große Katze, doch sie trägt die Aura einer Legende. Mit ihrem dichten, grauen Fell und dem breiten, flachen Gesicht scheint sie dem Wind und Frost der Hochsteppe selbst zu trotzen. Normalerweise lebt sie in den kargen Weiten Zentralasiens, in der Mongolei, Tibet oder Kasachstan – doch so hoch, auf knapp 5000 Metern, wurde sie noch nie in Indien gesichtet.
Diese Entdeckung erweitert nicht nur das bekannte Verbreitungsgebiet, sondern rückt auch die fragile Schönheit der Himalaja-Wildnis in ein neues Licht.
Expedition in die Kälte
Zwischen Juli und September 2024 hatten WWF-Teams gemeinsam mit lokalen Gemeinden 136 Wildtierkameras in 83 entlegenen Tälern installiert – teils auf über 4.000 Metern Höhe. Wochenlang schleppten sie Ausrüstung durch eisiges Gelände, kämpften mit Schneestürmen und Sauerstoffmangel. Acht Monate lang harrten die Kameras aus – still, geduldig, unsichtbar.
Diese Bilder sind mehr als wissenschaftliche Daten. Sie sind ein Symbol der Hoffnung – und eine Mahnung, das Unberührte zu bewahren.

Georg Scattolin, Artenschutzexperte WWF Österreich
Bild: Gordon Congdon
Dann, eines Morgens, flackerte auf einem Display das Bild einer kleinen Katze auf. Breitgesichtig, gedrungen, das Fell wie Raureif. Eine Pallaskatze. Das erste Foto aus indischem Hochgebirge.
Wildnis mit Weltrekorden
Doch die Pallaskatze war nicht allein. Auf den Aufnahmen tauchten fünf weitere Wildkatzenarten auf: Schneeleopard, Leopard, Nebelparder, Leopardenkatze und Marmorkatze. Ein Leopard wurde auf 4600 Metern Höhe fotografiert – ein neuer Landesrekord.
Auch andere Bewohner der dünnen Luft ließen sich blicken: der Himalaja-Waldkauz, das Graukopf-Riesengleithörnchen, seltene Finkenarten. Einige der Beobachtungen, sagen Experten, könnten weltweit einmalig sein.
Ein Ruf nach Schutz
Der Himalaja ist ein Mosaik des Lebens: 300 Säugetierarten, fast 1000 Vogelarten, dazu Reptilien, Amphibien und unzählige Fische. Und doch sind diese Berge bedroht – durch Wilderer, Lebensraumverlust und den Klimawandel. „Diese Bilder sind mehr als wissenschaftliche Daten“, betont Scattolin. „Sie sind ein Symbol der Hoffnung – und eine Mahnung, das Unberührte zu bewahren.“
Der WWF fordert nun verstärkte Schutzmaßnahmen: Wanderkorridore für Großkatzen, härtere Maßnahmen gegen Wilderei, nachhaltige Projekte mit den lokalen Gemeinden. Denn nur wenn die Tiere Raum zum Leben und Wandern haben, kann das stille Wunder von Arunachal Pradesh weiterbestehen.
Die Königin der Kälte bleibt ein Mysterium
Vielleicht wird die Pallaskatze nie wieder in dieser Höhe gesehen. Vielleicht streift sie längst wieder durch den Nebel, lautlos, unbeobachtet. Doch ihr kurzer Auftritt hat gezeigt, dass selbst in einer Welt, die fast alles vermessen hat, noch Platz bleibt für Geheimnisse.
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