Neues im Habsburger Schatz-Krimi: Warum sperrte die Ex-Kaiserin den Schatz ausgerechnet in Québec in ein Schließfach? Was diese Entscheidung mit der „Habsburger-Krise“ der 1960er-Jahre zu tun hat, erklärt der irisch-britische Historiker und Zita-Experte Christopher Brennan im „Krone“ Interview.
„Krone“: Herr Doktor Brennan, Sie forschen seit Langem zu Kaiserin Zita. Hat auch Sie der Sensationsfund überrascht?
Christopher Brennan: Ja – sehr. Bis vor Kurzem arbeitete ich mit der seit Jahrzehnten gültigen Standardversion, und die lautete so: In der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November 1918 ließ Oberstkämmerer Leopold Graf Berchtold auf Anordnung Kaiser Karls ausgewählte Schmuckstücke aus den Vitrinen XII und XIII der Wiener Schatzkammer entnehmen und in die Schweiz bringen. Danach wurden die Stücke nach und nach verkauft, dachte man. Das war der allgemeine Wissensstand, bis die Juwelen in Kanada aufgetaucht sind.
Dieser Schatz-Krimi hat alles: nächtliche Entnahme aus der Schatzkammer, transatlantisches Versteck, jahrzehntelanges Schweigen – und einen Stein von Weltgeschichte.
Christopher Brennan
Warum hat Kaiserin Zita die Juwelen in Kanada verwahrt?
Aus drei nüchternen Gründen: Sicherheit, Distanz, rechtliche Ruhe. 1940 bot Kanada – nach den Erfahrungen seit 1918 – eine Kombination aus physischem Schutz, diskreter Bankinfrastruktur und Abstand zu mitteleuropäischen Besitz- und Restitutionskonflikten. Kurz: sichere Verwahrung bei minimaler Sichtbarkeit. Nach Zitas eigener Lagebeurteilung bestand später ersichtlich kein Anlass, die Stücke nach dem Krieg bei ihrer Rückkehr nach Europa oder testamentarisch aus Kanada zu verlagern.
Warum ging Zita überhaupt nach Kanada?
Europa war 1940 für die Familie Habsburg akut bedrohlich; Otto von Habsburg stand im Visier der Nationalsozialisten. Kanada bot Sicherheit, ein katholisches Umfeld und französischsprachige Schulen. In Québec konnten die jüngeren Kinder – Carl Ludwig, Rudolf, Charlotte, Elisabeth - ihre Ausbildung auf Französisch fortsetzen; Unterkunft gab es umgehend bei einem Schwesternorden in Québec-Stadt, und die Université Laval lag nahe. Zugleich blieben New York und Washington für Ottos politische Arbeit gut erreichbar. Angesichts begrenzter Mittel, hoher US-Lebenshaltungskosten und rascher kirchlicher Unterstützung war Québec die vernünftige, tragfähige Lösung, auch finanziell günstiger. Von Kanada aus entstand ab 1945 das Hilfs- und Vortragsnetz für Österreich, organisatorisch einfacher als aus einer US-Metropole.
Wie schätzen Sie Zitas Wunsch ein, die Öffentlichkeit erst 100 Jahre nach dem Tod von Kaiser Karl über den Verbleib des Habsburger Schatzes zu informieren?
Zitas Entscheidung wirkt konsequent pragmatisch: Sicherheitslogik, Entpolitisierung und Schutz der Nachkommen. Die Hundert-Jahre-Frist sollte ersichtlich Distanz schaffen: Zeit, damit Spannungen abkühlen und sich die Debatte entspannt. Ob das in dieser Zeit wirklich eingetreten ist, darf man mit einem Fragezeichen versehen; die Intention bleibt nachvollziehbar. Im Jahr 2022, hundert Jahre nach Karls Tod, stand die Trauer um den Kaiser für die Familie Habsburg im Vordergrund. Wir wissen auch nicht, wann Zita diese Anordnung genau traf und ob sie strikt „hundert Jahre“ oder ein konkretes Datum vorsah; mit vorliegenden Unterlagen ließe sich das präziser beurteilen. Die Frist endete wohl 2022, die öffentliche Bekanntgabe erfolgte 2025. Die zeitliche Lücke wird mit umfangreichen historischen und rechtlichen Vorbereitungen erklärt, die vor einer Offenlegung zu leisten waren; einschlägige Vorbereitungsschritte wurden im September 2021 angestoßen.
Eine Verstrickung in die operative Handhabung dieser Juwelen – damals wie heute ein heikles Thema – hätte Otto von Habsburg geschadet.
Christopher Brennan
Nur zwei Personen in der Familie sollten nach Zitas Wunsch wissen, wo der Schatz ist. Was sagt uns das über sie?
Die jetzige Familiendarstellung spricht von einem bewusst sehr kleinen Vertrauenskreis. Was Zita angeht, zeichnen sich drei Konstanten ab: Pragmatismus, ein striktes Need-to-know-Prinzip und der Wille, Otto – angesichts seiner exponierten Rolle seit den 1930er-Jahren und seiner späteren politischen Funktionen – von operativer Verantwortung fernzuhalten. Der Ausgangspunkt der sogenannten „Habsburg-Krise“ – ein SPÖ/ÖVP-Zankapfel von 1961 bis 1966 – war ohnehin eine Vermögensfrage; nach dem Verzicht brauchte Österreich fünf Jahre, um ihm einen österreichischen Pass auszustellen. Eine Verstrickung in die operative Handhabung dieser Juwelen – damals wie heute ein heikles Thema – hätte Otto geschadet. Vor diesem Hintergrund erscheint plausibel, dass zwei jüngere Söhne Zitas operative Ansprechpartner waren, während Otto politisch agierte, bei der Paneuropa, im Europäischen Parlament. Dass Otto keinerlei Kenntnis über die Juwelen gehabt haben soll, überrascht allerdings.
Glauben Sie, dass dieser Schatz-Krimi das Interesse an den Habsburgern und ihrer Geschichte anheizen wird?
Ja. Dieser Schatz-Krimi hat alles: nächtliche Entnahme aus der Schatzkammer, transatlantisches Versteck, jahrzehntelanges Schweigen – und einen Stein von Weltgeschichte. Damit rücken die Habsburger aus der Vitrine in die Gegenwart. Zugleich müssen wir Legende von belegbarer Geschichte trennen. Die historische Klärung hat Vorrang: Belege auf den Tisch, dann sachliche kuratorische Aufarbeitung. Ein jahrelanges Rechtsgefecht oder kleinliche Querelen werden der Allgemeinheit nicht nützen. Ideal wäre eine ruhige, kooperative Offenlegung der relevanten Unterlagen.
Dr. Christopher Brennan ist ein irisch-britischer Historiker. Er promovierte 2012 an der London School of Economics über Kaiser Karl und die österreichische Innenpolitik 1916/17. Seine Arbeit über Kaiserin Zita („Exile without End“) erscheint 2026 in Großbritannien.
Genau das elektrisiert: Ein Teil der Mythen zerfällt, ein Teil wird bestätigt, und ein paar Fragen bleiben offen – genug, um das Interesse breiter denn je zu entfachen, bei Leserinnen und Lesern ebenso wie bei Historikern.
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