Steigende Belastung

Gesunde Ernährung ist kaum noch leistbar

Wissenschaft
19.11.2025 14:27

Weltweit steigen Fettleibigkeit, Diabetes und psychische Erkrankungen an. Schuld daran dürfte untere anderem die zunehmend von hochverarbeiteten Lebensmitteln dominierte Ernährung sein.

Für den Nutzer sind die Produkte bequem: Eine Tiefkühlpizza ist in wenigen Minuten fertig - für die Selbstgemachte aus dem Ofen muss dagegen Teig angesetzt, Gemüse geschnippelt und Käse gerieben werden. Zudem sind Fertigprodukte wegen der billigen Zutaten und automatisierten Herstellungsprozesse oft sehr günstig.

Die Verdrängung etablierter Ernährungsgewohnheiten durch hochverarbeitete Lebensmittel sei ein wesentlicher Treiber für die weltweit steigende Belastung durch ernährungsbedingte chronische Krankheiten, betonen nun 43 Experten. Sie haben für eine dreiteilige Analyse im Fachjournal „The Lancet“ betrachtet, wie die Industrie den Verkauf hochverarbeiteter Lebensmittel (englisch „ultra-processed food“, kurz UPF) ankurbelt und welche Auswirkungen solche Produkte auf unser Leben haben.

Zusatzstoffe, gehärtete Öle, Sirup 
Bei hochverarbeiteten Lebensmitteln handelt es sich laut der sogenannten Nova-Klassifizierung um industriell hergestellte Produkte aus billigen Zutaten wie gehärteten Ölen und Glukose-/Fruktosesirup sowie Zusatzstoffen wie Aromen und Farbstoffen, die meist zahlreiche Verarbeitungsschritte durchlaufen. Oft sind sie verzehrfertig oder nur noch aufzuwärmen, typisch sind zudem attraktive Verpackungen. Zucker, Fett oder Salz (oder Kombinationen davon) sind gängige UPF-Bestandteile, typischerweise in höheren Konzentrationen als in verarbeiteten Lebensmitteln, wie die Forschenden erläutern.

Manche Kritiker hielten es nicht für zielführend, Lebensmittel mit potenziell hohem Nährwert wie angereicherte Frühstückscerealien und aromatisierte Joghurts zusammen mit Produkten wie stark verarbeitetem Fleisch oder zuckerhaltigen Getränken in diese Kategorie einzuordnen. „UPF werden jedoch selten isoliert konsumiert“, geben die Forschenden dazu zu bedenken. Es gehe um das generelle Ernährungsmuster, bei dem vollwertige und minimal verarbeitete Lebensmittel durch verarbeitete Alternativen ersetzt werden.

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Studien zeigen übereinstimmend, dass in Deutschland weniger frische, gering verarbeitete Lebensmittel verzehrt werden als empfohlen, während Produkte wie Softdrinks, Süßwaren, salzige Snacks und verarbeitetes Fleisch häufiger als empfohlen verzehrt werden.

Gesundheitsökonom Peter von Philipsborn

Anteil wird immer größer
Der zunehmende Anteil ultraverarbeiteter Lebensmittel an der menschlichen Ernährung werde durch die wachsende wirtschaftliche und politische Macht der UPF-Industrie nahezu überall vorangetrieben, erklärte das Expertenteam. Mit einem jährlichen Umsatz von rund 1,9 Billionen US-Dollar im Jahr 2023 sei der Sektor bereits der profitabelste Teil der globalen Lebensmittelindustrie, Tendenz steigend.

Besonders in einkommensschwachen Ländern sei der Verkauf zuletzt stark gestiegen. In einkommensstarken Ländern wie den USA oder Großbritannien liege der Anteil hochverarbeiteter Lebensmittel an der täglichen Nahrungsaufnahme bereits bei bis zu 50 Prozent. „Der steigende Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel verändert weltweit die Ernährungsgewohnheiten und verdrängt frische und minimal verarbeitete Lebensmittel und Mahlzeiten“, sagte Carlos Monteiro von der Universität São Paulo (Brasilien).

Frische Lebensmittel werden verdrängt
„In einer Marktanalyse mit über 24.000 Lebensmitteln konnte meine Arbeitsgruppe zeigen, dass etwa die Hälfte der in deutschen Supermärkten angebotenen Produkte hochverarbeitet ist“, sagte der Ernährungswissenschaftler Mathias Fasshauer von der Justus-Liebig-Universität Gießen, der selbst nicht an der „Lancet“-Serie beteiligt war.

