Sie kam aus ärmlichen Verhältnissen, war die erste Jazz-Sängerin auf dem Kult-Label Blue Note, opferte für die Erziehung ihrer Tochter eine Top-Karriere und hinterließ tiefe Spuren in der Grazer Jazzszene – am Montag ist Sheila Jordan im Alter von 96 Jahren in New York verstorben. Die „Krone“ traf sie bei ihrem letzten Österreich-Auftritt 2022 im Wiener Porgy & Bess.
Als Sheila Jordan das letzte Mal live in Österreich vorstellig wurde, war sie bereits 93 Jahre jung. An einem milden Aprilabend im Jahr 2022 spielte sie mit Lebensmensch Cameron Brown ein mitreißendes und ganz und gar nicht eingefahrenes Konzert im Wiener Jazzclub Porgy & Bess. Dort, wo sie über die Jahre viele große Abende und Momente erlebt hat. Vor dem Auftritt nahm sie sich eine knappe Stunde Zeit für ein langes Gespräch. Jordan war nicht nur Jazz-Sängerin und Songwriterin, sondern auch Jazz-Pädagogin und liebte die Interaktion mit anderen. Die Reisestrapazen mitsamt den vielen Restriktionen direkt nach der Corona-Hochzeit nahmen ihr ebenso wenig den Willen am Tun, wie die natürliche Müdigkeit, die sich im höheren Alter selbstverständlich einstellt. „Wir müssen die Musik am Leben erhalten“, antwortete sie der „Krone“, angesprochen auf die Schwierigkeiten der damaligen Gegenwart, „was auch immer uns das kostet.“
Armut als Antriebsfeder
Diese Einstellung, die Hingabe und unermüdliches Arbeitsethos vermittelt, hat sie sich schon in frühen Jahren aufgebürdet. Geboren wurde Jordan im November 1928 in schwierigsten Familienverhältnissen in Detroit. Der Vater verließ die Familie nach der Geburt, die Mutter war schwere Alkoholikerin. Sie kam früh zu den Großeltern in das Kohleminenörtchen Summerhill in Pennsylvania. Alkoholismus war auch dort Usus, zudem fehlte es Jordan, den Großeltern und ihren neun Geschwistern an so gut wie allem. „Wir waren unter vielen Armen die ärmste Familie.“ Der Alkoholismus war Jordan anfangs in die Wiege gelegt, doch relativ schnell kam sie davon ab. „Als mir Musiker später in den Jazzclubs Drinks zahlten und Schnäpse anboten, habe ich daran genippt und unsichtbar für die anderen weg gespuckt.“ Früh kehrte sie zu ihrer Mutter nach Detroit zurück. Sie arbeitete als Sekretärin in einer Werbeagentur, in ihrer Freizeit sang sie und spielte Klavier in hiesigen Jazzclubs.
