Derbe Rhetorik-Show

Nationalratssitzung: Hauptsach’ g’scheit wahlgekämpft

Österreich
23.09.2010 00:01
Vier Tage vor der steirischen Landtagswahl ist der Nationalrat am Mittwoch zu seiner ersten regulären Sitzung nach der Sommerpause zusammengekommen. Da das Beschlussprogramm sehr dünn war, bemühten sich die Parteien, mit Sonderaktionen für Aufsehen zu sorgen. Sämtliche steirischen Mandatare kamen teilweise gleich mehrfach ans Rednerpult, Debatten wurden für die eigenen Parolen gekapert. Neben einer erfolglosen "Dringlichen" gab es auch wieder einen ebenso erfolglosen Misstrauensantrag gegen den Finanzminister.

Einziger regulärer Gesetzesbeschluss der Sitzung war die Zivildienstnovelle, die noch am Vormittag abgesegnet wurde. Wie berichtet, dürfen Zivildiener künftig auch in Berufen tätig werden, in denen Schusswaffen zum Gebrauch kommen, also etwa bei der Exekutive. Ob sie dafür eine militärische Grundausbildung benötigen, entscheidet das Innenministerium erst. Der Weg frei gemacht wird für Zivildiener auch in Schützen-, Jagd- und Sportvereinen.

Zu Sitzungsbeginn wurde außerdem ein neuer SPÖ-Mandatar angelobt. Der passenderweise aus der Steiermark kommende Michael Schickhofer folgt auf den Nationalratsrabauken Christian Faul.

Kurzmann, Strache und Petzner: Immunität aufgehoben
Ferner stand die Aufhebung der Immunität des steirische FPÖ-Obmanns Gerhard Kurzmann, seines Bundesparteichefs Heinz-Christian Strache sowie des BZÖ-Mandatars Stefan Petzner (siehe ausführlichen Bericht in der Infobox) auf Antrag der Justiz auf der Tagesordnung, was am späten Mittwochabend zum Abschluss der 14,5 Stunden langen Debatte mit den Stimmen von Koalition und Grünen geschah. Entsprechende Ansuchen für die Grün-Abgeordneten Gabriela Moser und Peter Pilz - wegen Ehrenbeleidigungsdelikten - wurden hingegen mehrheitlich abgelehnt.

FPÖ und BZÖ zeigten sich empört. Sowohl der FP-Abgeordnete Walter Rosenkranz als auch der BZÖ-Mandatar Ewald Stadler meinten, dass die Große Koalition gemeinsam mit den Grünen nur Abgeordnete der beiden Rechtsparteien verfolge. Das Immunitätsrecht werde gegen die Opposition missbraucht, könne also eigentlich abgeschafft werden, befand Stadler. Pikant ist vor allem die Auslieferung Kurzmanns, ist er doch bei der steirischen Landtagswahl kommenden Sonntag Spitzenkandidat der Freiheitlichen.

Das war's dann aber auch schon wieder mit der trockenen Materie, der Rest der Sitzung war dem Wahlkampf gewidmet bzw. wurden die noch geplanten Debatten zu diversen Rechnungshofberichten zugunsten des Showeffekts nach hinten vorschoben, sodass um kurz nach neun Uhr abends immer noch durchschnittlich 30 Minuten Redezeit pro Parlamentspartei übrig waren - die durften dann aber von den Nicht-Wahlkämpfern genutzt werden.

Angriffe auf den "rot-schwarzen Speck"
Am Beginn der Sitzung um 9 Uhr stand eine von der FPÖ gestaltete "Aktuelle Stunde" mit Angriffen auf den "rot-schwarzen Speck" in der Verwaltung. Die FPÖ schoss sich dabei vor allem auf die Kanzlerpartei ein. Die Regierung unter Werner Faymann bringe Österreich in die Nähe des "wirtschaftlichen Herzinfarkts", so Klubobmann Strache. Sein Eindruck vom Kanzler: "Sie könnten nicht einmal irgendeinen Kegelverein, der in Schwierigkeiten gerät, sanieren." Statt bei Ausgaben zu sparen und für eine Staats- und Verwaltungsreform zu sorgen, wie vom Rechnungshof angeregt, wolle die Regierung den Mittelstand weiter belasten.

Faymann ganz staatsmännisch, ÖVP wahlkämpferisch
Faymann wies die "Milchmädchenrechnungen" der FPÖ zurück und dankte Österreichs Beamten dafür, "dass sie Großartiges in diesem Land leisten". Als Beweis dafür, dass in Österreichs Verwaltung jeder Euro zweimal umgedreht werde, verwies er auf Kostendämpfungen bei den Krankenkassen: Statt den vorgegebenen 200 Millionen Euro werde man heuer 300 Millionen Euro erreichen, dafür gebühre ein "Dankeschön", meinte der Bundeskanzler.

