Taxi-Geschichten

Durchhaltevermögen gegen Behördenschikanen

Wien ist leiwand
04.06.2022 11:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Es ist ein warmer Sommertag, mitten in den 2010er-Jahren. Jatinder fährt gerade Pizzen auf einem Roller aus und biegt fachgerecht in eine Kreuzung ein. Doch ein Auto übersieht den jungen Inder, rammt ihn und der Sturz ist unvermeidlich. Die Folgen daraus sind so furchtbar, wie doch irgendwie glücklich: Die oberen Halswirbel sind stark mitgenommen, aber es besteht zum Glück keine Lähmungsgefahr. Sechs Monate lang trägt er eine Halskrause und nebenbei wird ihm gewahr, dass er keine ruckartigen Beugebewegungen mehr machen kann. Mit dieser Diagnose stirbt die alte Karriere und eine neue beginnt. Er macht den Taxischein und ist fortan auf den Straßen Wiens unterwegs. Schwer heben oder üppig gefüllte Essenskartons zu transportieren wäre nicht möglich. „Ein paar Koffer von Fahrgästen gehen schon, viel mehr aber nicht.“

Jatinder stammt aus dem Bundesstaat Punjab, im Nordwesten Indiens. Er kam relativ früh nach Österreich und hat zuvor im ländlichen Bereich Fuß gefasst. Am Neufelder See an der burgenländisch-niederösterreichischen Grenze und etwas später direkt in Wiener Neustadt machte er sich gastronomisch selbstständig. „Wir haben Pizza, Kebab und andere Speisen verkauft. Aber sehr hochwertig. Nicht die Massenware, die man sonst überall bekommt. Deshalb haben wir uns auch lange sehr gut gehalten.“ Direkt beim Lokal hatte er ein paar Sitzplätze für die Laufkundschaft, den Rest der Ware hat er in die Umgebung geliefert. Anfangs noch alleine. Ein 24/7-Job, für den man nicht nur sehr viel Leidenschaft, sondern auch Durchhaltevermögen aufbringen muss.

„Man hat irrsinnig viel Verantwortung und wird permanent kontrolliert, aber es bleibt dir nichts übrig. Der Staat will sowieso nicht, dass es den Kleinunternehmern in diesem Land gut geht.“ Mit Schaudern erinnert sich Jatinder an seine Zeit am Neufelder See zurück. Für den sympathischen Inder war es eine Ära voll behördlicher Schikanen und rassistischer Umtriebe - auch wenn er jene nie direkt zu spüren bekam. „Ich wurde die ganze Zeit kontrolliert und die BH hat immer irgendwas gefunden. Die haben gesehen, dass ein Ausländer etwas aufzieht und ein gutes Geschäft macht. Das hat sehr vielen Menschen nicht gepasst. Oft war es wie eine Razzia. So als wäre ich ein Verbrecher. Es gab die ganze Zeit nur sinnlose Regeln, Formulare, Stress.“ In der besten Zeit hatte Jatinder fünf Mitarbeiter. Für das Wochenendgeschäft musste er diese Anzahl oft noch temporär verdoppeln.

Einmal bewarb sich ein fleißiger Zeitungsausträger mit perfekter Ortskenntnis. Jatinder empfing ihn außerhalb der Öffnungszeiten und sagte ihm, er könne sich in der Küche einen Tee zubereiten. Plötzlich klopfte es, der junge Mann öffnete und die Kontrollore der BH standen vor der Tür. Der Bewerber habe sich illegal in der Küche aufgehalten, dürfte dort nichts trinken und sich selbst nichts zubereiten. Rund 2000 Euro hoch war die Strafe, Jatinder hat sie natürlich bezahlt. „Rein rechtlich war das schon korrekt, aber der Junge hat sich doch nur beworben. Ich hatte geschlossen und er hat sich mit mir unterhalten. Es war auch nicht sein Fehler. Sein Deutsch war nicht gut und er konnte sich in diesem Moment nicht wehren. Die haben es einfach darauf angelegt, was soll das sonst sein?“

Seine zwei Lieferservice-Stellen gab er nicht nur wegen des Unfalls auf, sondern auch wegen der Mühsal mit den Behörden und der Tatsache, dass er auch mit unzähligen Überstunden nie wirklich Geld zurücklegen konnte. „Es war eine schöne Zeit, aber irgendwann war es damit vorbei.“ Nach Wien kam er erst durch das Taxifahren - und bereut keine Sekunde. „Für Ausländer ist Wien sicher der bessere Ort. Ich war am Land überhaupt nicht unglücklich, hatte dort auch gute Freunde und genoss die frische Luft. Aber die Toleranz in der Stadt ist einfach eine andere. Die Unterschiede sind eklatant.“ Der Taxi-Job war vor allem während der Pandemie hart und reich wird Jatinder damit auch nicht, aber „ich würde sicher nicht mehr tauschen. Alles ist jetzt gut, wie es ist.“

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