Wie soll man das Leben leben? Eine universal gültige Antwort darauf zu finden, bleibt ein aussichtsloses Unterfangen. Auch Hermann Hesse hatte keine parat, stellte in „Narziss und Goldmund“ aber zwei Wege vor: den des Geistes- und des Sinnesmenschen. Nun verfilmte der österreichische Oscarpreisträger Stefan Ruzowitzky die Geschichte um zwei ungleiche Freunde, die mit Corona-bedingter Verspätung ab sofort im Kino zu sehen ist.
Noch älter als Hesses Buch ist das darin Erzählte. Im Mittelalter - gut erkennbar an seinen Klöstern, Pestwellen, seiner Prüderie und versteckten Sexualität - wird der Novize Narziss (Sabin Tambrea) angewiesen, sich um Goldmund (Jannis Niewöhner) zu kümmern, der von seinem grausamen Vater mit einem schroffen „Der Junge wird Pfaffe“ im Kloster abgeliefert wird. Der schöne Goldmund, den es im jugendlichen Eifer auf der Suche nach seiner verlorenen Mutter, nach Liebe und Abenteuer in die Welt hinauszieht, steht von nun dem steifen, vom Mönchsleben überzeugten Narziss gegenüber.
Frei nach dem Motto „Gegensätze ziehen sich an“ werden die beiden jedoch beste Freunde. Als junger Mann muss Narziss erkennen, dass seinen Freund, für den er mehr empfindet, als es die mittelalterliche Gesellschaft erlaubt, außer ihm selbst nichts mehr im Kloster hält. Goldmunds Reise beginnt, als er von einem sichtlich gequälten Narziss fortgeschickt wird.
Bunte Idylle statt düsterem Mittelalterbild
Regisseur Ruzowitzky, der auch das Drehbuch schrieb, ist in seiner Adaption sichtlich bemüht, kein düsteres Mittelalterbild wiederzugeben, das mit unserer heutigen Realität wenig zu tun hat. Während im KZ-Film „Die Fälscher“, der Ruzowitzky den Oscar einbrachte, wie so oft bei dieser Thematik ein trübes Grau dominiert, hat sich der Regisseur hier für eine untypische Darstellung entschieden: Die Gegenden in seinem Mittelalter sind stets idyllisch und bunt. Die Frauen, die bei Hesse allesamt Goldmund verfallen, dürfen nun eigene Motivationen haben.
Am besten sichtbar ist der Bezug zum Heute aber bei den zuweilen an Festivalbesucher erinnernden Kostümen. Mitten auf Goldmunds Reise sieht der junge Mann zuweilen aus wie ein zotteliger Surfer mit Pferdeschwanz, den das Leben in seiner Unergründlichkeit mitten unter mit Beulen übersäte Pesttote geworfen hat.
Auf seiner Reise sucht Goldmund zunächst naiv nach Liebe und Arbeit. Es folgen Affären mit Frauen, Treffen mit bizarren Charakteren, die große Liebe, die Ausbildung zum Künstler. Goldmund darf als Mensch wachsen, er erlebt alle Gefühle, muss Trauer und Schmerz überstehen. Darin besteht auch der größte Gegensatz zu seinem Freund Narziss, der währenddessen zum Abt aufsteigt, Tonsur trägt und dafür sorgt, dass sich ja nicht zu viel verändert. Früh im Film kommt es zu einem Wiedersehen der beiden nun erwachsenen Freunde, nachdem Narziss Goldmund trickreich vor einem allzu frühen Tod bewahrt.
Große Emotionen
Dass Narziss in Hesses Original die meiste Zeit nicht vorkommt, löst Ruzowitzky gekonnt mit Rückblenden, indem er Goldmund von seinen Erlebnissen erzählen lässt. Einige der besten Momente im Film sind die, in denen Narziss und Goldmund miteinander über Schmerz, Gefühle und ihre jeweilige Lebenseinstellung sprechen. Dann dürfen Tambrea und Niewöhner ganz große Emotionen zeigen, die in einem berührenden Finale gipfeln.
Auch Ruzowitzky gibt keine Antwort auf die Frage nach dem richtigen Lebensweg. Denn so richtig stellt sich das anhaltende Glück weder beim Lebensmenschen noch beim Intellektuellen ein. Die Suche danach, von der „Narziss und Goldmund“ so menschlich und sympathisch erzählt, bleibt also auch Jahre nach Hesses Tod aktuell.
„Narziss und Goldmund“ ist ab sofort im Kino zu sehen, zum Auftakt am 11. Juni wird Regisseur und Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky höchstpersönlich seinen neuesten Film im Urania Kino präsentieren.
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