Knackpunkt Pflege

Regierung entdeckt plötzlich neue Geldquellen

Österreich
30.06.2017 16:42

Es ist gekommen, wie es kommen musste: Die Bundesländer begrüßen grundsätzlich die Abschaffung des Pflegeregresses. Aber sie fordern gleich einmal mehr Mittel zur Finanzierung. 100 Millionen Euro sollen die Länder jährlich als Kostenersatz für die Pflegeleistungen bekommen. Das wird zu wenig sein, sagen die Länder. Allerdings entdecken die Regierungsparteien im Wahlkampf plötzlich immer neue Geldquellen.

Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern hatte die Debatte um die Abschaffung des Pflegeregresses eröffnet. Wahlkampfgerecht aufbereitet, lautet die Parole, dass "damit nun das Ende der Enteignung im Pflegefall" beschlossen ist. Und auch dem Wahlkampf geschuldet war das Finanzierungsmodell der SPÖ mit "einer gerechten Erbschaftssteuer", für die man "weiterhin kämpfen wird".

Die Diskussion um dieses Thema wird von der Kanzler-Partei bereits seit Jahren geführt. Bereits vor fünf Jahren hatte SPÖ-Klubchef Andreas Schieder, damals noch Finanzstaatssekretär, gemeint, "eine intelligente Erbschaftssteuer bringt rund 500 Millionen Euro".

Zweifel an den hohen Summen
Diese Summe ist von namhaften Steuerexperten allerdings immer wieder in Zweifel gezogen worden. Dennoch hat Kanzler Kern unter anderem die Einführung einer Erbschaftssteuer erst vor zwei Wochen zu einer seiner sieben Koalitionsbedingungen gemacht. Allerdings haben ÖVP und FPÖ den Vorstoß gleich einmal mit Ablehnung quittiert.

100 Millionen allein für Asylberechtigte
Unterdessen hatte sich die mittlerweile von Außenminister Sebastian Kurz geführte ÖVP auf die Erschließung anderer Geldquellen gemacht. Unter dem Titel der Verhinderung und Vermeidung von Sozialmissbrauch wird dabei die Einführung eines Passfotos auf der E-Card gefordert. Von dieser Maßnahme und einem Stopp der Neuzuwanderung in das Sozialsystem verspricht sich das Team von Kurz deutliche Einsparungen. Aus seinem Büro heißt es, dass man allein für die Asylberechtigten aus dem Jahr 2015 rund 100 Millionen Euro an Gesundheitsausgaben habe.

Seit Neuestem gibt es nun im Bundeskanzleramt eine weitere Finanzierungsidee. Dabei geht es um die beim Sparpaket 2010 in Loipersdorf beschlossene Energieabgabenvergütung.

Mit Thermenhotels die Pflege finanzieren?
Da könnte nun nach einer Klage eines Wellnessunternehmens dem Finanzministerium eine Rückzahlung in der Höhe von 500 Millionen Euro an heimische Thermenhotels ins Haus stehen. Würde die Regierung einem entsprechenden Urteil durch den Verwaltungsgerichtshof mit gesetzlichen Änderungen zuvorkommen, könnte "man verhindern, dass hier 500 Millionen Euro an diese Hotels ausgeschüttet werden", so Kanzler Kern. Er wolle in der Frage um die Thermenhotels mit der ÖVP eine Lösung finden.

Kommentar von Claus Pándi: Politisch rechnen
Es gibt die vier Grundrechnungsarten und die Höhere Mathematik, wie etwa Differenzial- und Integralrechnungen. Daneben existiert aber noch die Spezialdisziplin des politischen Rechnens. Manche nennen das auch Voodoo. Das ist keine Wissenschaft wie die Mathematik, sondern eine kultische Tradition, die in Westafrika und der Karibik anzutreffen ist.

In nervösen Wahlkampfzeiten kommen die Praxis des Voodoo und andere magische Rituale auch in Europa zur Anwendung. Aktuell gerade in Österreich etwa bei der ungeklärten Finanzierung der Pflege.

Nun wirbeln die Ziffern und Zahlen nur so herum. 150 Millionen für dieses, 350 Millionen für das. Da Mehreinnahmen durch eine Erbschaftssteuer oder dort Ersparnisse durch ein Passfoto auf der E-Card. Und seit Neuestem ist noch eine weitere Quelle entdeckt worden, indem Thermenhotels eine Energiesteuer-Rückvergütung in der Höhe einer halben Milliarde Euro eventuell nicht erhalten.

Ein Faktencheck fällt schwer, weil es sich bei diesen Faktoren um eine wilde Mischung aus konkreten Daten, echten Zahlen und kaum prüfbaren Annahmen handelt. Die einzige Gemeinsamkeit der Freunde der kreativen Buchhaltung: Es handelt sich stets um schöne runde Summen. Also 100 Millionen oder 250 Millionen oder 500 Millionen. Kommastellen oder Kleingeld ist nur etwas für kleine Greißler, aber doch niemals für große Politiker.

Für diesen Wahlkampfzauber gilt daher die Abwandlung eines alten Börsianerspruchs: Das Geld ist nicht weg. Es war nie da.

Claus Pándi, Kronen Zeitung

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