Das freie Wort

Brauchen wir noch Parteien?

Österreichs Parteien sind die letzten Analoggeräte in einer digitalen Welt. Sie predigen Erneuerung, agieren aber wie ein Behördenarchiv aus den 70ern – staubig, selbstzufrieden, geschlossen. Während sich Gesellschaft und Wirtschaft längst im 21. Jahrhundert eingerichtet haben, klammern sich SPÖ, ÖVP und FPÖ an Machtstrukturen, die vor Jahrzehnten erdacht wurden: Landesgruppen, Bünde, interne Loyalitätsnetzwerke. Demokratie als Familienbetrieb. Es ist kein Systemfehler, das ist das System. Die Quittung liegt längst am Tisch: Mitgliederschwund, sinkende Wahlbeteiligung, Rekordwerte bei Politikverdrossenheit. Mehr als die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher glaubt laut aktuellen Umfragen nicht mehr daran, dass Parteien Probleme lösen – sondern sie verursachen. Und wie reagieren die Parteien? Mit Parteitagen, bei denen über Sitzordnungen gestritten wird, statt über Inhalte. Mit „Zukunftsgruppen“, die in Schubladen verschwinden. Mit Quereinsteigern, die verheizt werden, sobald sie eigenständig denken. Man redet von „Kooperation“, lebt aber vom permanenten Konflikt. Opposition ist keine Kontrolle mehr, sondern Dauerinszenierung für Klicks. Regierung heißt nicht führen, sondern lavieren. Dass eine Beamtinnenregierung unter Brigitte Bierlein beliebter war als jede gewählte, sagt alles über den Zustand der Parteien – und über unser Vertrauen in sie. Das eigentliche Drama: Parteien könnten das Rückgrat der Demokratie sein. Stattdessen sind sie ihr Bandscheibenvorfall geworden – schmerzhaft, unbeweglich, selbst verschuldet. Wer also glaubt, man könne das Vertrauen in die Politik durch neue Logos, frische Slogans oder symbolische „Basisdialoge“ zurückgewinnen, irrt. Solange Parteien sich selbst als Arbeitgeber und nicht als Dienstleister der Bürger verstehen, solange Karrieren wichtiger sind als Kompetenz, solange Parteibücher über Eignung entscheiden, wird sich nichts ändern. Die Menschen wollen keine Schlagworte mehr, sie wollen Haltung. Keine Wahlgeschenke, sondern Verantwortungsbewusstsein. Keine Klubs, sondern Gemeinwohl. Parteien sind notwendig – aber nicht in dieser Form. Wenn sie nicht endlich den Mut haben, ihre Macht zu teilen, ihre Strukturen zu öffnen und wieder für etwas statt nur gegen jemanden zu stehen, wird sich das System selbst überholen. Nicht durch Revolution, sondern durch Gleichgültigkeit. Und das wäre die gefährlichste Form des Umsturzes überhaupt.

John Patrick Platzer, Viktring

Erschienen am Di, 11.11.2025

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