Mit der staatsmännischen Replik des Kanzlers ging die Volkspartei dann aber nicht d'accord: Die ÖVP schickte den Steirer Martin Bartenstein ins Rennen, der sich an "Sonderpensionsregeln" der Beamten im rot regierten Wien sowie an den Steuerplänen der SPÖ rieb. Der ehemalige Wirtschaftsminister sprach von einem "Irrweg", die - an sich bereits akkordierte - Bankenabgabe im Ausmaß von 500 Milllionen Euro sei zu hoch. Wahlkampf bestritt auch Bauernbund-Chef Fritz Grillitsch (ÖVP), der dem steirischen Landeshauptmann Franz Voves (SPÖ) einen "Kahlschlag der Regionen" und die Beförderung von "Parteigünstlingen" vorwarf.

BZÖ und Grüne steirerten auf
Auf Voves und sein größeres Regierungsbüro als jenes des Bundeskanzlers schoss sich auch Werner Kogler, grüner Spitzenkandidat in der Steiermark, ein. Daneben kratzten die Grünen an der Macht der Landeshauptleute. Sie planten die "endgültige Machtübernahme des Parteibuchs über die Lehrer". Die Landeshauptleute-Konferenz sei "überhaupt das Schlimmste" und gehöre "aus der Realverfassung entfernt".

Für das BZÖ attackierte der Steirer Gerald Grosz rot-schwarze Privilegien und speziell die großzügige Pensionsregelung von Landeshauptmann Voves für seine Tätigkeit bei der Merkur-Verischerung. Statt im eigenen Bereich zu sparen, wolle die Regierung unverfroren in die Brieftaschen der Österreicher greifen und jedem im kommenden Jahr 800 Euro mehr an Steuern, Gebühren und Abgaben aufbürden, sagte er.

Auch "Europastunde" von Wahlkämpfern gekapert
Auch die "Aktuelle Europastunde" nach der "Aktuellen", bei der sich die ÖVP das Thema "Entwicklungen der Asyl- und Migrationspolitik auf europäischer Ebene" vorgenommen hätte, wurde von den "Speck"-Angreifern gekapert. Geboten wurde folglich - mit wenigen Ausnahmen - eineinhalb weitere Stunden steirische Wahlkampfshow mit Wiener Einsprengseln. "Danke Maria Fekter, danke Hermann Schützenhöfer, dass für die Sicherheit so viel erreicht werden konnte", zeigte sich zu Beginn der steirische VP-Mandatar Werner Amon euphorisch. Deren Politik habe dazu geführt, dass in der Steiermark nun 300 Polizisten mehr tätig seien und etwa die Zahl der Wohnungseinbrüche um ein Viertel reduziert worden sei.

Innenministerin Fekter ging es europäischer an, um sich als strenge Asylpolitikerin zu positionieren. Der EU richtete sie aus, sich werde sich von ihr keine Asylquoten vorschreiben lassen: "Wir gestalten das Flüchtlingswesen hier national … Sollen sich die anderen ein Beispiel an uns nehmen." Auch Ideen, Asylwerbern rascher den Zugang zum Arbeitsmarkt zu überlassen, schmetterte sie ab: "Solche Vorschläge kann die Kommission nicht bringen. Das würde unseren Arbeitsmarkt überlasten."

Ungestümer Grosz muss bei Neugebauer nachsitzen
Spott und Hohn fuhr die ÖVP mit ihren Ausführungen beim BZÖ-Abgeordneten Ewald Stadler - ausnahmsweise kein Steirer, sondern ein Vorarlberger - ein, der sämtlichen schwarzen Rednern in einer Art Replik den Nachnamen Schützenhöfer verpasste. Offenbar sei dem steirischen ÖVP-Obmann sogar dafür zu danken, dass die Handtaschen-Diebstähle bei Ministerinnen um 100 Prozent zurückgegangen seien, spottete Stadler.

Freilich war auch dem BZÖ der Wahlkampf nicht fremd. Als Erstredner schickte man abermals Grosz aus, der fünf Minuten mit gewohnter Vehemenz gegen die Asylpolitik der Regierung anredete, die immer zu Lasten der Österreicher gehe. Organisierte Bettler erkannte er in den Wahlkampf-Städten Wien und Graz, und Schubhäftlingen warf er vor, mit Hungerstreiks den Rechtsstaat zu erpressen. Da er unter anderem von Lug, Trug und Lüge polterte, musste er beim Zweiten Nationalratspräsidenten Fritz Neugebauer (VP) nachsitzen: "Wir sprechen nachher unter vier Augen."

