Das große Interview

Warum gerade jetzt, Herr Landeshauptmann?

Tirol
19.06.2022 05:59

Mit Günther Platter (68) verlässt eine der prägendsten Figuren der ÖVP die politische Bühne: Mit der „Krone“ spricht der Tiroler Landeshauptmann über einsame Entscheidungen, Morddrohungen gegen seine Familie, eine Ära mit acht Bundeskanzlern und den Skitouren-Unfall, der beinahe tragisch geendet hätte.

Auf der Wiese hinter dem „Isserwirt“ in Lans, am Fuße des Patscherkofels, weht die Tiroler Fahne. Günther Platter sitzt ganz in sich gekehrt auf einer Holzbank im Schatten einer Sommerlinde, unter ihm liegt die Stadt Innsbruck, gegenüber blitzt die Nordkette in der Sonne. „Gestern haben wir hier den 80. Geburtstag von Altlandeshauptmann Herwig van Staa gefeiert“, erzählt er später, bei einem Rundgang durch die Stuben des 700 Jahre alten Hauses, das schon in 16. Generation in Familienbesitz ist. Der Dichter Georg Trakl hat hier viel Zeit verbracht, „Abend in Lans“ erzählt davon. Platter hat sich diesen Platz für das Abschiedsinterview gewünscht, mit Vogelgezwitscher als Hintergrundmusik.

„Krone“: Es sind jetzt 48 Stunden, seit Sie Ihren Rückzug bekannt gegeben haben. Welches Gefühl überwiegt?
Günther Platter: Große Erleichterung, weil alles so reibungslos über die Bühne gegangen ist. Und auch ein bisschen Wehmut. Ich war 36 Jahre in der Spitzenpolitik. Bürgermeister, Nationalrat, Landesrat, Verteidigungsminister, Innenminister und die letzten 14 Jahre mit großer Begeisterung Landeshauptmann von Tirol. Das ist eine wunderschöne Aufgabe. Der Abschied ist durchaus eine emotionale Angelegenheit, aber ich bin der Überzeugung, dass er richtig ist.

Noch im Mai 2021 haben Sie angekündigt, dass Sie die Tiroler Volkspartei 2023 als Spitzenkandidat in die Landtagswahl führen werden. War das halbherzig?
Nein, es war damals meine feste Absicht. Aber es hat sich dann sehr viel ereignet. Ich war Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz und hatte es nur in diesem halben Jahr mit drei Bundeskanzlern zu tun. Insgesamt waren es, glaube ich, acht. Dann kam die Landeshauptleutekonferenz am Achensee, da wurden gegen meinen Willen Entscheidungen getroffen. Impfpflicht, Lockdown für alle. Obwohl man sich vorher einig war, das kommt nicht mehr. Zumal wir in Tirol schon im März 2020 vorausgegangen sind und damals die Wintersaison beendet haben. Das hat mich alles sehr getroffen. Danach hat es sich abgespielt. Anfeindungen, Beschimpfungen, Drohungen.

Was für Drohungen?
Auch Morddrohungen. Ich habe alles der Polizei übergeben. Das war für mich nicht neu. 2007, als ich Innenminister war, bekam ich schon einmal einen Brief mit einem Projektil. Aber diesmal war die Familie eingebunden. Dann fand dieser Autokorso der Impfgegner statt, 75 Kilometer von Innsbruck nach Zams, wo ich wohne. Die Polizei hat das gut abgeschottet, aber in der Folge mussten wir vom Verfassungsschutz überwacht werden. Ich muss schon sagen, seit dieser Pandemie spürt man als Politiker eine unglaubliche Kälte. Ohne jetzt wehleidig zu sein, aber wie geht man heute mit Politikerinnen und Politikern um? Ich habe noch nie von so vielen Menschen, die Interesse an der Politik haben, gehört: „Das tu ich mir nicht an.“

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Morddrohungen waren für mich nicht neu. Ich habe 2007, als ich Minister war, schon einmal einen Brief mit einem Projektil bekommen.

