1805 Tage war ein Burgenländer einst zu Unrecht in Kairo in Haft. In der „Krone“ erzählt er jetzt über sein neues Leben - und über seine Hilfsaktion für einen früheren Zellengenossen.
Alles wirkt wie ein kleines Paradies. Das hübsche Häuschen. Der ruhige Garten, in dem Bäume, Blumen und Gemüse wachsen. „Ja“, sagt Hannes Führinger (42), „ich habe hier ein friedliches Leben.“ In diesem beschaulichen Dorf im Burgenland, nahe der Grenze zu Ungarn. Seine gleichaltrige Ehefrau Lisa sitzt neben ihm, an dem Tisch auf der Terrasse.
„Irgendwann wollten wir nur noch vergessen“
„An das schlimme Früher“, erklärt sie, „denken wir kaum noch.“ Das „schlimme Früher“, das sie meint: die vielen Jahre, 1805 Tage waren es genau, die ihr Mann schuldlos in Kairo inhaftiert gewesen ist.
„Krone“-Leser werden sich vielleicht noch an seine Geschichte erinnern: Der Ex-Bundesheer-Soldat hatte sich 2010 mit einer Security-Firma selbstständig gemacht und seitdem wiederholt Aufträge in Ägypten angenommen. So auch im November 2011. Er sollte damals – „wieder einmal“ – ein Schiff bewachen. In seinem Gepäck hatten sich vier Gewehre, deklariert und verzollt, befunden.
„Ich weiß nicht, warum“, bricht es aus Lisa Führinger heraus, „aber während ich ihn damals damit nach Schwechat brachte, kam plötzlich ein unangenehmes Gefühl in mir auf, und ich bat Hannes, nicht zu fliegen.“ Doch er nahm ihre Vorahnungen nicht ernst: „Ich lachte sogar darüber“, erinnert er sich, „weil ich natürlich davon ausging, dass dieser Einsatz genauso verlaufen würde wie die anderen davor.“ Abgesprochen mit der dortigen Regierung, „und demnach harmlos“.
Ein grauenhaftes Urteil – „im Namen Allahs“
Dann, bei seiner Ankunft in Kairo, „die böse Überraschung. Ich wurde wegen Waffenschmuggel festgenommen. Ich könne mich durch Übergabe einer Geldsumme freikaufen und in meine Heimat zurückkehren, hieß es.“ Ein Deal, auf den der Burgenländer nicht einging, „schließlich hatte ich nichts Unrechtes getan.“ Und er glaubte an eine „baldige Aufklärung der falschen Anschuldigungen“.
Ein Fehler. Bei einem Schauprozess wurde er „im Namen Allahs“ zu siebeneinhalb Jahren Kerker verurteilt. Letztlich kam er früher frei, am 11. Oktober 2016, durch die Bemühungen des Außenamts und seiner Anwältin Astrid Wagner. Bereits in dem Horror-Knast Al Qanater, eingepfercht in einer 17-Quadratmeter-Zelle mit weiteren 40 Insassen, hatte Führinger ein Buch über sein Schicksal geschrieben – das später zu einem Bestseller wurde.
Einer der Hauptprotagonisten darin: sein Mithäftling Sergej, ein um zwei Jahre jüngerer Russe, „der meine engste Bezugsperson gewesen ist“; der 2009 in das Gefängnis gekommen war. Warum? „Er, ein Umweltschutzaktivist, hatte aus dem Roten Meer Plastikmüll geholt und am Strand von Hurghada zwischendurch einmal eine Haschzigarette geraucht.“ Die Folge: eine Verurteilung zu 15 Jahren.
Sergej sitzt also bis dato in Al Qanater ein: „Gegen eine Zahlung von knapp 15.000 Euro könnte er allerdings mittlerweile entlassen werden. Daher habe ich per Facebook für ihn einen Spendenaufruf gestartet.“ Für diesen Mann aus Nowosibirsk, dessen ehemalige Freunde längst keinen Kontakt mehr zu ihm haben; dessen einzige Bezugspersonen seine betagte Mutter, eine Mindestrentnerin, und Hannes Führinger geblieben sind.
„Meine Familie gibt mir große Kraft“
„Wir schreiben einander regelmäßig Briefe. Wir werden einfach immer in Verbindung miteinander bleiben. Weil wir zusammen Fürchterliches durchgemacht, weil wir uns gegenseitig in unserer Pein so viel geholfen haben.“ Sergej, betont der 42-Jährige, dürfe ob seiner Herkunft nicht in Verbindung gebracht werden mit den Gräueltaten, die seine Landsleute gerade in der Ukraine begehen: „Denn ich weiß: Er ist ein ausnehmend mitfühlender Mensch.“
Zurück zu Hannes Führinger: Wie hat sich sein Dasein nach seiner Rückkehr nach Österreich entwickelt? „Positiv. Ich begann wieder beim Bundesheer zu arbeiten, 2020 sattelte ich um, machte eine Ausbildung zum Maschinenbautechniker und Konstrukteur. Ich bin jetzt für eine tolle Firma tätig, mein Job macht mir wirklich Spaß.“
Und privat? „Lisa und ich haben auch noch kirchlich geheiratet und ein Wunschkind, Mia, sie ist jetzt 4, bekommen.“ Leonie (17), die Tochter aus einer früheren Beziehung seiner Frau, liebe er ebenfalls sehr: „Ich bin extrem stolz auf sie. Sie besucht das Gymnasium, ist eine brave Schülerin.“ Die Familie sei eben das Wichtigste für ihn, „sie gibt mir Kraft“; und zu dieser Familie gehören – „nicht nur nebenbei“ – Kater „Maxi“ und Hündin „Daisy“; gerettet aus einer Tötungsstation im Ausland. Herr Führinger, Sie scheinen tatsächlich in einer wunderbaren Welt zu leben ... „Lisa und ich haben uns eine ‘Oase‘ geschaffen.“
„Ich bin im Gefängnis sehr bescheiden geworden“
Werden Sie mitunter noch auf Ihre Zeit im Gefängnis von Kairo angesprochen? „Oft. Aber manchmal fällt mir auf, dass mich Menschen darauf nicht anzureden trauen, weil sie denken, bei mir möglicherweise eine Retraumatisierung auszulösen. Doch da besteht keine Gefahr. Weil ich so glücklich bin, in der Gegenwart.“
Bescheiden zu sein, echte Werte zu erkennen. Das habe ich in der Haft gelernt.
Hannes Führinger
Was macht dieses Glück aus? „Bescheiden zu sein, echte Werte zu erkennen. Das habe ich in der Haft gelernt.“ In der Umsetzung bedeute dies etwa: „Möbelstücke oder Elektrogeräte nicht wegzuwerfen, wenn sie kaputt werden – sondern zu reparieren. Oder mich zum Beispiel richtig zu freuen über Tomaten, die im Garten gedeihen. “
Und zu schätzen, was „eine wahrhaftige Beziehung“ bedeutet. „Lisa hat mich in den fünf Jahren, in denen ich in Haft war, nicht verlassen. Sie hat mich oft in Al Qanater besucht, für mich wie eine Löwin gekämpft, mir unzählige Durchhaltebriefe geschickt. Solch einen Menschen an seiner Seite zu haben empfinde ich als Privileg.“ Nachsatz: „Und ich hoffe, dass Sergej irgendwann – genauso wie ich – sein Drama fast vergessen wird.“
Das Spendenkonto für ihn wurde bei der Oberbank eingerichtet. Kennwort Sergej: AT18 1500 0040 2101 7514.
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