Regisseur Martin Gruber und sein aktionstheater ensemble zeigen in „Ragazzi del Mondo“ in Bregenz (Vorarlberg), dass wir alle nur eine Welt haben – auch wenn es sich nicht immer so anfühlt. Im Interview erklärt der Regisseur, wie er das Riesenthema auf die Bühne bringt.
„Krone“: Der Titel des neuen Stücks lautet „Ragazzi del Mondo. Nur eine Welt“. Dabei hat man durch Social Media und andere Bubbles doch mittlerweile das Gefühl, dass fast jeder in seiner eigenen Welt sitzt. Ist das doch nicht so?
Martin Gruber: Die Welt leidet an einer kollektiven narzisstischen Störung. Die Protagonisten sind bekannt: Alte Männer, die Panik haben, dass ihnen das Patriarchat abhandenkommt und es nun nochmal krachen lassen. Das wissen wir. Die Frage ist: Wie wirkt sich das auf uns aus? Und wo sind diese Mechanismen auch bei uns selbst zu erkennen? Sogar in unserer Bubble, nennen wir sie die progressive Seite, wird alles kleinteiliger, jeder weiß es noch besser anstatt auf das Verbindende zu schauen.
Was braucht es?
Wir sollten die Fähigkeit entwickeln, das Gegenüber mal ausreden zu lassen und die Meinung des anderen – sollte sie nicht unserer eigenen entsprechen – gelten zu lassen. Das heißt nicht, dass man sich in einer verwaschenen Mitte treffen muss. Man kann durchaus bei seiner Meinung bleiben und trotzdem zuhören. Viele missbrauchen das Gegenüber als Impetus, um die eigene Meinung loszuwerden. Ich versuche, diese Not auf die Bühne zu bringen. Die permanenten Anfeindungen und Anwürfe nehmen kein Ende. Interessant ist, was dahinter steckt. Welche Sehnsucht? Das Besserwissen zwingt uns oft in etwas, aus dem wir dann nicht mehr herauskommen.
Sie haben gerade erklärt, wie ein gelingendes Miteinander aussehen könnte. Warum scheint das Dialog-Modell ein Ablaufdatum zu haben, es hat sich doch recht lange bewährt.
Viele Menschen glauben, dass ihnen „etwas“ zusteht. Dahinter steht meist das Gefühl, nicht wahrgenommen zu werden. Teilweise stimmt das auch, teilweise aber auch nicht. Hochgeschraubt wird dieses Gefühl vor allem durch soziale Medien, in denen man immer noch mehr Bestätigung findet – und immer noch weiter in den Wutrausch eintaucht. Der Diskurs mit wirklich Andersdenkenden findet nicht mehr statt. Denn die Feministinnen streiten sich mit anderen Feministinnen, die Schwulen streiten sich mit anderen Schwulen und so weiter. Es wird nahezu unmöglich, wirklich in einen Diskurs einzusteigen. Und die extremen Parteien reiben sich dabei die Hände.
Premiere: Donnerstag, 26. Juni 2025
Weitere Termine: 27. Juni, 28. Juni und 29. Juni jeweils 20 Uhr Im Theater Kosmos Bregenz, Mariahilfstraße 29, 6900 Bregenz.
Es ist ein Riesenthema, das sich das Aktionstheater Ensemble hier vorgenommen hat. Wie haben Sie als Regisseur das Thema bewältigt und gleichsam in Stückform gezwungen?
Ich arbeite mit dem, was ich höre und verzichte im Vorfeld ganz bewusst darauf, etwas zu konstruieren. Denn sonst würde ich genau das machen, was ich an anderen kritisiere. Ich will es also vorab noch gar nicht wissen, was entsteht. Ich versuche jedenfalls, in der Stückentwicklung jene Stellen freizulegen, an denen es interessant werden könnte. Das funktioniert auch gut über Alltagssituationen. Es geht nicht ums rein Abstrakte, es soll die Menschen bewegen. Und dabei behalte ich immer im Auge, was politisch dahinter steckt. So entsteht ein Sogbild mit Musik und Körper. Das Aktionstheater Ensemble arbeitet nicht nur mit der kognitiven Ebene, sondern schaut auch, was der Körper sagen will – stellvertretend für das Publikum.
Viele missbrauchen das Gegenüber als Impetus, um die eigene Meinung loszuwerden. Ich versuche, diese Not auf die Bühne zu bringen. Was steckt hinter dieser Dynamik?
Martin Gruber
Die Welt wirkt krisenhafter und brüchiger denn je. Was kann das Theater hier ausrichten?
Es gibt solche, die sagen, dass sie sich ablenken wollen. Das ist okay, aber nicht meins. Was wir bieten können, ist ein gemeinsames Durchleben von bestimmten Nöten, die wir nicht artikulieren können. Durch das gemeinsame Live-Erlebnis kann eine Art Katharsis entstehen. Letztlich geht es immer um das Individuum und die Frage, wie man aus der Ohnmacht aussteigen kann. Die neueste Netflix-Serie ist sicher spannend und hervorragend produziert, aber durch reines Konsumieren gelingt es sicher nicht, das Ohnmachtsgefühl hinter sich zu lassen.
Der Titel des Stücks „Ragazzi del Mondo“ erinnert an Gianni Nanninis Song „Ragazzo dell’Europa“ – Zufall?
Nein, das hat auch mit meiner eigenen Geschichte zu tun – und mit dieser Sehnsucht nach Eskapismus, die Weltenflucht zurück in frühere Zeiten, zurück nach Italien an den Strand, ein Freiheitsbild. Andererseits ist Italien das Land, in dem der Faschismus geboren wurde. Da kommt es auch im Stück zu heftigsten Brüchen. Ich arbeite im Titel auch mit einer Dichotomie: Erst einmal die Heiterkeit, aber auch die Zuversicht. Andererseits steckt da noch etwas ganz Anderes dahinter.
Wie geht es denn den Protagonisten im Stück miteinander?
Nun, es ist relativ heftig, aber sie streiten noch. Sie erschlagen sich noch nicht.
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