Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ), der frühere Landespolizeidirektor des Burgenlands, erinnert sich an die Flüchtlingskrise 2015 und ihre schwerwiegenden Folgen bis heute: „Den Anblick der Toten werde ich nie vergessen.“
Vor genau zehn Jahren war die „Krone“ in Mytilini, um sich in der Hauptstadt von Lesbos umzusehen. Die griechische Insel begann damals unter der Last kaum kontrollierbarer Migration zu stöhnen – und drohte unterzugehen. Jeden Tag strandeten an der Nordküste bis zu 1200 neue Flüchtlinge, in überfüllten Schlauchbooten wurden sie aus der kaum 20 Seemeilen entfernten Türkei regelrecht angeschwemmt und marschierten danach fast 80 Kilometer in der sengenden Hitze nach Mytilini.
„Tor nach Europa“
Völlig erschöpft campierten sie wild auf dem Hauptplatz, bis Griechenlands Exekutive das Lager Moria aus dem Boden stampfte. Das rasch wachsende Erstaufnahmezentrum, in dem alle Einwanderer auf neue Papiere warteten, musste sich gegen einen Rekordansturm stemmen. „Hoher Zaun, Stacheldraht! Moria wirkte wie ein Gefangenencamp mit fast 1000 Insassen. Ringsherum kauerten Schutzsuchende im Staub unter Bäumen oder zusammengeflickten Planen, mittendrin 100 Kinder, die Mutter, Vater oder beide vermissten“, wie der „Krone“-Lokalaugenschein ergab. Allein im Juli 2015 war Lesbos mit nicht einmal 86.500 Bewohnern für 25.000 Migranten das „Tor nach Europa“.
Flüchtlingszustrom vor der eigenen Haustür
„Als uns im Sommer 2015 die Flüchtlingswelle erreicht hat, war ich als Landespolizeidirektor täglich an der Grenze zu Ungarn. Es galt die Einsätze von Militär und Polizei zu koordinieren und diese plötzlich auftretende Krise zu bewältigen, ohne dass Menschen zu Schaden kommen“, erinnert sich Landeshauptmann Doskozil an die herausfordernde Zeit.
2015 schlugen sich mehr als 700.000 Flüchtlinge nach Österreich durch. Fast 90.000 von ihnen suchten um Asyl an, die meisten stammten aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Rückblickend war die Flüchtlingsbewegung für Doskozil „eine der größten menschlichen Katastrophen auf burgenländischem Gebiet“. „Damals, in dieser angespannten Situation, musste man die emotionale Belastung vorerst wegschieben und einfach funktionieren. Nicht nur ich, das galt für alle Einsatzkräfte“, erklärt der einstige Landespolizeidirektor.
„Der Anblick der Toten hat sich tief eingeprägt“
Nie vergessen werde Doskozil diesen schwarzen Tag im August, als 71 Tote in einem von Schleppern auf dem Pannenstreifen der A4 bei Parndorf abgestellten Kühl-Lkw entdeckt wurden. „Als ich telefonisch darüber informiert wurde, war ich gemeinsam mit der damaligen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner in Nickelsdorf. Die Nachricht hat uns beide erschüttert“, berichtet Doskozil. Kurz darauf bekam er das ganze Ausmaß der Tragödie hautnah zu spüren.
„Ich hatte in meiner Zeit als Polizist vieles gesehen, aber der Anblick der Toten im Klein-Lkw hat sich tief eingeprägt, das bestimmt mich und meine Politik bis heute: Solche Katastrophen dürfen erst gar nicht passieren. Dazu braucht es in Österreich und Europa endlich eine vorausschauende Migrationspolitik“, erklärt Doskozil. Mit Innenministerin Mikl-Leitner habe er damals eine gute Arbeitsbeziehung aufgebaut: „Das hat das Lösen der schwierigen Aufgaben erleichtert.“ Das Krisenmanagement habe im Burgenland funktioniert, sagt er. Später hatte Doskozil denselben Auftrag für die Steiermark erhalten.
Migrationswelle als Impuls für Wechsel in die Politik
Oft wird Doskozil gefragt, ob die Flüchtlingswelle das „Sprungbrett“ für seine Polit-Karriere war. „Ich habe damals, wie alle anderen, meinen Job gemacht und war froh, mich als Krisenmanager sinnvoll einbringen zu können. Das ist dem einen oder anderen in der SPÖ, damals unter Werner Faymann, aufgefallen. Rasch hat das eine das andere ergeben. Die Krise war aber nicht der einzige Grund für meinen Einstieg in die Politik“, antwortet er.
Die Höchstzahl an Ansuchen blieb vom Zustrom mit mehr als 700.000 Flüchtlingen in Österreich 2015 übrig.
Schleppermafia ohne Skrupel
An Burgenlands Grenze zu Ungarn ist es derzeit relativ ruhig. In diesem Sommer haben sich die Aufgriffszahlen zwischen 67 und 108 pro Woche bewegt. 2015 hatten Schleuserbanden jedoch die illegale Migration als Mega-Geschäft für sich entdeckt. Auf fast neun Milliarden Euro wird mittlerweile der Jahresumsatz der Schleppermafia weltweit geschätzt.
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