„Krone“-Gespräch

Mayhem: „Die dunklen Künste treiben uns an“

Musik
12.07.2021 08:00

Anstatt einer weltumspannenden Tour und zahlreicher Festivalshows saß das norwegische Black-Metal-Flaggschiff Mayhem die letzten eineinhalb Jahre am Trockenen. Nun veröffentlichen Hellhammer, Necrobutcher und Co. eine brandneue EP und kommen 2022 ins Grazer Explosiv. Frontmann Attila Csihar sprach mit uns im ausführlichen Interview über die Corona-Monate, die schwierige Beziehung untereinander, die Tücken des zweifelhaften Rufs der Band und über die Kultband Scooter.

(Bild: kmm)

37 Jahre voller Skandale, Gerüchte, Erfolge und Mysterien. Wie keine zweite Band hat die Geschichte von Mayhem der Black-Metal-Szene ihren Stempel aufgedrückt. Mit dem Spielfilm „Lords Of Chaos“ und der darin nicht detailgetreu nachgestellten Geschichte der Norweger hat die Truppe, deren Vergangenheit zwischen Mord, Kirchenbränden, voll Kunstblut triefender Liveshows und provokanter Ansichten changiert, auch erstmals im Mainstream Einzug gehalten. Zumindest zu einem gewissen Grad, denn freilich ist das nihilistische Treiben der Kultband aus Oslo nach wie vor nicht zugänglich für die breite Masse. Die Historie der Band würde hier jeglichen Rahmen sprengen, Sekundärquellen zur langen Geschichte Mayhems gibt es on- und offline mittlerweile zuhauf. Die einzelnen Mitglieder besinnen sich lieber auf die Gegenwart und die zeitigt mit „Atavistic Black Disorder/Kommando“ eine brandneue EP, mit der man die einsame Leere der letzten Corona-Monate vergessen machen will, wie der ungarische Frontmann Attila Csihar uns via Telefonschaltung aus Budapest erklärt.

Teamwork
„Eigentlich sollten wir schon lange auf Tour sein und Festivals spielen, aber du kennst die Geschichte ja“, erzählt er gut gelaunt mit markantem Dialekt. Die EP besteht aus drei bislang unveröffentlichten Songs der Songwriting-Sessions für das letzte Studioalbum „Daemon“ (2019) und vier Cover-Songs bekannter 80er-Jahre Punkbands wie den Dead Kennedys oder Discharge. So gut wie alle Mitglieder von Mayhem haben ihre Wurzeln in der 80er-Jahre Hardcorepunk-Szene und huldigten ihren Helden auf typische Art und Weise - anstatt die Songs schlicht zu covern erhalten sie in ihrer neuen Umsetzung eine völlig eigene Identität. Zwei Songs wurden sogar von den ehemaligen Mayhem-Sängern Maniac und Messiah eingesungen. Futterneid gibt es im hohen Norden nicht, ganz im Gegenteil. „Ich finde es toll, dass die Jungs im Studio waren. Ich musste meine Spuren von daheim schicken, war zu dem Zeitpunkt nicht in Norwegen. Ich wurde bei der Auswahl der Songs auch nicht gefragt, aber die anderen haben sich richtig entschieden.“

Punk und Black Metal haben mehr gemeinsam als man sich auf die Schnelle denkt. Beides sind rebellische Genres, beide haben einen Anti-Mainstream-Ansatz und beide Spielarten werden vordergründig schnell und aggressiv vollführt. Nur ist Punk meist dezidiert politisch, wohingegen Csihar die Politik aus dem Black Metal lieber raushalten würde, was Mayhem in den knapp vier Dekaden eher mittelmäßig gelang. „Die Musik sollte einfach über den Dingen stehen. Die Politik wäre sowieso besser beraten, wenn mehr Frauen was zu sagen hätten. Frauen haben einen natürlichen Mutter- und Beschützerinstinkt - wie kann das schlecht für die politische Landschaft sein? Männern geht es doch nur um Macht und Geld, was für die Gesellschaft schlimm ist.“ Wäre bei einer patriarchal geführten Band wie Mayhem auch ein weibliches Mitglied realistisch? „Eine interessante Frage, doch warum nicht? Es gibt ein paar Frauen in der Szene und wenn ich mir so manches YouTube-Video von Musikerinnen ansehe, spielen sie die Männer an die Wand. Wenn eine Frau Lust hat und glaubt, es mit uns auszuhalten, ist sie herzlich willkommen“, fügt Csihar lachend hinzu.