Dort kam sie in Kontakt mit dem legendären Saxofonisten Charlie „Bird“ Parker. Sein Spiel sollte für ihre Stimme prägend sein – den Stil des „Bird“ wollte sie stimmlich erreichen. Nebenbei heiratete sie Parkers Pianisten Duke Jordan, mit dem sie eine gemeinsame Tochter hat – die Scheidung folgte schnell und Sheila Jordan wurde zur Alleinerzieherin. „Die Musik und meine Tochter haben mich in den schwierigsten Phasen immer am Leben erhalten“, erinnerte sie sich in unserem Gespräch zurück. Leichte hatte es Jordan nie. Als Frau im Jazz in den 40er- und 50er-Jahren musste sie sich kräftig abmühen und immer wieder vorurteilsbehaftete Rückschläge einstecken. „Der Jazz war immer eine Welt der Männer. Heute gibt es so viele tolle Jazzmusikerinnen, aber am Piano war ich wie eine Außerirdische. Doch gerade im Jazz geht es nur um die Passion. Niemand macht es fürs Geld, denn wenn du nicht gerade Herbie Hancock bist, wirst du von dieser Musik kaum prunkvoll leben können.“
Die Jazzgröße in der Lurgrotte
Ihr 1962 aufgenommenes Debütalbum „Portrait Of Sheila“ war das erste von einer weiblichen Sängerin gefertigte auf dem renommierten Jazz-Label Blue Note. Sie arbeitete mit unterschiedlichen Größen von George Russell über Steve Kuhn bis hin zu Roswell Rudd und war am City College Of New York ganze 28 Jahre als Jazzpädagogin tätig. In diesem Segment kommt auch ihre Österreich-Nähe ins Spiel. Karlheinz Miklin holte sie Mitte der 80er-Jahre an die Jazzuni in Graz, wo sie einige Jahre mit ihrer Expertise glänzte. Legendär auch ihre Beteiligung an dem Projekt „The Holy Grail Of Jazz And Joy“ im Zuge des Steirischen Herbst 1985. Das Jazzoratorium von George Gruntz und auch mit Bobby McFerrin sollte in der kultigen Lurgrotte im steirischen Semriach aufgeführt werden, doch Fledermausschützer protestierten vehement und so wurde nach langem Hin und Her ein österreichischer Kompromiss gefunden: Aufführung ja, Publikum nein. „Eine wundervolle Zeit mit wundervollen Menschen“, sinnierte Jordan im „Krone“-Gespräch zurück.
Für Jordan war die Musik im Allgemeinen und der Jazz im Speziellen immer ein Ankerpunkt für das Seelenheil. „Europa hat einen ganz anderen Zugang zum Jazz als es die USA dieser Tage haben“, erzählte sie, „in Amerika geht es immer nur um Pop, Rock, Hip-Hop und Country. Der Jazz fristet ein Nischendasein. Den großen Mainstream erreicht er zwar auch in Europa nicht, aber der Wert scheint ein ganz anderer zu sein.“ Auch in puncto Unterstützung von diversen Förderstellen oder Regierungen würde man hier weitaus respektvoller mit dem Genre umgehen, als es über dem großen Teich der Fall sei.“ Sheila Jordan war zeit ihres Lebens nicht nur ein Paradebeispiel für musikalische und menschliche Integrität, sie hatte die außergewöhnliche Fähigkeit, diese fast schon kindliche und mit einem sympathischen lauten Lachen quittierte Begeisterung für den Jazz in all seinen Ausformungen ungefiltert an ihre Schüler und Studenten weiterzugeben. Ihre Fitness und die Stimmstärke blieben bis zuletzt beispiellos. „Ich rauche und trinke nicht. Außerdem versuche ich ausreichend zu schlafen. Im Großen und Ganzen reicht das bei mir aus.“
Die Ehrgeizigen begleiten
Noch im Februar dieses Jahres erschien mit „Portrait Now“ das letzte Studioalbum von Jordan. Das Album lehnte sich an ihr bereits erwähntes Kultdebüt an und zeigte zudem mit ein paar wundervoll gesungenen Coverversionen, etwa Chet Bakers „The Touch Of Your Lips“, wie kongruent sich Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbinden ließen. Dass ihr 22. Studioalbum tatsächlich ihr letztes sein würde, konnte man fürchten, angesichts ihrer freudestrahlenden Rüstigkeit aber keinesfalls vermuten. „Am Wichtigsten war mir immer, die Musik am Leben zu erhalten und so gut wie möglich an jüngere Generationen weiterzugeben. In jeder Klasse hast du für gewöhnlich ein bis zwei Personen, die es wirklich wollen. Die den Jazz richtig leben. Wenn ich diese Menschen auf ihrem ehrgeizigen Weg begleiten kann, dann habe ich im Prinzip alles erreicht, was mir wichtig ist.“ Wichtiger als ihre Schüler und die Musik war ihr nur ihre Tochter, für deren Erziehung sie eine potenzielle Weltkarriere aufgab. Am 11. August starb Sheila Jordan im Alter von 96 Jahren in ihrem Apartment in New York. Das Vermächtnis, das sie hinterlässt, lässt sich nicht in Worte fassen.
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