Deutschland sei eines der Länder mit dem höchsten Pro-Kopf-Absatz an hochverarbeiteten Lebensmitteln, erklärte der Gesundheitsökonom Peter von Philipsborn von der Universität Bayreuth. „Studien zeigen übereinstimmend, dass in Deutschland weniger frische, gering verarbeitete Lebensmittel verzehrt werden als empfohlen, während Produkte wie Softdrinks, Süßwaren, salzige Snacks und verarbeitetes Fleisch häufiger als empfohlen verzehrt werden.“

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Lebensmittel, die Bestandteil einer gesunden Ernährung sind, wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte, werden für viele immer unerschwinglicher, während Lebensmittelprodukte, die heute als hochverarbeitete Lebensmittel (UPFs) bekannt sind, preiswert und weltweit weit verbreitet sind.

Weltgesundheitsorganisation (WHO)

Lobbying verhindert Maßnahmen zu gesunder Ernährung
Die Veränderung der Ernährungsgewohnheiten werde von mächtigen globalen Konzernen vorangetrieben, die durch hochverarbeitete Produkte enorme Gewinne erzielten, sagte Monteiro. Durch umfangreiches Marketing und politische Lobbyarbeit verhinderten sie wirksame Maßnahmen zur Förderung einer gesunden Ernährung.

Gesunde Ernährung nur schwer leistbar
Viele Menschen könnten sich eine gesunde Ernährung gar nicht mehr leisten, geben Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einem Kommentar zu den „Lancet“-Beiträgen zu bedenken. „Lebensmittel, die Bestandteil einer gesunden Ernährung sind, wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte, werden für viele immer unerschwinglicher, während Lebensmittelprodukte, die heute als hochverarbeitete Lebensmittel (UPFs) bekannt sind, preiswert und weltweit weit verbreitet sind.“

Dutzende Studien zeigen den „Lancet“-Autoren zufolge, dass eine Ernährung mit hohem UPF-Anteil mit übermäßigem Essen, schlechter Nährstoffqualität (zu viel Zucker und ungesunde Fette, zu wenig Ballaststoffe und Proteine) und einer höheren Belastung durch schädliche Chemikalien und Zusatzstoffe einhergeht. Dadurch werde das Risiko für zahlreiche chronische Erkrankungen erhöht, darunter Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen.

Profit Vorrang vor Gesundheit
Die UPF-Industrie räume dem Unternehmensgewinn Vorrang vor der öffentlichen Gesundheit ein, heißt es bei „Lancet“. Die weltweite Verbreitung hochverarbeiteter Lebensmittel sei zu einer der dringendsten, aber unzureichend behandelten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert geworden, warnt das Kinderhilfswerk Unicef in einem Kommentar zu den Fachbeiträgen.

Kinder seien besonders anfällig für hochverarbeitete Lebensmittel und deren schädliche Wirkung, heißt es darin auch. Zugleich seien Kindertagesstätten, Schulen und nahegelegene Einzelhandelsgeschäfte, Sport- und Freizeiteinrichtungen häufig mit UPF überschwemmt – auch durch Sponsoring-Vereinbarungen, die den Konsum von UPF normalisieren.

UNICEF bilanziert: „Angesichts der zunehmenden Beweise, die einen Zusammenhang zwischen UPFs und ultraverarbeiteten Ernährungsmustern und Unterernährung sowie gesundheitlichen Problemen bei Kindern herstellen, stellt sich nicht die Frage, ob Handlungsbedarf besteht, sondern warum so viele Länder noch keine sinnvollen Maßnahmen ergriffen haben.“

Maßnahmen gefordert
„Genauso wie wir vor Jahrzehnten gegen die Tabakindustrie vorgegangen sind, brauchen wir jetzt eine mutige, koordinierte globale Reaktion, um die überproportionale Macht der UPF-Konzerne einzudämmen und Lebensmittelsysteme aufzubauen, die die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen in den Vordergrund stellen“, sagte Karen Hofman von der University of the Witwatersrand (Südafrika).

Regulierungen werden blockiert
Das größte Hindernis für die Umsetzung politischer Maßnahmen sieht das Expertenteam darin, dass die Industrie über ein globales Netzwerk von Tarnorganisationen, Multi-Stakeholder-Initiativen und Forschungspartnern dagegen ankämpfe und Regulierungen blockiere. Um direkte Lobbyarbeit gehe es dabei ebenso wie um die Infiltration von Regierungsbehörden und die Beeinflussung der öffentlichen Debatte etwa über gezieltes Schüren von Zweifeln an wissenschaftlichen Erkenntnissen.

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