Pionier-Dirigentin

„Früher habe ich mich von Vorarlberg distanziert“

Vorarlberg
28.02.2024 10:30

Mit ihrem Schmusechor erobert Verena Giesinger die Bühnen. Die Vorarlbergerin dirigierte als erste Frau das Neujahrskonzert im Wiener WUK und sorgte damit für großes Medienecho. Nach einem intensiven Jahresbeginn gönnt sich die 36-Jährige eine Auszeit in ihrer Heimat. Im „Krone“-Gespräch verrät die Wahlwienerin, was sie an ihrer Heimat schätzt und was sie Mädchen und jungen Frauen rät, denen ein Vorbild fehlt.

„Krone“: Sie gönnen sich jetzt eine Auszeit in Vorarlberg. Wo verbringen Sie die?
Verena Giesinger: Ursprünglich komme ich aus Altach. Aber meine Auszeit verbringe ich in einer kleinen Wohnung in den Bergen in Brand. Es ist mein Textilparadies. Das Appartement gehörte der Tante meiner Mama und die Inneneinrichtung ist seit jeher dieselbe geblieben. Es herrscht ein wundervolles Mustermeer und ich bin dort alleine - wobei nicht ganz, an der Wand hängt ein gekreuzigten Jesus, mit dem ich meine Auszeiten verbringe. Hier kommen mir die besten Ideen.

Nach dem ersten queer-feministischen Neujahrskonzert - die „Krone“ hat berichtet - haben Sie sich ebenfalls in Ihre Heimat zurückgezogen. Was schätzen so Sie an Vorarlberg?
Lange Zeit habe ich mich von Vorarlberg distanziert. Als ich jung war, gab es hier wenig Diversität, ich hab mich teilweise sehr einsam und anders gefühlt. Wenn ich über meine Schulzeit nachdenke, bemerke ich erst, wie viel Diskriminierung im Alltag passiert ist. Mittlerweile habe ich eine gesunde Distanz und  schätze das kulturelle Angebot, die Architektur und die Natur sehr. In meinen Auszeiten mache ich viele Skitouren alleine. 

Musik spielt in Ihrem Leben eine große Rolle. Wurde das Interesse vererbt?
Ja, auf alle Fälle. Mein Opa war Unterhaltungsmusiker, meine Mama spielt Klavier. Ich habe bereits in meiner Jugend im Orchester gespielt und selbst Klavier und Geige gelernt. Ich war damals sehr rebellisch, trug giftgrünes Haar und hab in das Bild von klassischer Musik nicht reingepasst. Aber ich habe die Gemeinschaft sehr genossen. Wenn ich jetzt zurückdenke, frage ich mich, wie ich das damals geschafft hab: Schule, Orchesterproben, Auftritte, lernen und üben. 

War der Wunsch, von Vorarlberg wegzuziehen schon immer da?
Eigentlich schon. Nach der Matura habe ich ein freiwilliges soziales Jahr in Indien verbracht. Da musste ich mit zahlreichen Herausforderungen umgehen lernen. Ich habe zum ersten Mal die verschiedenen Abstufungen von Gewalt begonnen zu verstehen und kennenzulernen. Gewalt an Frauen aber auch in der Schule, in der ich mit sogenannten „unberührbaren“ Kindern gearbeitet habe. Das sind jene Kinder, die keiner Kaste zugehörig sind. Viele Erfahrungen und Erlebnisse aus diesem Jahr haben mich nachhaltig beeinflusst und mein eigenes Erwachsenwerden vorangetrieben.

Also fernab von Yoga und Meditation?
Ehrlich gesagt fand ich es damals schon seltsam, dass Leute aus dem Westen kommen und sich die hinduistische Kultur aneignen. Da gab es das Wort kulturelle Aneignung noch gar nicht, aber Besuche in Goa und co. kamen mir damals schon falsch vor.

Sie haben eine Ausbildung zur Musiktherapeutin gemacht und Kulturmanagement studiert. Jetzt sind sie selbstständig und Dirigentin. Hätten Sie sich gedacht, dass sich Ihre Karriere so entwickelt?
Niemals. Ich hätte es nie für möglich gehalten, Dirigentin zu werden. Vor allem, ohne Dirigieren studiert zu haben. Aber wenn ich jetzt meine beruflichen Stationen ansehe, dann sind das Puzzleteile, die ein schönes Ganzes ergeben.

Immer wieder beschreiben Sie in Interviews, dass Ihnen ein Vorbild als Dirigentin gefehlt hat. Jetzt stehen Sie auf der Bühne und stellen sich selbst als Maestra vor. Sehen Sie sich mittlerweile als Pionierin?
Ja, auf alle Fälle. Als Frau in diesem Beruf ist man automatisch Vorbild, gibt es doch eine große fehlende Sichtbarkeit von nicht-männlichen Dirigentinnen. Zudem bin ich nicht in der Klassik beheimatet, sondern im Pop. Auch hier fungiere ich gewissermaßen als Pionierin. 

Was würden Sie Mädchen und jungen Frauen in Vorarlberg raten, wenn ihnen ebenfalls Vorbilder fehlen?
Ich würde ihnen raten, mutig zu sein und auf die eigene Intuition zu vertrauen. Auch wenn es nicht leicht ist, vor allem, wenn Menschen, die man gerne mag, wiederholt dagegen halten. Es ist wichtig, sich Vorbilder zu suchen, das können Vorreiterinnen sein, aber auch gleichaltrige Freundinnen, oder Menschen von unterschiedlichen Bühnen. 

2023 waren Sie mit Ihrem Chor in Vorarlberg. Wie war es in der Heimat aufzutreten?
Es war sehr schön, aber auch aufregend. Der Schmusechor hat mittlerweile ein starkes und auch politisches Auftreten, bei dem ich zuerst nicht einschätzen konnte, wie Vorarlberg darauf reagieren wird. Der große Zuspruch war überraschend berührend und bestärkend für mich.

Kommen Auftritte in Vorarlberg?
Bestimmt. Sobald es News dazu gibt, veröffentlichen wir diese auf unserem Instagram-Konto (@schmusechor).

Können Sie sich vorstellen, wieder nach Vorarlberg zu ziehen?
Nein, gar nicht. Ich fühle mich in Wien sehr wohl.

Was sind Ihre nächsten Ziele?
Meine größte Herausforderung ist es, alles unter einen Hut zu bekommen und eine ausgewogenere Balance zwischen Arbeit und genügend Auszeiten zu etablieren. Ich möchte lernen, mehr nein zu sagen. 

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