Nach Abschiebung

Bericht aus Kabul: „Sicherheit gibt es nicht“

Ausland
18.08.2021 06:00

Neben den Österreichern, die sich noch in Afghanistan befinden, sitzt auch der einst bestens bei uns integrierte, jedoch im Jahr 2019 trotzdem abgeschobene P. (24) in der Taliban-Hölle fest. „Sicherheit gibt es hier nicht“, berichtet er der „Krone“ direkt aus Kabul. Ein Blick auf die Zahl der Afghanen in Österreich zeigt, dass sich diese seit Beginn der Flüchtlingskrise 2015 vervielfacht hat. Exakte Daten liegen zwar nicht vor, Behörden gehen aber von bis zu 50.000 Personen aus.

Vor etwas mehr als zwei Jahren brach für P. seine ganze Welt in sich zusammen. Der junge Afghane, der seit 2016 das BG in Stockerau (NÖ) besuchte und so gut Deutsch lernte, dass er sogar seinen Mitschülern Nachhilfe in Mathematik geben konnte, wurde in seine alte Heimat Afghanistan abgeschoben. Ohne Anschluss an die dortige Bevölkerung und praktisch ohne Familienmitglieder.

Weg von seinen zahlreichen Freunden in Niederösterreich und das trotz eines Arbeitsvorvertrages, den er bereits in der Tasche hatte. Interventionen seines großen Freundeskreises und seitens mehrerer Anwälte brachten genauso wenig wie ein Bittschreiben an den Bundespräsidenten.

Mit Todeslisten in der Hauptstadt unterwegs
2019 landete P. schließlich in einem Hotel in Kabul. Terror in Form von Anschlägen war dort immer präsent, so der Afghane. Nun sieht er sich einer weit größeren Gefahr ausgesetzt. Die radikal-islamischen Taliban, die die Stadt übernommen haben, ziehen mit Todeslisten von Tür zu Tür, wie die britische „Sun“ berichtet. Vor allem Frauen und Homosexuelle fürchten Folter und Exekution durch die „neuen Herrscher“.

Und das, obwohl unzählige von ihnen im Glauben, dort sicher zu sein, extra nach Kabul flüchteten. „So etwas wie Sicherheit gibt es nirgendwo, auch nicht hier in der Hauptstadt“, betont der 24-Jährige gegenüber der „Krone“.

„Es warten Tod und Folter“
Es sind auch keine leichten Stunden für Sulaiman Shah Alokozay. 2014 floh er aus Kabul nach Graz, wo er heute beim Integrationsverein Zebra arbeitet. Seine Gedanken drehen sich um die katastrophale Lage in Afghanistan: „Eine dunkle Zeit hat begonnen. Die Taliban regieren mit Krieg und Folter. Meine Freunde, Verwandten und ehemaligen Kollegen sind in Gefahr.“ Beteuerungen, dass niemand zu Schaden käme, glaubt er nicht. „Die Taliban wollen Rache.“ Und zum Thema Abschiebungen sagt er ganz klar: „In Afghanistan warten nur Folter und Tod.“

Auch Roohullah Borkani, Fereydun Zahedi und Sharif Mohammadi, der den Grazer MigrantInnenbeirat leitet, sorgen sich um Verwandte und Freunde. Wie schlimm die Situation ist, bekommen sie im Minutentakt am Smartphone mit - auch als die „Krone“ sie in der ersten persischsprachigen Bibliothek in Graz besucht. „Eine Freundin hat mir geschrieben, dass sie schon ein Flugticket in die USA hatte, aber nicht zum Flughafen durchkommt, schon gar nicht ohne Mann. Man hat ihr nahegelegt, nach Hause zu gehen, sonst werde sie erschossen“, erzählt Borkani.

„Es wird von Tag zu Tag schlimmer“
Angesichts der aktuellen Situation in seinem Heimatland ist Rajab Rezai sehr froh, heute in Ybbs an der Donau (NÖ) zu wohnen. 2015 flüchteten der heute 38-Jährige mit seiner Frau Mariam und den Kindern Mahdy und Mahdija. „Als Angehörige der Hazara-Minderheit war es für uns dort sehr gefährlich“, erzählt er. Still und heimlich setzte sich die Familie damals aus ihrem Dorf nahe der Stadt Gazny zu Fuß über die Grenze in den Iran ab, von dort ging es mit Schiff und Bus, später per Zug über Griechenland und Mazedonien weiter nach Thalheim. Im Auffanglager in Salzburg stellte die Familie schließlich den Asylantrag.

In Niederösterreich kam dann auch Sohn Josef zur Welt, Rezai selbst arbeitet jetzt in einem Ybbser Sägewerk: „Wir wurden hier wirklich mit offenen Armen aufgenommen, erhielten anfangs vier Tage die Woche von einem Verein Deutschunterricht.“ Die Nachrichten über die Machtergreifung der Taliban verfolgt die bestens integrierte Familie mit Sorge: „Die Bilder im Fernsehen spiegeln das Grauen vor Ort vermutlich nicht einmal zur Hälfte wider. Und es wird von Tag zu Tag schlimmer!“

Beachtliche Volksgruppe
Knapp 35.000 Frauen, Kindern, vor allem aber Männern aus Afghanistan hat Österreich seit 2015 Schutz gewährt. Da viele Einwanderer nicht erfasst und andere schon länger im Land sind, wird die Community auf beachtliche 45.000 bis 50.000 Personen geschätzt. Ein Großteil der Afghanen lebt in Wien. Durch die neuerliche Machtergreifung der Taliban setzte nunmehr eine neue Massenflucht aus dem kriegsgebeutelten Land ein.

Dass sich die Vertriebenen sofort auf den Weg Richtung Europa machen werden, bezweifeln Experten. Die Erfahrung zeige, dass die Welle oft mit Jahren Verzögerung eintritt. Dennoch schrillen nicht nur in Österreich bereits die Alarmglocken. Bis zuletzt sorgten Abschiebungen von abgelehnten und großteils straffälligen Afghanen in ihre Heimat auch für politischen Zündstoff. Die ÖVP hielt an der - rein theoretischen Möglichkeit - fest. Am Dienstag wurden vier Personen abgeschoben - nach dem Dublin-Abkommen nach Rumänien.

Ein Fünftel bereits mit dem Gesetz in Konflikt
Die angepeilten Abschiebungen betreffen vor allem Straftäter - derer gibt es bei Afghanen nicht wenige. Beinahe ein Fünftel soll sich strafbar gemacht haben, so die Kriminalstatistik. Vor allem Körperverletzung, Betrug und Drogenvergehen scheinen verstärkt auf. 189 Verdächtige in Sexualverbrechen kamen 2020 aus Afghanistan.

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