FPÖ spannt Bogen zur Atompolitik, Grüne brav thementreu
FPÖ-Steiermark-Chef Kurzmann kratzte das EU-Thema immerhin an, forderte er doch die Bundesregierung auf, sich am französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ein Vorbild zu nehmen, der "nicht integrationswillige Zuwanderer" abschiebe. Sonst beklagte er etwa, dass im steirischen Vordernberg ein "20 Millionen-Euro-Vierstern-Hotel" für Schubhäftlinge gebaut werde.

Fehlen noch die Grünen: Die bemühten sich (neben Fekter) noch am meisten um die Sache, vor allem Menschenrechtssprecherin Alev Korun, die eine einheitlichere Asylpolitik in der Union einforderte. So lange Äthiopier in Schweden zu 80 Prozent Asyl erhielten und zu null Prozent in Griechenland, würden sie in der EU auch weiterwandern.

Geärgert hat sich der ehemalige Bundessprecher Alexander Van der Bellen (Vorzugsstimmenkandidat bei der Wien-Wahl, Anm.), er hat es nämlich "satt"rieges aus dem Baltikum nach Österreich geflohen.

Ergebnislose "Dringliche" an Pröll
Heiß wurde es dann nocheinmal am Nachmittag bei der Debatte einer "Dringlichen" der Grünen, die abermals Finanzminister Pröll erreichte. Anlass war wieder einmal das nach hinten verschobene Budget. Einen besonderen Schwerpunkt wollten die Grünen diesmal bei der Bildung setzen. Sie fordern in der Begründung der "Dringlichen" zwei Zusatzmilliarden für die Bildung, eine davon soll an Kindergärten und Schulen gehen, die andere an Unis, Fachhochschulen und Pädagogische Hochschulen. Bereits bei der Begründung der "Dringlichen" kündigte Parteichefin Eva Glawischnig an, dem vom BZÖ angekündigten Misstrauensantrag gegen den Finanzminister zuzustimmen.

"Ich schließe weder etwas ein noch etwas aus", erklärte der Vizekanzler dann um 15 Uhr den wissbegierigen Abgeordneten. Der Finanzminister wiederholte in mehr als einer halben Stunde seine bereits bekannten Positionen. Die Verschiebung des Budgets verteidigte er, da damit auch die jüngsten Konjunkturprognosen einbezogen werden könnten. Die Verfassung sehe die Möglichkeit vor, das Finanzgesetz auch später vorzulegen. Punkt.

Grosz redet sich um den Misstrauensantrag
Die heftigen Repliken auf Prölls Abkanzelung brachten bei der Internetübertragung mitunter sogar den Ton zum Verzerren. Für die Grünen ist die rot-schwarze Regierungsspitze rücktrittsreif, die FPÖ geißelte einmal mehr den "Verfassungsbruch" Prölls beim Budget.

Den Vogel schoss aber Grosz vom BZÖ ab. Er echauffierte sich dermaßen, dass er seine Redezeitbeschränkung übersah und daran scheiterte, seinen Misstrauensantrag gegen den Finanzminister ordnungsgemäß einzubringen. Grosz wetterte zunächst gegen die in Graz mitregierenden Grünen ("selber Butter am Kopf") und war in seinem Rundumschlag eben erst mit Prölls "opulenter" Geburtstagsfeier fertig, als ihn die Vorsitzende Barbara Prammer (SPÖ) an das abgelaufene Einzelredezeitlimit von zehn Minuten erinnerte. Der ihm zugestandene Schlusssatz reichte dem perplexen BZÖ-Abgeordneten nicht, um den Antrag zu verlesen - er musste daher von Stefan Petzner eingebracht werden. Die Abstimmung fiel dann wie erwartet aus: Nur FPÖ und Grüne wollten mit dem orangen Bündnis Pröll aus dem Amt jagen. Abgelehnt.

Nächste Sitzung auf "Wienerisch"
Beim nächsten Plenum droht übrigens ein "wienerisches" Theater. Die FPÖ plant unmittelbar vor der Wien-Wahl eine Sondersitzung zur Budget-Verschiebung. Welche Tracht da aus dem Kasten geholt wird, ist freilich unklar. Ein "Wiener Anzug" ward im Nationalrat bisher noch nicht gesehen...

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