Mit dem Umzug nach Graz im Jahr 2012 hat die literarische Karriere von Nava Ebrahimi einst begonnen. Nach dem Gewinn des Bachmannpreises im Jahr 2021 erscheint heute mit „Und Federn überall“ ihr dritter Roman – rund um eine Hühnerfabrik in der deutschen Provinz zeichnet sie darin das Porträt einer zerrupften Gesellschaft.
Es ist ein Panorama der zerrupften Existenzen, das Nava Ebrahimi in ihrem neuen Roman „Und Federn überall“ rund um einen Geflügelschlachthof im Emsland im Nordwesten Deutschlands zeichnet. Da gibt es etwa Sonia, die alleinerziehende Mutter, die am Förderband das Hühnerfleisch nach wertmindernden Verhärtungen absucht, die aber die Kontrolle über ihre pubertierende Tochter völlig verloren hat und sie in ihrer Verzweiflung zu Hause einsperrt.
Es gibt aber auch die verkrampfte Powerfrau Anna, die dem Machismo der männerdominierten Fleischindustrie zum Trotz an einer IT-Lösung arbeitet, die Sonias Job ohnehin bald hinfällig machen könnte. So zumindest stellt es sich ihr Vorgesetzter Merkhausen vor, der von seinen Optimierungsvorhaben jedoch massiv ablenkt wird, weil er auf einer Dating-Plattform der freundlich-dominanten Polin Justyna verfällt.
Eben diese Justyna wiederum wird von ihrem Plan, so viel Geld wie möglich zu verdienen, um ihrer Tochter ein Studium zu finanzieren, abgehalten, weil sie sich in den halbblinden syrischen Flüchtling Nassim verliebt hat. Dieser wiederum kämpft mit allen Mitteln darum, in Deutschland bleiben zu können – und sieht seine beste Chance dafür in seinen Gedichten. Dafür lockt er die erfolgreiche deutsch-iranische Autorin Roshi ins Emsland, die ihm bei der Übersetzung helfen soll und zur Zeugin der Geschehnisse wird.
Kunstvoll verwebt Ebrahimi die Geschichten dieser sechs Figuren zu einem Gesellschaftsroman, in dem sich viele Probleme der Gegenwart spiegeln: das Schicksal von Flüchtlingen und die Einsamkeit am Land, die Digitalisierung der Industrie und die damit verbundene Aussichtslosigkeit für Arbeiter in vielen Industrieregionen, unaufgearbeitete Ost-West-Konflikte und der meist einsame Kampf alleinerziehender Mütter um das Wohl ihrer Kinder.
Vom Manager bis zur Putzfrau – alle Figuren in diesem Roman wirken wie gefangen in ihren Rollen, versuchen verzweifelt aus ihren Käfigen zu entkommen und müssen dabei ordentlich Federn lassen. Doch sie alle kommen schwer gegen die Verhärtungen an, die nicht nur das Hühnerfleisch, sondern auch ihre eigenen Leben und die Gesellschaft als Ganzes befallen.
Eindrucksvoll schafft Ebrahimi in „Und Federn überall“ den Spagat zwischen mitreißender Erzählung und pointierter Gegenwartsanalyse. So ist es kaum verwunderlich, dass sie damit auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis steht. Heute liest sie daraus bei den O-Tönen in Wien, am 17. September im Grazer Literaturhaus, am 3. Oktober in Krems und am 14. November bei der Buch Wien.
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