Ausgerechnet in einer der trockensten Regionen der Erde finden die Olympischen Winterspiele 2022 statt. Die Wüste Gobi reicht fast bis vor die Tore von Peking, das 180 Kilometer nördlich gelegene Zhangjiakou ist dem Wüstengürtel noch näher. Im Winter gibt es in der Gegend wochenlang kaum Niederschlag und nahezu keinen Schneefall. Die daher notwendige, enorm energieaufwendige Kunstschnee-Produktion führt für Kritiker das Bild der „nachhaltigen Spiele“ ad absurdum.
Das Wüsten- und Steppenklima ist vor allem durch eine extreme Trockenheit gekennzeichnet. Diese Voraussetzung machen Winterspiele in diesen Gefilden bereits in der Theorie zweifelhaft, weil tonnenweise Kunstschnee notwendig ist, dessen Produktion Unmengen von Wasser und Strom verschlingt. Dabei herrscht in Peking und Umgebung ohnehin bereits Wassermangel. „Die Wasserverfügbarkeit ist eine der niedrigsten in ganz China“, erklärt Carmen de Jong von der Universität Straßburg.
Peking 2022 werden die ersten Winterspiele mit 100 Prozent Kunstschnee. Dieser wird im winterlichen Hochleistungssport zwar überall eingesetzt - auch auf der weltberühmten „Streif“ in Kitzbühel. Jedoch ist in den meisten Fällen in Europa und Nordamerika eine natürliche Schneedecke in der Umgebung vorhanden, die in Peking und den angrenzenden Provinzen fehlt. Der Bedarf an Kunstschnee ist Schätzungen zufolge drei- bis viermal so hoch wie bei einem alpinen Austragungsort, auch weil der Wind viel von dem maschinell erzeugten Pulver sofort verweht. Für Umweltschützer und Wissenschafter war das Versprechen von einem grünen Großereignis daher von Anfang ein Trugbild.
Winterspiele in einer Gegend mit extremer Wasserknappheit auszurichten, sei aus einer Umwelt-Perspektive schlicht nicht vertretbar, meint de Jong, die als Hydrologin unter anderem zu Klima-Aspekten des Wintersports forscht. „Ich bin der Meinung, dass es die unnachhaltigsten Spiele aller Zeiten sind“ sagte sie. De Jong berechnete den Wasserverbrauch für die Kunstschnee-Abdeckung aller Wettkampfstätten 2022 und kam auf eine fast irrwitzige Zahl: 2,5 Milliarden Liter seien für die Produktion notwendig.
Die Peking-Macher beharren einerseits auf der „objektiven Notwendigkeit“ von Kunstschnee, „um große internationale Wettkämpfe zu garantieren“, wie das Organisationskomitee ausführt. Zudem werde nur ein kleiner Prozentsatz des lokalen Wasserkonsums verwendet. Der Strom für die Schneekanonen komme fast gänzlich aus erneuerbaren Energiequellen. Windräder und Solarzellen seien in der Region installiert worden.
Dass der hohe Energiebedarf wirklich allein mit grünem Strom und vorhandenen Wasserreserven gedeckt werden kann, bezweifeln Experten aber. Problematisch ist auch, dass der Großteil des Wassers aus Dutzenden von Kilometern entfernten, in Tälern gelegenen Reservoirs in die Berge gepumpt werden muss. „Das sind gigantische Energiemengen, die dafür benötigt werden“, so de Jong. Hinzu kommt, dass in Yanqing eigentlich ein Naturschutzgebiet war. Großflächig wurde dort Wald gerodet, Boden sowie Vegetation zerstört. Die Organisatoren der Spiele kündigten an, als Ausgleich für die Umweltschäden neue Bäume pflanzen zu wollen.
Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass heutzutage fast alle Winterspiele - egal wo sie ausgetragen werden - den Kriterien von Nachhaltigkeit nicht entsprechen würden. „Im Winter ist es natürlich noch schwieriger, nachhaltig zu sein, wegen der Energie für Beschneiung, dem Umbau von Landschaften, Entwaldung, Pistenbau. Das ist ein ganz anderer Eingriff in die Natur“, betont de Jong. In Zukunft werde es nur noch ganz wenigen Orten möglich sein, ein faires und sicheres Olympia-Spektakel im Winter zu garantieren. Das fand eine vor kurzem in der Fachzeitschrift „Current Issues in Tourism“ publizierte Studie heraus, an der auch die Universität Innsbruck beteiligt war.
Wenn die Erderwärmung ungebremst weiter läuft, würde von den bisher 21 Olympia-Städten seit Chamonix 1924 im Jahr 2080 nur noch eine zuverlässig Spiele ausrichten können - Sapporo in Japan. Der Trend gehe aber ohnehin in Richtung Diktaturen, weil die Bevölkerung im alpinen Raum Widerstand leiste, sagt de Jong. „Kasachstan, China zum Beispiel sind das Unnachhaltigste.“ Dem Wintersport stellt sie generell kein rosiges Zeugnis aus. „Es gibt keine andere Industrie, die den Klimawandel so ignoriert“, meint die Geografin. „Man müsste halt anfangen, umzudenken und mehr die Sommerspiele forcieren, oder zumindest die Anzahl der Bewerbe reduzieren.“
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