Am Ende lohnt es sich
Das mit dem Aushalten ist bei Mayhem ernst gemeint, das hat uns Ende 2019 schon Songwriter und Gitarrist Teloch im Interview erklärt. „Bei uns kann es manchmal ziemlich komplex werden“, lacht der Frontmann, „wir sind alle sehr unterschiedliche, individuelle Charaktere und die Kommunikation ist nicht unsere Stärke. Manchmal dauert es Ewigkeiten, bis Dingen an die Oberfläche schwappen und sich dann so richtig entladen. Wir mögen und schätzen uns alle, sehen uns als zweite Familie, aber es ist nicht immer leicht und es kann krachen. Sperrst du etwa unsere zwei Hauptsongwriter Teloch und Ghul in einen Käfig, wäre das wie ein Kampf Löwe gegen Tiger.“ Außerhalb von geplanten Songwritingsessions oder Touren haben die einzelnen Bandmitglieder nur selten etwas miteinander zu tun. Doch in der Distanz liegt schlussendlich die Stärke von Mayhem. „Manchmal reichen Blicke um zu wissen, was los ist. Es ist wirklich nicht immer leicht, aber am Ende lohnt es sich.“

Für eine Band wie Mayhem, die ihren Lebensunterhalt aus Liveaktivitäten und dem Merchandise-Verkauf bezieht, ist die erzwungene Untätigkeit nicht einfach zu verkraften. Zudem schlägt Csihar noch immer der eingangs erwähnte Film auf den Magen, indem er skurrilerweise von seinem eigenen Sohn porträtiert wurde. „Er hat aber auch die beste Rolle in dem Film“, lacht er, „und ich wollte ihm aus persönlichen Befindlichkeiten nicht diese Chance ruinieren.“ Keiner der Dialoge und im Film gesprochenen Sätze sei in der Realität so vorgekommen, erklärt uns der Sänger, dazu hatte man durch die Darstellung der einzelnen Figuren durchaus Sorge um den Ruf der Band. „Wir sind existent. Mayhem ist unsere Lebensgrundlage und wir haben viele kluge und orthodoxe Fans, die keinen Bullshit vertragen. Würden wir als völlige Idioten dargestellt, könnte uns das den Ruf kosten und das wäre schädlich für uns alle.“ Da halft es auch nicht, dass man mit Regisseur Jonas Åkerlund persönlich befreundet ist. „Er machte das schon gut, aber er ist ja nicht alleine für den Film verantwortlich.“

Zweifelhafter Ruf
Dass es sich nicht um eine Dokumentation, sondern um einen Spielfilm handelt, wurde in der Szene oft missverstanden. „Trotz allem dreht sich der Film viel zu sehr um den Bullshit, der rund um die Band passierte und viel zu wenig um die Musik und die Musiker, die dahinterstecken. Das macht Mayhem aus, nicht das Drumherum. Es waren die Musik und die dunkle Kunst, die uns angetrieben haben.“ Csihar sang das kultige 1994er-Debütalbum „De Mysteriis Dom Sathanas“ ein und ist seit 2004 etatmäßiger Sänger der Band. Ist der ambivalente Ruf Mayhems denn immer noch gut für die nötige Promotion, oder würde sich der Frontmann gerne auch einmal davon lösen können? „Diese Promotion war für die norwegische Black-Metal-Szene gut, nicht für Mayhem selbst. Alle haben davon profitiert, manche machten Weltkarrieren. Mayhem wurde bis auf die Asche niedergebrannt und musste sich 1994 quasi wieder neu formieren. Die Geschichte dieser Band ist lang und voller Abzweigungen. Es ist nicht leicht, all dem gerecht zu werden, was von außen erwartet wird.“

Das ist auch der Grund, warum es bei Mayhem prinzipiell sehr lange dauert, bis wieder ein neues Studioalbum erscheint. „Wir haben einen gewissen Standard, den wir beibehalten wollen und in der Art und Weise wie wir arbeiten wäre es unmöglich, alle zwei Jahre ein neues Album zu veröffentlichen.“ Während man bei Mayhem aufgrund der Pandemie also wohl noch länger auf ein neues Album warten muss, hat sich Csihar daheim in Budapest mit Songwriting gegen die Corona-Langeweile gestellt. „Im Jänner und Februar hatte ich ein Tief, da dachte ich, wir kämen nie mehr aus diesem Chaos raus. Ich bin kein besonders guter Gitarrist, habe aber daheim oft herumgeklimpert und ein paar Songs aufgenommen. Einer davon ist ein waschechter Corona-Song, der ein bisschen an Ministry erinnert, die anderen Tracks sind akustisch. Ich spielte einfach quer durch den Gemüsegarten, aber wer weiß, vielleicht veröffentliche ich die Songs irgendwann einmal. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass sie einer hören will.“

Scooter und Mayhem
Die Corona-Hymne des Jahres 2020 haben Scooter mit „FCK 2020“ geschrieben, das weiß auch Csihar, der abseits von Mayhem musikalisch zwischen Klassik, Opern-Arien und harscher Elektronik zuhause ist. „Ich bin kein großer Fan der Band, aber ich liebe elektronische Musik und ihren Song ,One‘ - den habe ich als Gastsänger eines Freundes einer italienischen Band im Londoner Slimelight-Club sogar einmal gecovert“, erinnert er sich zurück,. „das muss Anfang des Jahrtausends gewesen sein. Es war grauenhaft, aber auch extrem lustig.“ Bei Mayhem ist eben alles möglich. Unter anderem auch der norwegischen Grammy, der „Spellemannprisen“, mit dem die Band erst unlängst im April für ihr Lebenswerk geadelt wurde. Mit der brandneuen EP können langjährige und auch jüngere Fans nun sogar in den Punk-Kontext der Band eintauchen. Und das nächste Konzert steht schon ante portas. Am 9. Mai 2022 ist ein Österreich-exklusiver Auftritt im Grazer Explosiv geplant. Weitere Infos und Tickets gibt es unter www.ticketmaster.at.

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