Als weiblich besetzte Nu-Metal-Band gelang Kittie 2000 mit „Spit“ mehr als ein Achtungserfolg – in einer toxisch-männlichen Szene bissen sich die Teeanger mit Härte durch. 25 Jahre und eine lange Bandpause später profitieren die Lander-Schwestern Morgan und Mercedes vom Nostalgie-Hype um das Genre. Nun befinden sie sich mitten ihrer zweite, noch erfolgreicheren Karriere. Wir haben am Rande des Nova Rocks nachgefragt.
Kittie-Frontfrau Morgan Lander bringt es im „Krone“-Gespräch beim diesjährigen Nova Rock schon früh auf den Punkt: „Die gesamte Metalszene rund ums Millennium war eine einzige Wurstparty“. Zur Aufklärung: Die Wurst steht für das männliche Geschlechtsteil, der Sinn hinter der Aussage ist das völlige Ausbleiben von Musikerinnen im Heavy-Metal-Bereich. Als Kittie Anfang 2000 mit ihrem Debütalbum „Spit“ eine ganze Szene durchrüttelten, war der ballernde Dicke-Hose-Sound gerade an seinem Höhepunkt angelangt. Limp Bizkit, Crazy Town und Co. stolzierten wie brunftige Elche über die Bühne, Slipknot erschufen mit ihrem bahnbrechenden Zweitwerk gerade ein neues Subgenre und Papa Roach und P.O.D. füllten die Festivalmoshpits. Frauen an der Stromgitarre? Fehlanzeige. Pop-Königin war die in jeder Hinsicht offensiv sexualisierte Britney Spears, die in pädophil anmutenden Posen durch die Medienlandschaft gereicht wurde.
Das Genre durchgemischt
In diesen Hochtagen der Nu-Metal-Arena wollten Kittie zeigen, dass man als Frau auch abseits des Bubblegum-Pop und mit dunkler Ausstrahlung im härteren Segment reüssieren kann. Schwester Mercedes saß an den Drums, Morgans Texte drehten sich um die Erfahrungen und Erlebnisse der beiden Teenager in ihrer Heimat Ontario in Kanada. Als das Album veröffentlicht wurde, waren die Landers 16 und 18 Jahre alt und eroberten sofort die Herzen der Fans. Das Album wurde zu einem kommerziellen Erfolg, gilt noch heute als eines der wichtigsten Werke der Nu-Metal-Historie und bescherte Kittie bis zum temporären Ende 2017 noch zahlreiche weitere Alben. An den frühen Erfolg kamen die beiden Schwestern mit öfters adaptierter Besetzung nie mehr heran, doch gerade „Spit“ hat sich nicht zuletzt durch die 2000er-Nostalgiewelle der letzten Jahre wieder vermehrt in die Playlists von örtlichen Rock-DJs geschmuggelt. Mit dem Revival des Nu-Metal kamen auch die Festivalangebote – so sagten Kittie 2022 für drei US-Shows zu und wollten sich dann wieder zerstreuen.
Aus dem Plan wurde natürlich nichts. „Wir wollten wirklich nur ein paar Mal auftreten und das Gefühl von damals aufleben lassen“, erzählen uns die Schwestern, „aber dann trafen wir Sumerian Records-Chef Ash Avildsen, der uns unbedingt unter Vertrag nehmen wollte, um uns auf Tour zu schicken und eine neue Platte aufzunehmen. Wir haben Lunte gerochen und uns auf das Abenteuer eingelassen.“ Das gutklassige und stark an die alten Tage angelehnte Comeback-Werk „Fire“ erschien 2024, die gesamten Songs habe man in weniger als zehn Monaten geschrieben. „Anstatt uns wieder in die Kittie-Rente zu begeben, waren wir plötzlich voll im Business. Wir hatten eine seltsame Gefühlsmischung aus gefühltem Druck und der lockeren Haltung, als jenes Quartett, das 2017 zuletzt zusammenspielte, mühelos wieder an die Arbeit gehen zu können. So haben wir also die alten Schuhe aus dem Schrank geholt, sie angezogen, den Staub abgeschüttelt und wieder losgelegt.“
Unverhoffte zweite Chance
