Schmerzensgeld

Wie Leiden in Geld aufgewogen werden

Österreich
10.06.2021 06:00

Ein Radler, querschnittgelähmt wegen einer Stolperfalle, ein Artist ohne Salto-Kompetenz nach einem Unfall und Kuss-Probleme wegen OP-Pfusch: Schmerzensgeld-Zusprüche, die für Schlagzeilen sorgten.

Das aktuelle Urteil des Obersten Gerichtshofs (OGH) rund um einen nun querschnittsgelähmten Radfahrer sorgte für Aufsehen - die „Krone“ berichtete. Der Niederösterreicher, einst begeisterter Sportler, stürzte bei einer Tour, weil ein Landwirt eine Nylonschnur im Gelände gespannt und der Radler das Hindernis zu spät gesehen hatte. Der Familienvater ist seither querschnittsgelähmt. Der OGH entschied jetzt: Das Opfer ist zu drei Viertel mitschuldig am Unfall, von den geforderten 320.000 Euro Schmerzensgeld bekommt er also nur ein Viertel. Ein schwacher Trost.

  • Gleich viel gab es etwa in Kärnten für eine Geburt, bei der der Kaiserschnitt zu spät eingeleitet worden war und das Kind Schäden davongetragen hatte.
  • Vergleichsweise hoch erscheint da das Schmerzensgeld für einen Artisten in Kärnten - die „Krone“ hatte hier ebenfalls berichtet: Weil eine Autofahrerin eine Stopptafel übersah, flog er, der zu dem Zeitpunkt mit einem Motorrad unterwegs war, über die Lenkstange. Ihm musste daraufhin ein Fingerglied amputiert werden. Das ist 65.000 Euro wert, denn der Zirkuskünstler schafft jetzt keine Handstände oder Saltos mehr.
  • Wegen Beeinträchtigung der Kussfähigkeit nach einer verpfuschten OP bekam ein Kärntner 21.000 Euro.
  • Hingegen nur je 100 Euro gab es für fünf Motorradfahrer in Tirol, die bei einem Unfall - gefühlt - mit dem Leben gerade noch so davongekommen waren: Ein Bauer hatte die Kontrolle über seinen Kuh-Anhänger verloren, der die Gruppe fast zermalmt hatte.
  • Einem kleinen Mädchen wurden in Tirol einst 250.000 Euro zugesprochen: Das Baby hatte wegen eines Narkosefehlers irreparable Gehirnschäden erlitten. 
  • Ähnlich hoch das Schmerzensgeld für das Opfer eines Geisterfahrerunfalls, seither querschnittsgelähmt: 218.000 Euro gab es - gezeichnet aber sind die Menschen alle für ihr restliches Leben.

Ein gestaffelter Rahmen
Der Anspruch auf Schmerzensgeld (österreichisch auch Schmerzengeld) ist in Österreich der Höhe nach geregelt. § 1325 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches besagt klar: „Wer jemanden an seinem Körper verletzt, bestreitet die Heilungskosten des Verletzten, ersetzt ihm den entgangenen oder auch künftig entgehenden Verdienst (etwa bei Erwerbsunfähigkeit, Anm.) und bezahlt ihm auf Verlangen überdies ein den erhobenen Umständen angemessenes Schmerzengeld.“

Dieses „Verlangen“ muss innerhalb von drei Jahren ab Kenntnis des Schadens gerichtlich geltend gemacht werden. Die Beweislast liegt beim Verletzten. Absolute Verjährung tritt nach 30 Jahren ein. Für einen künftigen Folgeschaden - der oft noch gar nicht vorhersehbar ist - kann diese Verjährungsfrist durch eine Feststellungsklage (§ 228 ZPO) verhindert werden.

Tagsätze bis zu 360 Euro
Die Höhe des Schmerzensgeldes ist in Österreich zwar geregelt - aber interessanterweise können sich Gerichte in einem Geldrahmen bewegen. Ein Tag leichte Schmerzen - den Betroffenen gelingt „Ablenkung“, man ist sogar arbeitsfähig - kostet Verursacher 100 bis 120 Euro. Bei einem starken Schmerzzustand können sich schwer Erkrankte an nichts mehr erfreuen, wahrscheinlich nicht einmal an Tagsätzen von 300 bis 360 Euro.

Hier können zu den Tagsätzen auch die Abgeltung von Heilungs- und Behandlungskosten, Aufwendungen für Haushaltshilfen und Medizingeräte, z.B. Gehhilfen, aber auch Umbaukosten der Wohnung oder des Hauses eingeklagt werden - wenn der Verunfallte behindert bleibt. Einen Sonderfall stellt das Trauerschmerzensgeld dar, hier gibt es weder Ober- noch Untergrenzen. In der gerichtlichen Praxis aber wird für die Berechnung auch die Schmerztabelle herangezogen.

Apropos Gerichtsweg: Klüger ist freilich eine außergerichtliche Einigung - in den meisten Fällen mit Versicherungen -, denn gerade Zivilprozesse sind langwierig und kostspielig. Dafür ist das zugesprochene Schmerzensgeld immer steuerfrei. Denn es betrifft die Privatsphäre der Geschädigten. Bei Entschädigungen für Verdienstentgang hingegen nascht der Fiskus mit - diese sind steuerpflichtig!

44 Millionen Euro für Hose, die verloren ging
In den USA kommt es zu 40 Millionen Klagen pro Jahr wegen Schadenersatz. Auch skurrile Sachen werden verhandelt.

  • In einem Naheverhältnis zu seiner Hose stand offenbar Richter Roy Pearson aus Washington. Als sein Kleidungsstück in einer Wäscherei 2007 verloren ging, trauerte er so um seine Hose, dass er die Firma verklagte. Der Jurist erhielt dafür umgerechnet 44 Millionen Euro Schadenersatz.
  • Die Fast-Food-Kette McDonald’s machte Schlagzeilen, weil sich Gäste beim Kaffeebecher verbrannten. 1992 forderte eine Frau 2,9 Millionen Dollar Schmerzengeld. Ein Richter senkte den Betrag auf 640.000 Dollar.
  • Das „Eheverbrechergesetz“ in North Carolina macht es möglich, seinen Ex-Partner zu verklagen, wenn dieser fremdgeht und es zur „Verweigerung von Zuneigung“ kommt. Eine Frau musste deswegen ihrem Ex-Mann, Kevin Howard, umgerechnet 683.400 Euro Schadenersatz zahlen. Sie hatte ihn mit seinem Arbeitskollegen hintergangen.
  • Eine der höchsten Schmerzensgeldzahlungen ging 1997 an Mayola Williams. Sie erhielt vom Zigaretten-Händler Philip Morris umgerechnet 176 Millionen Euro, weil ihr Mann, der Kettenraucher war, an Lungenkrebs starb. Sie warf dem Unternehmen vor, dass es keine Warnungen vor möglichen Krankheiten auf den Verpackungen des Suchtmittels gab. Die Folge: Warnhinweise auf den Schachteln.

Doch wieso kommt es zu solch skurrilen Klagen mit horrenden Summen bei der Forderung nach Schmerzensgeld? Einfach ausgedrückt: In den USA sind die Gerichtskosten günstig (bis zu 160 Euro), und Anwälte kämpfen für ihre Mandanten, weil sie gewinnbeteiligt sind.

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