Transparenz-Verbot

EuGH untersagt “Fördergeld-Strip” der Bauern

Österreich
09.11.2010 13:24
Europas Bauern müssen sich zukünftig beim Erhalt von EU-Förderungen bzw. Ausgleichszahlungen nicht mehr vor Vernaderern oder kritischen Berufskollegen fürchten. Der Europäische Gerichtshof hat zwei Landwirten aus Deutschland, die gegen die Veröffentlichung ihrer Bezüge im Internet klagten, Recht gegeben. Die per EU-Richtlinie verordnete Offenlegung verstoße gegen die EU-Grundrechtecharta, so der EuGH. Die seit 2008 bestehende Transparenzdatenbank der Agrarmarkt Austria wird nun vom Netz genommen - im zuständigen Ministerium weint man ihr aber ohnehin keine Träne nach.

Im Artikel 8 "Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens" der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten heißt es: "Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz." Und weiter: "Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer."

Die personenbezogene Veröffentlichung der EU-Agrarbeihilfen mit Name und Anschrift sowie exakten Beträgen stellt laut EuGH keine derartige Ausnahme dar. Der Datenschutz werde nicht ausreichend berücksichtigt, "aufgrund der Tatsache, dass Dritte Zugang zu diesen Daten erhalten". Die EuGH-Richter folgten damit den rechtlichen Bedenken des Verwaltungsgerichts Wiesbaden, wo die beiden deutschen Bauern aus Hessen gegen den "Fördergeld-Strip" geklagt hatten und die Anrufung des EuGH erreichten.

Datenbanken geben seit 2008 Auskunft
In Deutschland werden die Angaben seit 2008 von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung ins Internet eingestellt, dort dürften sie vorerst auch bleiben, denn nach dem Urteil ist die Veröffentlichung der Fördergelder nur für die Zukunft, nicht aber rückwirkend angreifbar. Deutschland hat aber am Dienstag angekündigt, alle veröffentlichten Daten vom Netz zu nehmen.

In Österreich werden die Agrarförderungen seit 2008 in der Transparenzdatenbank der Agrarmarkt Austria veröffentlicht (siehe Infobox) und auch diese Datenbank wird nun abgedreht, wie es am Dienstag aus dem Umweltministerium hieß. Vonseiten der Bauern gab es gegen die Offenlegung stets Proteste, würden die Daten doch dazu benützt, die Landwirte als Steuergeld-Einsacker zu diskreditieren. Durch die Offenlegung der Förderungen wurde aber auch eine gegenseitige Kontrolle der Bauern etabliert, wie ein Sprecher der AMA am Dienstag gegenüber krone.at meinte. Außerdem habe der Beobachter erkennen können, was die heimischen Landwirte leisten - aber auch, was Großbauern, Grundbesitzer und Konzerne wie die Agrana erhalten. 

Die AMA-Datenbank ist übrigens nicht zu verwechseln mit dem heuer von der Regierung beschlossenen Transferkonto vulgo "Förderkonto", das Informationen über EU-Förderungen, Sozialhilfebezüge und Wirtschaftssubventionen allein den Behörden und den Behilfebeziehern selbst zur Einsicht bereitstellt.

Das EuGH-Urteil zur Offenlegung der Ausgleichszahlungen könnte nun weitere derartige Datenbanken in den europäischen Ländern bzw. geplante Vorhaben zu Fall bringen. Ein von den Bauern vielfach als Gegenstück zur Fördergeld-Datenbank geforderter Register der Wirtschaftsförderungen erscheint angesichts des EuGH-Spruches nun ebenso unwahrscheinlich wie etwa eine Offenlegung von Sozialleistungen an den "Normalbürger", wie sie im Zuge der Verteilungsdebatte immer wieder aufgekommen ist.

Ministerium und Bauernbund sind nicht traurig
Im ÖVP-geführten Landwirtschaftsministerium weint man der AMA-Datenbank ohnehin keine Träne nach - und das, obwohl die Volkspartei beim Streit mit der SPÖ um die Einführung des Transferkontos nicht selten darauf verwies. "Die Gesellschaft soll über die Leistungen der Bauern informiert werden, so viel ist sicher. Aber die personenbezogene Veröffentlichung führte in der Vergangenheit vielfach zu negativen Auswüchsen", kommentierte Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich am Dienstag das Urteil. Denn die Datenbank sei dazu missbraucht worden, "Neid zu schüren und regelrechte Hetzjagden auf einzelne Bauern zu veranstalten". Das EuGH-Urteil bestätige nun, dass die EU-Kommission mit der Offenlegungsrichtline über das Ziel hinaus geschossen habe.