Die Lander-Schwestern befinden sich mittlerweile in ihren 40ern, haben den Anschluss an die Metalszene aber nicht gekappt. Beide spielten in unterschiedlichen anderen, wesentlich kleineren Projekten, nebenbei gründeten sie Familien und es wurde der stinknormale Alltag in der Ruhe Kanadas genossen. Davon kann jetzt keine Rede mehr sein. Nach der Veröffentlichung des Comebackalbums kamen Kittie erstmals nach 15 Jahren wieder nach Europa und spielten größere Shows als je zuvor. Auch die Festival-Slots, wie beim diesjährigen Nova Rock, waren mehr als amtlich. „Wir können gar nicht glauben, wie viele Menschen uns auf einem Kontinent sehen wollen, den wir so lange nicht besuchten. Es fühlt sich alles so neu und frisch an. Wir hatten in unserer Karriere wirklich viele Tiefpunkte und das hier ist eine zweite Chance, an die wir nie zu glauben gewagt haben und von der wir nie hofften.“
Mit viel altem und konkurrenzfähigem neuen Material im Rücken lässt sich die Reunion noch besser genießen. Dieser Tage veröffentlichten Kitte die 4-Track EP „Spit XXV“ zum 25-Jahre-Jubiläum des gefeierten Debütalbums. Die vier besten und beliebtesten Tracks wurden nicht nur mit denselben Verstärkern wie damals eingespielt, man hat sich dafür auch Ur-Produzent Garth Richardson ins Boot geholt. Inspiriert wurden sie für dieses Fan-Bonmot übrigens von Pop-Königin Taylor Swift, die – allerdings aus rechtlichen Gründen - all ihre alten Alben neu aufgenommen und auf die Streaming-Plattformen gestellt hat. Die Klassiker mögen ein halbes Leben der Lander-Schwestern zurückliegen, aber sie haben für sie noch immer dieselbe Magie. „Natürlich spielen wir sie anders und sie haben eine andere Farbe. Aber die Texte sind zeitlos, der Sound ist heute wieder so beliebt wie damals und wenn wir damit auf die Bühne gehen, spüren wir auch die Wut und die Freude daran so wie früher. Es ist so, als wäre es eine 2.0-Version all unserer Songs.“
Die Bingo-Karte ausgetrickst
Mit dem Alter kamen auch Ruhe und Weisheit mit ins Spiel. „Wir sind viel entspannter als früher. Wir lassen uns aber auch nicht mehr auf zehnmonatige Tourneen schicken und geben uns ausreichend Zeit, um alles zu genießen und an den Blumen des Lebens zu schnuppern. Wir genießen diesen Moment, für den wir sehr lange, sehr hart gearbeitet haben. Dass uns nun so eine Zeit bescheint ist, war auf keiner unserer Bingo-Karten vermerkt.“ Auch die Stellung in der Szene ist heute eine ganz andere. „Die Welt hat sich zum Glück deutlich verändert. Wir sind heute nicht mehr die schwarzen Schafe und fühlen uns rundum akzeptiert. Es gibt so viele tolle Bands mit Frauen, die den Metal lieben und leben und manche sagen, sie wären von uns inspiriert. Das ist das größte Kompliment, das man uns machen kann. Wir kommen uns heute richtig cool vor. Arschlöcher gab es immer und wird es immer geben, aber wir haben auch gelernt, uns von ihnen möglichst fernzuhalten.“
Den Lander-Schwestern ist bewusst, dass sie mit ihrer Musik und ihrer Attitüde viele Wege bereitet haben, auch wenn der große Erfolg nach dem famosen „Spit“ im weiteren Verlauf ausblieb. „Rund ums Millennium war die Stimmung in der Szene so aggressiv. Man sieht das gut in den Netflix-Dokus und Videos von damals. Wir mussten sehr tough sein, um uns nicht unterkriegen zu lassen. Heute ist in allen Bereichen alles viel inklusiver. Frauen werden anders behandelt, aber es ist noch ein weiter und steiniger Weg, bis es wirklich zu einer echten Gleichberechtigung kommt.“ Mit Freelance-Jobs und allzu viel Familienzeit ist es bis auf Weiteres vorbei. Kittie sind im Zuge der späten Popularität hochmotiviert und durchaus gewillt, sich an ein weiteres Album zu setzen und damit um die Welt zu fahren. „Vor allem wollen wir aber die Möglichkeiten nützen, die sich uns am Weg auftun. Die hatten wir früher nicht und wenn wir sie hatten, haben wir uns oft falsch entschieden. Heute vor Leuten zu spielen, die bei ,Spit‘ noch nicht mal auf der Welt waren, ist unglaublich. Wir bleiben auf jeden Fall dran.“
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