Günther Platter bekam während seiner Politiklaufbahn oft Drohungen.

Gab es Momente, in denen Sie Angst hatten?
Ich persönlich nicht, denn als ehemaliger Gendarmeriebeamter weiß ich, dass der Verfassungsschutz das gut im Griff hat.

Sie haben bei Ihrer Abschiedsrede gesagt, dass es Tage gebe, die Sie nicht noch einmal erleben möchten. Welche?
Da gibt es tatsächlich einige. Zum Beispiel, als die eigene Bundesregierung Tirol wegen der südafrikanischen Variante als Risikogebiet erklärt hat. Und auch den Tag, als Bayerns Ministerpräsident Söder die Grenze zu Tirol gesperrt hat. Ich habe damals offiziell in der Bayrischen Staatskanzlei angefragt, ob ich über das Deutsche Eck nach Wien zu einer Sitzung mit dem Bundeskanzler fahren könnte, und dann ist schriftlich zurückgekommen: „Nein.“ Das war nicht mehr das Europa, das ich mir vorstelle.

Haben Sie Sebastian Kurz mittlerweile verziehen?
Es hat schon eine heftige Auseinandersetzung gegeben. Aber wir haben uns das ausgeredet.

Die Ära Kurz in einem Satz?
Er war ein äußerst erfolgreicher Wahlkämpfer und bleibt für mich trotz vieler Anfeindungen ein sehr erfolgreicher Politiker.

Apropos Wahlen: Sind Sie aus Angst vor einem schlechten Wahlergebnis zurückgetreten oder warum sonst gerade jetzt?
Das Gegenteil ist der Fall. Durch die Öffnungsschritte hat sich die Stimmung gedreht. Sie ist schon deutlich positiver, als sie noch im Frühjahr war. Wobei es schon stimmt, dass der Rückenwind, den die Landesparteien bei der letzten Wahl hatten, im Moment fehlt. Warum gerade jetzt? Ich habe diese Entscheidung nicht von heute auf morgen getroffen. Nach der Achensee-Konferenz und den darauffolgenden Drohungen habe ich viele Gespräche geführt. Mit meiner Familie, mit meinen Freunden. Da stellte sich immer deutlicher heraus: Fünf Jahre gehen sich bei mir nicht mehr aus. Am meisten hat mich meine Mama berührt. Sie meinte, sie möchte noch erleben, dass ich einmal in meinem Leben eine Ruhe haben soll. Als ich ihr meinen Entschluss mitgeteilt habe, hat sie am Telefon geweint.

Hatte auch Ihr Bergunfall etwas mit der überraschenden Entscheidung zu tun, die Sie für sich getroffen haben?
Wenn Sie mich so fragen … Das war wirklich eine haarscharfe Angelegenheit. Da war ich selber schuld, weil ich allein auf einer Skitour unterwegs war. Ich bin gestürzt und war bewusstlos. Danach bin ich trotz Serienwirbelbrüchen und einem ausgeschlagenen Zahn noch selber abgefahren. Manche haben gemeint: Ein zacher Hund, wie man in Tirol sagt. Ich bin wirklich dankbar, dass das noch einmal gut ausgegangen ist.

Sie haben den fehlenden Rückenwind der Bundespartei angesprochen. Aber muss man das, was sich derzeit in Ihrer Partei abspielt, nicht eher als Gegenwind bezeichnen?
Ja, und ich bedaure das. Aber ich traue Karl Nehammer zu, dass er die Partei da wieder herausführt. Bei allen Höhen und Tiefen, die es in der Politik immer wieder gibt, ist es wichtig, die Zuversicht nicht zu verlieren. Die Menschen müssen spüren, dass einem Politik trotz allem Freude macht. Ich habe diese Freude bis zuletzt nicht verloren. Ich bin Optimist geblieben. Denn ein Pessimist - kennen Sie das? - ist der einzige Mist, auf dem nichts wächst. - Lacht.