"Endlich Datenschutz für alle", jubelte Bauernbund-Präsident Fritz Grillitsch am Dienstag in einer Aussendung. Er war freilich ein erklärter Gegner der Offenlegungspflicht: "Es ist nämlich nicht einzusehen, dass die Leistungsabgeltungen für die Bauern im Internet veröffentlicht werden, Wirtschaftsförderungen oder Sozialtransfers aber nicht." Es komme außerdem ohnehin das von der Regierung vereinbarte Förderkonto, hielt Grillitsch fest, das alle staatlichen Sozialleistungen und Förderungen auf einem persönlichen Konto nur den Behörden zugänglich macht und damit "ganz der Leistungsgerechtigkeit im Beihilfenwesen entspricht". 

Grüne bedauern Urteil, FPÖ für Beibehaltung
Wenig begeistert über das EuGH-Urteil äußerten sich die Grünen: Es sei bedauerlich, dass die "klare und harmonisierte Form der Veröffentlichung der Empfänger von Agrarbeihilfen" vom EuGH nun gekippt wird. Die österreichische Transparenzdatenbank habe den kleinen bäuerlichen Betrieben nicht geschadet, "sondern im Gegenteil dazu geführt, dass die Öffentlichkeit sich über die Ungerechtigkeiten und Auswüchse des Agrarförderdschungels ein Bild machen konnte". "Schließlich handelt es sich hier um Geld der Steuerzahler, das effizient und zielorientiert eingesetzt werden muss", meinte der Landwirtschaftssprecher der Grünen, Wolfgang Pirklhuber. 

Auch die FPÖ kritisierte das Urteil und sprach sich für eine Beibehaltung der Datenbank aus. "Der Europäische Gerichtshof macht sich mit seiner Entscheidung zum Handlanger der großen Abkassierer von Agrargeldern", kritisierte Agrarsprecher Harald Jannach. "Den Steuerzahlern steht eine Information über die Verwendung der von ihnen erwirtschafteten und abgelieferten Steuern zu", so Jannach. Er forderte zudem eine Ausweitung der Veröffentlichungen von Förderungen durch die EU und Österreich auch auf andere Wirtschaftsbereiche.

Die Transparenzdatenbank habe aufgezeigt, dass vor allem große Industrie- und Handelsfirmen sowie öffentliche Körperschaften wie Landesregierungen, Landwirtschaftskammern oder die AMA "in den letzten Jahren die großen Abkassierer der Agrargelder waren". "Die "echten" Bauern wurden hingegen mit Almosen abgespeist." 

Agrarpolitik ist größter Budgetposten der EU
Das Agrarbudget, dessen Verteilung mit den Datenbanken besser kontrolliert werden sollte, ist übrigens der größe Posten im EU-Haushalt und verschluckt knapp 40 Prozent der Mittel. Insgesamt beläuft sich das Volumen für die gemeinsame EU-Agrarpolitik auf jährlich gut 55 Milliarden Euro. 37 Milliarden davon fließen als direkte Subventionen, der Rest in Projekte der ländlichen Entwicklung. 

Österreich zahlte 2009 insgesamt rund 2,2 Milliarden Euro an die EU, im Gegenzug flossen 1,8 Milliarden zurück, davon 1,3 Milliarden in Form von Agrarförderungen. 2009 sind in Österreich laut dem "Grünen Bericht" (siehe Infobox) insgesamt 2,32 Milliarden Euro an EU-, Bundes- und Landesmitteln für die Land- und Forstwirtschaft aufgewendet worden, das sind um fünf Prozent mehr als 2008.

39.536 Euro Durchschnittseinkommen
Der Durchschnittsertrag der heimischen Agrarbetriebe rein aus der Landwirtschaft - also inkl. aller Aufwendungen, Einkünfte und Behilfen - sank von 2008 auf 2009 um ganze 28 Prozent auf rund 19.000 Euro. Ohne Beihilfen wären den Bauern nur 1.000 Euro übrig geblieben. Das durchschnittliche Jahreseinkommen pro Betrieb bzw. Bauer betrug im Schnitt exakt 39.536 Euro. Davon entfielen 48 Prozent auf Einkünfte aus der Land- und Forstwirtschaft, 33 Prozent auf außerbetriebliche Einnahmen (also andere Erwerbstätigkeit) sowie 19 Prozent auf Sozialtransfers.

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