Eiskalte Schockanrufe

Falsche Polizisten ergaunerten 15 Millionen Euro

Österreich
26.11.2023 18:59

Diebeszüge in der Nachbarschaft, ein verunglückter Angehöriger: Bei ihren Schockanrufen zeigen sich Telefonbetrüger kreativ. Und erbeuten damit Lebensersparnisse vieler Senioren - insgesamt 15 Millionen Euro.

Ottakring in Wien, 21. November 2023: Erni H. (Name geändert) erhält einen Anruf. Ein Mann ist am Telefon. Und erzählt der Frau eine Geschichte, die ihr durch Mark und Bein geht. Die 83-Jährige, so hieß es bei jenem Telefonat, das das Leben der Seniorin wohl bis zu ihrem Tod verändern wird, sei im Visier von Betrügern. Jemand versuche, Geld von ihrem Konto abzuheben.

Unerhört sei das, meinte die Pensionistin gegenüber dem vermeintlichen Polizisten am Hörer. Er werde wen vorbeischicken, einen Kollegen, versicherte jener. Der werde das Vermögen der betagten Dame sichern. Beruhigt wartete H. auf den Beamten, ließ ihn in ihre Wohnung. Goldschmuck und Goldmünzen könne sie ihm geben, verriet sie.

Fürs Bargeld müsse sie zu mehreren Banken. Der erste Polizist am Telefon gab der Seniorin konkrete Anweisungen zu den Behebungen. Am Ende des Tages hatte Erni H. einer Betrügerbande 100.000 Euro übergeben. Dass sie ein Opfer ist, wusste sie erst, als es zu spät war.

14,88 Millionen Euro

Ein unglaublicher Betrag, den die Telefonbetrüger im Jahr 2022 in Österreich von 284 Opfern erbeuteten. Im Schnitt zahlen Betrogene also knapp 52.390 Euro. 

Betrüger sitzen in Callcentern oder in Unterhosen daheim vorm PC
Schauplatzwechsel nach Beirut in den Libanon. Die Täter, die 2022 alleine in Österreich 284 Senioren um 14,88 Millionen Euro gebracht haben, sitzen oft hier. Manchmal in angemieteten Büros, in denen Callcenter eingerichtet werden. Oft nur wie daheim in Unterhosen und mit Kopfhörern vor dem Computer.

Ihre Masche ist erfolgreich. Zu erfolgreich, wie der Leiter der Betrugsabteilung im Bundeskriminalamt, Manuel Scherscher, weiß. Die Tendenz sei steigend.

Jüngst zentraler Knotenpunkt für Betrugsanrufe zerschlagen
Egal, ob Schockanrufe der falschen Polizisten nun nach angeblichen Unfällen der Angehörigen oder nach vermeintlichen Einbrüchen in der Nachbarschaft erfolgen. Die Banden zu fassen, ist nicht leicht. Sie sitzen in Osteuropa, in der Türkei - oder eben im Libanon. Dort zerschlug die Münchener Polizei kürzlich ein Callcenter. Libanesische Sicherheitsbehörden nahmen neun Personen fest. Das Callcenter galt als zentraler Knotenpunkt für Betrugsanrufe falscher Polizisten im deutschsprachigen Raum. Auch in Österreich.

Erni H. aus Wien hilft das wohl nicht mehr. Andere, vor allem ältere Semester mit „alt klingenden Vornamen“, wie ein Ermittler verrät, sollen gewarnt werden.

Betrug läuft über die Masse - und bald mit hohem Anteil KI
Manuel Scherscher weiß bestens, wovon er spricht. Der Niederösterreicher leitet die Betrugsabteilung im Wiener Bundeskriminalamt. Und hat dadurch unweigerlich auch mit den Umtrieben der falschen Polizeibeamten zu tun. Immer wieder gelinge es auch heimischen Ermittlern, Zellen im Ausland zu sprengen. Negativer Beigeschmack: Andere „übernehmen“ dann einfach die „Arbeit“. Und doch gelingt es dem Bundeskriminalamt mit großen Aufklärungsoffensiven, dass es bei dem einen oder anderen Betrugsversuch nur bei einem Versuch bleibt.

Mit den Banken sei man in ständigem Kontakt. Denn sie sind es, so Scherscher zur „Krone“, die eingreifen können, wenn zu viel Geld abgehoben wird.

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Die Frage ist nicht, ob die KI bei Betrug zum Einsatz kommt, sondern wann und in welcher Intensität.

(Bild: APA/GEORG HOCHMUTH)

Manuel Scherscher leitet die Betrugsabteilung des BK.

„Wenn jeder Zwanzigste Geld hergibt, ist das ein Erfolg“
Noch gehen die Täter übrigens großteils analog vor und läuft der Betrug über die Masse: „Wenn jeder Zwanzigste Geld hergibt, ist das ein Erfolg.“

Doch auch in jenem Bereich wird die Künstliche Intelligenz, kurz KI, bald Einzug halten. „Die Frage ist nicht, ob sie kommt, sondern wann und in welcher Intensität“, warnt der Chefermittler. Doch auch die Polizei arbeitet mit Technologieunternehmen zusammen, um gemeinsam an der KI zu forschen und Werkzeuge zu kreieren, die helfen sollen, Betrugsversuche im Keim zu ersticken.

Nicht umsonst: Cybercrime ist eine der am stärksten wachsenden Verbrechensarten. 2022 stiegen die Anzeigen bei solchen Delikten um 30 Prozent auf mehr als 60.000 an. Beim Betrug gab es ebenso ein Plus von 23 Prozent - ein Anstieg auf 27.600 Straftaten. Das sind zumindest jene, von denen man weiß. Denn noch immer trauen sich zu viele aus Scham nicht, zur Polizei zu gehen.

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