Was war der schönste und was war der schlimmste Tag in den letzten 36 Jahren?
Der letzte Wahlerfolg mit über 44 Prozent, das zählt zu den schönsten Tagen. Ein schlimmer Tag war, als die Hypo-Bank beinahe „tschari“ gegangen wäre und wir es innerhalb von vier Tagen geschafft haben, sie zu retten. Der absolut schlimmste Tag war die Hochwasserkatastrophe 2005. Ich war damals als Verteidigungsminister gerade in Afghanistan, hab' mich sofort auf den Rückweg gemacht und bin mit dem Hubschrauber hingeflogen. Es war schrecklich. Aber es gab Gott sei Dank keine Toten und wir haben alles wieder so aufgebaut, wie es vorher war.

Am 25. September wird in Tirol vorzeitig gewählt. Warum überlassen Sie dafür eigentlich nicht Ihrem Nachfolger Anton Mattle die Bühne?
Diese Frage verstehe ich. Und ich habe Anton Mattle auch angeboten, dass ich schon im Juli übergeben könnte. Er meinte, ich solle doch bleiben. Das macht auch Sinn, denn wir hätten sonst drei Monate vor der Wahl eine Regierungsumbildung machen müssen. Anton Mattle möchte auch nicht kurz vor der Wahl vom Landtag gewählt werden, sondern die Legitimation von der Bevölkerung bekommen.

Worauf freuen Sie sich am Morgen des 26. September am meisten?
Da werde ich gleich nach dem Aufwachen auf den Berg raufgehn, ins Zammerloch hinein. Es gibt dort eine Ebene, von der aus man auf Zams runterschauen kann. Man hat dann diesen Weitblick, den ich so manchem Politiker empfehlen würde. Das klingt jetzt vielleicht kitschig, aber da denke ich mir jedes Mal, was für ein unfassbares Glück es ist, in diesem Land zu leben.

Und Ihre weiteren Pläne?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Sicher Zeit mit meinen Enkelkindern verbringen, musizieren, bergwandern. Aber nicht mehr mit dem Ehrgeiz, mich abzuquälen. Ich habe so viele Gipfel erklommen, außer einen. Das Matterhorn habe ich nicht geschafft. Das wäre mir jetzt auch zu gefährlich.

Werden Sie ein Buch schreiben?
Wer soll denn das lesen? All diese Politikerbücher interessieren doch ohnehin keinen Menschen. - Lacht. - Ich habe mir auch geschworen, keine Zurufe über Medien zu machen. Ich halte mich aus der Tagespolitik heraus.

Wie alt möchten Sie werden?
Meine Mama ist 91. Also dürfte ich gute Gene haben. Aber das Alter spielt keine Rolle. Sondern, dass man sich fit fühlt und noch etwas unternehmen kann. Für den kommenden Lebensabschnitt habe ich mir zwei Dinge vorgenommen: erstens, den Zeitpunkt selbst zu bestimmen, zu dem ich mein Amt niederlege, zweitens, noch möglichst viele lebenswerte Tage zu verbringen.

BUCHDRUCKER, GENDARM, MUSIKER

Geboren am 7. Juni 1954 in Zams. Erlernter Beruf: Buchdrucker. In den Siebzigerjahren besucht Platter die Gendarmerieschule und wird Gendarmeriebeamter. In der Politik seit den späten Achtzigerjahren, zunächst als Bürgermeister seiner Heimatgemeinde. 2003 wird er Verteidigungsminister, kurz auch Innenminister. Seit 2008 ist Platter Landeshauptmann von Tirol, vergangenen Montag gab er seinen Rückzug bekannt. Verheiratet mit Silvia, zwei erwachsene Söhne. In seiner Jugend war er bei einer Rockband, er spielt Gitarre und Tenorhorn.

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