Long Covid und CFS

„Für die Betroffenen hat sich nichts geändert“

Ombudsfrau
13.12.2023 08:30

Jürgen E. Holzinger ist Obmann des Vereins ChronischKrank, der sich auch für Betroffene von Long Covid bzw. ME/CFS (Chronic Fatigue Syndrom) einsetzt, das etwa extreme Erschöpfungszustände verursacht. Gekämpft wird um Rehageld oder Berufsunfähigkeitspension. Sein Resümee zur derzeitigen Situation von Erkrankten fällt ernüchternd aus.

97 Menschen, die von Long Covid bzw. CFS (Chronic Fatigue Syndrom, das etwa extreme Erschöpfungszustände verursacht) betroffen sind, vertritt der Verein ChronischKrank aktuell. Laut Obmann Holzinger handelt es sich um schwere Fälle, die über ein Jahr im Krankenstand sind, viele würden bereits Notstandshilfe beziehen. Er beklagt unter anderem, dass eine adäquate medizinische Behandlung fehlt und übt deutliche Kritik am Gutachter-System.

„Krone“: Herr Holzinger, was können Sie bzw. Ihr Verein für Long Covid- und ME/CFS-Betroffene tun?
Jürgen E. Holzinger:
Wir kämpfen um eine Rehabilitation, also Rehageld, oder eine Berufsunfähigkeitspension. Das Problem: Von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) wird stets auf andere Erkrankungen verwiesen, auf Vorerkrankungen oder das psychische Thema. Es gibt eine enge Verknüpfung. Die Grunderkrankung war Long Covid oder CFS, dann entwickelt sich eine Depression. Denn die ganzen Umstände muss man einmal verkraften. Die PVA geht dann nur auf die psychischen Umstände ein, nicht auf die Grunderkrankung.

Wie geht es von CFS- oder Long Covid-Betroffenen, die zu Ihnen kommen?
Medizinisch gesehen sehr schlecht. Sie halten sich mit Medikamenten über Wasser, die die Situation nicht verbessern. Es ist eine schlimme Geschichte, wenn man sieht, es geht nichts weiter. Deshalb ist der Wunsch da, dass es endlich Mediziner gibt, die ein Fachwissen in diesem Bereich haben und die Leute behandeln. Das ist, glaube ich, der sehnlichste Wunsch der Betroffenen. Dass sie eine Behandlung bekommen, die etwas nutzt.

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Gutachter gehören geschult, da sie eine riesige Verantwortung und Macht haben.

Jürgen E. Holzinger, Obmann des Vereins ChronischKrank

Manche Betroffene sind so erschöpft, dass sie kaum noch aus dem Bett kommen. Es ist schwer vorstellbar, dass jemand sagt, ich liege lieber den ganzen Tag daheim, als arbeiten zu gehen.
Das würde nie jemand machen. Alle, die ich kenne und beraten habe, wollen wieder arbeiten, sie wollen raus aus dem Ganzen. Und sie suchen verzweifelt Ärzte, die sie behandeln. Und es kann nicht sein, dass wir es in Österreich - einem der reichsten Länder der Welt - nicht schaffen, ein Fachwissen in diesem medizinischen Bereich aufzustellen.

Uns liegt ein Fall vor, in dem eine CFS-Betroffene nur unter Medikamenteneinnahme zu einer psychologischen Testung gehen konnte. Die PVA argumentierte: Wenn die Dame durch die Einnahme von Medikamenten zur Testung gehen kann, könne sie auch arbeiten.
Das geht vollkommen an der Realität des Patienten vorbei. Ich glaube, Menschen, die solche Aussagen treffen, waren noch nicht krank. Die wissen nicht, wie es sich anfühlt, wenn man kaum aus dem Bett raus kann und sich zwingt, dass man gewisse Termine wahrnimmt. Und dann tagelang wieder liegt und geschafft ist. Bei Menschen, die solche Aussagen treffen, fehlt komplett das Wissen.

Wie sehen Sie die Schließung der Long-Covid-Ambulanzen? Es heißt, es gebe ja nun Leitlinien für Ärzte.
Sehr problematisch. Wir haben Ärzte, mit denen wir zusammenarbeiten, die haben die Leitlinien nicht bekommen. Wer vor allem vergessen wurde, sind Gutachter bei PVA oder Sozialministeriumsservice. Die kennen sich bei dem Thema nicht aus. Sie gehören geschult, da sie eine riesige Verantwortung und Macht haben, die Invalidität einstufen oder Rehabilitation einleiten.

Würde es die Ambulanzen wieder brauchen?
Betroffene, mit denen wir gesprochen haben und die in den Ambulanzen waren, sind nicht sehr weit gekommen. Der Zeitraum war zu kurz, dass man ein Konzept entwickeln hätte können, um ihnen zu helfen. Es wäre wichtig, dass man nicht nur die Diagnose stellt, sondern, dass man auch Therapien entwickelt, wo man den Leuten hilft. Viele haben eine Diagnose, aber die Therapie hat trotzdem gefehlt. Und dann gab es die Ambulanzen nicht mehr.

Long Covid & ME/CFS

Nach überstandener SARS-CoV-2-Infektion kämpfen viele Betroffene mit anhaltenden Symptomen, die man als „Long Covid“ bezeichnet. Wie etwa Herzrasen, Atemnot, Kopf- und Brustschmerzen, Benommenheit, chronische Müdigkeit, kognitive Beeinträchtigungen, Schweißausbrüche, Angstzustände oder Depressionen.

ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrom) ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung. Betroffene leiden unter einer extrem beeinträchtigten Leistungsfähigkeit, die von schwerer körperlicher wie geistiger Fatigue (Erschöpfung) begleitet wird. Je nach Schweregrad kann es zu einer weitreichenden Behinderung, Bettlägerigkeit oder Pflegebedürftigkeit kommen.

Wie wirkt sich das für die Erkrankten aus?
Wir sind seit drei Jahren mit dem Thema befasst und merken, es geht nichts weiter. Für die Betroffenen hat sich nichts geändert. Sie suchen nach Ärzten, die sie behandeln und kämpfen bei Behörden, dass sie Recht bekommen bzw., dass sie eine Rehabilitation bekommen. Und die Belastung, dass in Verfahren oft nichts weitergeht, weil im Endeffekt immer wieder Gutachten behaupten, man habe nichts oder „nur“ eine Depression. Das macht etwas mit den Betroffenen. Wir versuchen zu sagen, wir kümmern uns mit unseren Juristen um das Rechtliche.

Sie unterstützen auch bei Klagen vor Gericht
Die meisten sind in Verfahren, wo seit zwei Jahren oder öfter schon länger prozessiert wird, gegen die PVA. Zuerst ist immer das Antragsverfahren, das sollte nicht länger als ein halbes Jahr dauern, dann könnte man eine Säumnisbeschwerde einbringen.

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Man hat das Gefühl, die Politik weiß auch nicht, was sie tun soll.

Jürgen E. Holzinger, Obmann desVereins ChronischKrank

Die Realität zeigt, dass diese Verfahren schon länger dauern, oft, weil mehrere Gutachter beauftragt werden. Bei Gericht selbst können nochmal zwei bis drei Jahre vergehen, bis wirklich ein Ergebnis vorliegt. Denn Gutachter arbeiten oft monatelang oder länger an Gutachten. Deswegen ergibt sich so eine lange Zeit.

Warum ist das aus Ihrer Sicht so? Gibt es zu wenige Gutachter oder zu viele Fälle?
Was wir bei den Gutachten sehen, die da kommen. Die sind zwar sehr lange und sehr ausführlich, aber wenn man sie mit Fachleuten bespricht, die sich auskennen. Die sagen, dass wenig Substrat da ist. Es dauert recht lange, bis man ein Gutachten bekommt, es hat auch viele Seiten. Aber was drinnen steht, ist nicht unbedingt das, was der medizinischen Realität entspricht. Und das muss man dann als Patient wieder bekämpfen. Und deswegen dauert das dann so lange.

Wie reagiert die Politik?
Man hat das Gefühl, die Politik weiß auch nicht, was sie tun soll. Scheinbar haben sie auch nicht die Ärzte, die ihnen sagen, wie es geht. Denn sie sind ja selbst keine Ärzte, die Politiker, die müssen sich auch auf ihre Berater verlassen. Und, weil es nicht en vogue ist, dass man in der Politik wieder von Corona spricht. Man merkt, dass man zu diesem Thema eigentlich nichts sagen will. Denn es gibt viele, die dem nicht positiv gegenüberstehen.

So hilft der Verein ChronischKrank

Der Verein ChronischKrank bietet kostenlose Beratung und bespricht mit Betroffenen, welche Möglichkeiten es für sie in ihrer Situation gibt. Geht ein Fall zu Gericht, braucht man eine Vollmacht und muss Vereinsmitglied sein (jährlicher Mitgliedsbeitrag 53 Euro). Im Fall einer Klage kostet diese einmalig 300 Euro, sofern man keine Rechtsschutzversicherung hat. Informationen hier!

Wie sehen Sie die Erfolgschancen für die Klagen?
Es kann so oder so ausgehen. Und wir hoffen, dass bei Gericht Sachverständige beauftragt werden, die bei dem Thema wirklich Ahnung haben. Falls die Klage abgewiesen wird, unterstützten wir auch das nächste Antragsverfahren. Man versucht, es dann deutlicher zu machen, dass man von ärztlicher Seite dezidierter festhält, was passiert ist und hofft auf die Einsicht, dass es Long Covid oder CFS ist.

Was müsste sich bei den Gutachtern ändern?
Man müsste bei der Ausbildung ansetzen. Wenn man schaut, wie lange eine Gutachter-Ausbildung dauert. Es dauert zum Beispiel einen Tag, dass man Sachverständiger für die PVA sein kann. Dass da nicht viel Qualität dahinter sein kann, ist klar. Die Masse der Gutachter sind Allgemeinmediziner, keine Fachärzte. Wichtig wäre eine unabhängige Gutachterausbildung. Und dass man Ärzte bzw. Fachärzte hat, die unabhängig Gutachten schreiben. Immerhin es geht es um Entscheidungen, die die nächsten Jahre des Lebens eines Menschen entscheiden.

Ihre weitere Forderung?
Die Menschen müssen Ansprechstellen im niedergelassenen Bereich haben. Dass es mehrere Ärzte gibt, die sich auskennen, vor allem nicht nur Wahlärzte, sondern auch Kassenärzte.

 Ombudsfrau
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