Es war ein ungewöhnlicher Prozess mit überraschendem Ende: Eine 29-Jährige biss einem Mann bei einem ungewollten Kuss die Zunge ab, die teilamputiert werden musste. Wegen Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung musste sie am Donnerstag im Wiener Landl auf die Anklagebank – gemeinsam mit dem Gebissenen.
Gleich zwei Angeklagte standen einander am Donnerstagvormittag vor dem Wiener Landesgericht Josefstadt gegenüber – er mit einer Amputation des vorderen Zungenabschnittes und wirren Verschwörungstheorien, sie mit den Spuren zerstörerischer Beziehungen und einem Alkoholproblem. Die Vorwürfe: fahrlässige Körperverletzung durch Notwehrüberschreitung und Imstichlassen eines Verletzten.
Angeklagter wirft 29-Jähriger Racheplan vor
Die angeklagte Wienerin war bislang immer als Opfer von Gewalt im Gerichtssaal gestanden. Diesmal jedoch saß sie selbst auf der Anklagebank. Laut Staatsanwaltschaft soll sie im Februar ihrem Bekannten bei einem unfreiwilligen Kuss einen Teil der Zunge abgebissen haben. „Als wollte sie mir wie ein Vampir die Zunge abreißen“, warf der pensionierte Türke (47) der jungen Frau vor. Für den Zweitangeklagten ist klar: „Sie ist schon mit dem Plan zu mir gekommen, mir zu schaden.“
Ihr Verteidiger sprach hingegen von einer Frau mit schwerem Schicksal: „Sie weiß, dass das Beziehungsverhältnis nicht optimal läuft. Sie immer wieder Kontakt zu Männern sucht, die ihr gegenüber schon gewalttätig waren.“ Zudem verweist er auf ihre Borderline-Störung und ihr Alkoholproblem und stellt klar: An jenem Abend sei sie nicht die Täterin, sondern erneut das Opfer gewesen ...
Kein Blickkontakt mit Zweitangeklagten
Die 29-Jährige erzählte, dass sie mit dem Mann getrunken und eine Tablette eingenommen habe. Als er Sex wollte, habe sie abgelehnt – doch er sei immer aufdringlicher geworden. „Ich wollte einfach nur weg“, schildert sie mit zitternden Händen, die sie die gesamte Verhandlung vor ihrem Gesicht hält, um den Mann nicht anschauen zu müssen. Doch die Wohnungstür sei an jenem Abend defekt gewesen.
Dann, so die Frau, habe er sie geschlagen, zurück ins Wohnzimmer gezerrt, auf das Sofa gedrängt und sie festgehalten. „Ich hab‘ versucht zu schreien, er wollte mir unter die Leggins greifen“, erklärt die 29-Jährige. Als er sie gegen ihren Willen küssen wollte, biss sie in Panik zu – durch seine Zunge. Danach floh sie und sprang in ein Taxi.
Ich hab versucht zu schreien, er wollte mir unter die Leggins greifen.
Die 29-jährige Wienerin
Der 47-Jährige hingegen erzählte eine völlig andere Geschichte, bekennt sich nicht schuldig. Laut ihm sei alles Teil eines „Komplotts“ gewesen – angezettelt von der Schwiegermutter seiner Ex-Frau. Selbst der Taxifahrer, der die Angeklagte mitnahm, sei angeblich in die Intrige verwickelt. Die Richterin hörte geduldig zu – und meinte trocken: „Kann es sein, dass sie unter einem leichten Verfolgungswahn leiden?“
Trotz Urteil ist Fall noch nicht vorbei
Schließlich kam die überraschende Wende: Die Richterin sprach dem Angeklagten gegenüber ein Unzuständigkeitsurteil aus. Aufgrund der Aussagen handle es sich rechtlich um geschlechtliche Nötigung bzw. gar Vergewaltigung – und müsse daher vor einem Schöffengericht verhandelt werden.
Kann es sein, dass sie unter einem leichten Verfolgungswahn leiden?
Die Richterin zum Angeklagten
Für die 29-Jährige endete dieser Tag mit einem rechtskräftigen Freispruch. Für die Richterin ist ihre Reaktion „nachvollziehbar“, sie erkenne keine überschrittene Notwehr und somit auch keine strafbare Handlung im Sinne der Anklage.
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