Unfall vermutet

Beirut: Explosionen durch „altes Sprengmaterial“?

Ausland
05.08.2020 06:24

Die gewaltigen Explosionen in Beirut, die Teile der libanesischen Hauptstadt in Schutt und Asche gelegt und Dutzende Todesopfer gefordert haben, könnten nach Angaben des libanesischen Innenministeriums und der Sicherheitsbehörden durch altes Sprengmaterial verursacht worden sein. Innenminister Mohammed Fahmi sagte am Dienstagabend, nach vorläufigen Informationen sei ein hochexplosives Material detoniert, das seit Jahren am Hafen gelagert worden sei. Sicherheitschef Abbas Ibrahim sprach von Sprengmaterial, das „vor Jahren konfiszierte wurde“. Hinweise auf einen politischen Hintergrund oder auf einen Anschlag gibt es derzeit keine. Präsident Michel Aoun berief eine Dringlichkeitssitzung des Nationalen Verteidigungsrats ein.

Laut Ministerpräsident Hassan Diab waren 2750 Tonnen Ammoniumnitrat detoniert. Das Material sei seit sechs Jahren ohne Vorsichtsmaßnahmen in einem Lagerhaus untergebracht gewesen. Weshalb es explodierte, war ungewiss. Ammoniumnitrat kann zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden.

Diab erklärte den Mittwoch zum Tag landesweiter Trauer in Gedenken an die Opfer. Zudem versprach der Ministerpräsident, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Diese würden „für diese Katastrophe den Preis bezahlen“. Laut jüngsten Angaben des Gesundheitsministeriums wurden mindestens 73 Menschen getötet und rund 3700 weitere verletzt. Die Krankenhäuser der Hauptstadt seien voll mit Verletzten, weitere Opfer müssten in Einrichtungen in den Vorstädten transportiert werden.

Augenzeugen sprachen von Leichen auf den Straßen und Menschen, die unter Trümmern verborgen seien. Die Armee half, Verletzte in Krankenhäuser zu bringen. Bürger wurden aufgerufen, Blut zu spenden. Im Internet kursierten Fotos von zerstörten Fenstern an Wohnhäusern und Trümmern auf den Straßen. Dutzende Autos wurden beschädigt. Ein Polizist sagte, die Schäden erstreckten sich kilometerweit. Kurz nach der Explosion fielen Telefon und Internet in der Stadt aus. Der Hafen liegt nur wenige Kilometer von der Innenstadt Beiruts entfernt.

Beschädigt wurde auch ein Schiff der Vereinten Nationen: Blauhelmsoldaten der UN-Mission im Libanon (Unifil) seien verletzt worden, einige von ihnen schwer, hieß es in einer UN-Erklärung. Die verletzten Seeleute wurden demnach in umliegende Krankenhäuser gebracht. Zur Nationalität der Opfer machte die UNO zunächst keine Angaben. Im Hafen waren Container verbogen wie Konservendosen, ihr Inhalt auf dem Boden zerstreut. Schiffe standen in Flammen, Autos brannten aus. In den umliegenden Straßenzügen wurden Fensterscheiben und Schaufenster zertrümmert. Über der gesamten Hafengegend lag eine riesige Rauchwolke.

Israelischer Regierungsvertreter: „Wir haben nichts damit zu tun“
Ein israelischer Regierungsvertreter, der anonym bleiben wollte, sagte, Israel habe mit dem Vorfall nichts zu tun. Außenminister Gabi Ashkenasi sagte dem Sender N12, es handle sich höchstwahrscheinlich um einen Unfall, ausgelöst durch einen Brand. Gleichzeitig bot die israelische Regierung humanitäre Hilfe für das Nachbarland an. 

Die EU und Frankreich stellten dem Libanon ebenfalls Hilfe in Aussicht. „Die Europäische Union ist bereit, Hilfe und Unterstützung zu leisten“, teilte EU-Ratspräsident Charles Michel am Dienstagabend mit. Frankreich schicke Hilfe in den Libanon, schrieb der französische Staatschef Emmanuel Macron am Dienstagabend auf Twitter. Der heutige Libanon war früher Teil des französischen Mandatsgebiets im Nahen Osten, die beiden Länder haben immer noch eine enge Beziehung.

Trump: Furchtbarer Angriff mit „einer Art Bombe“
US-Präsident Donald Trump sprach von einem „furchtbaren Angriff“ mit einer „Art von Bombe“. Er berief sich dabei auf Angaben von US-Generälen. Weder vom Pentagon noch den libanesischen Behörden kamen jedoch irgendwelche öffentlichen Hinweise darauf, dass es sich möglicherweise um einen Anschlag gehandelt haben könnte.

Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich betroffen von der Explosion in Beirut und erklärte via Twitter, „unsere Gedanken sind bei den Menschen im Libanon, bei den Verletzten und den Familien der Opfer“.

Wenige Kilometer vom Ort der Explosion entfernt waren 2005 der damalige libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri und 21 weitere Menschen bei einem Sprengstoffanschlag getötet worden. Die Residenz seines Sohnes, des früheren Ministerpräsidenten Saad Hariri, wurde bei der Explosion beschädigt.

Am Freitag will das UNO-Libanon-Sondertribunal in Den Haag sein Urteil gegen vier Angeklagte in dem Fall von 2005 verkünden. Viele Menschen im Libanon machen die Führung des Nachbarlandes Syrien für den Anschlag auf Hariri verantwortlich. Er hatte vor seinem Tod den Abzug der damals im Libanon stationierten syrischen Truppen verlangt.

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